Eine Vergewaltigung und ihre Folgen:Das Trauma nach der Tat

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Die Grünanlage am Maximiliansplatz, wo die Tat passierte, ist nicht weit von dem Club, in dem Nina F. gewesen war. (Foto: Stephan Rumpf)

Nina F. wurde vor einigen Jahren vergewaltigt. In ihrem Körper wurden danach Spermaspuren sichergestellt und damit DNA. Es wurde auch ein Tatverdächtiger festgenommen. Vor Gericht wird der Mann nicht stehen

Von Elisa Britzelmeier, München

Sie hatte keine Hoffnung mehr, dass der Täter gefunden wird. Nina F. war im Gebüsch aufgewacht, nicht weit von dem Club, vor dem sie sich noch von ihren Freunden verabschiedet hatte, so erzählt sie es später. Die Unterhose hing ihr in den Kniekehlen. Sie konnte nicht aufhören zu weinen, fühlte sich elend. Was passiert war, daran erinnerte sie nicht. Nach und nach kam ihr der Verdacht: Jemand muss ihr K.o.-Tropfen ins Glas geschüttet haben. Jemand musste sie vergewaltigt haben. Ihre Schwester brachte Nina F. zur Polizei. Ein Betäubungsmittel konnte nicht mehr nachgewiesen werden. Aber die gerichtsmedizinische Untersuchung stellte Spermaspuren sicher - und damit DNA.

Fast sechs Jahre ist das nun her, und eigentlich hatte Nina F. damit abgeschlossen, so gut es eben ging. Zuzuordnen waren die Spuren zunächst niemandem. Doch dann bekam die heute 36-Jährige Post von der Staatsanwaltschaft: Ein Tatverdächtiger sei festgenommen worden, identifiziert über die DNA. Wenig später kam der nächste Brief: Das Ermittlungsverfahren werde eingestellt.

Der Mann, dessen Sperma in Nina F.s Körper gefunden wurde, obwohl sie sich an nichts erinnern kann, wird nicht vor Gericht stehen. Die Staatsanwaltschaft München I begründet das auf Anfrage damit, dass "der Tatnachweis letztlich nicht geführt werden konnte". Die DNA stammt zwar zweifelsfrei vom Tatverdächtigen. Aber es könne nicht nachgewiesen werden, so die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, dass "der oder die Täter eine eventuelle Widerstandsunfähigkeit" ausgenutzt hätten. Genauso wenig könne nachgewiesen werden, dass der Täter Nina F.s entgegenstehenden Willen erkannt habe. Übersetzt bedeutet das: Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es einvernehmlicher Sex war. Der Tatverdächtige äußert sich nicht zu den Vorwürfen. "Anhaltspunkte für Gewalt sind nicht ersichtlich", heißt es von der Staatsanwaltschaft weiter.

Für Nina F. und ihren Anwalt Reinhard Köppe ist das kaum zu fassen. "Das ist eine völlig eindeutige Geschichte", sagt Köppe, "die DNA wurde ja schließlich nicht an ihrem Mantel gefunden." Entscheidend ist aus seiner Sicht vor allem das Ergebnis der gerichtsmedizinischen Untersuchung. Dabei wurden an Nina F.s Körper Blutergüsse und Hautverletzungen festgestellt. Unter anderem deuteten Spuren am Oberarm darauf hin, dass der Täter Nina F. festhielt. Für die Staatsanwaltschaft reicht das nicht aus, um den Tatverdächtigen vor Gericht zu bringen.

Passiert war die Tat in der Grünanlage am Maximiliansplatz. Wie oft bei Sexualdelikten gibt es keine Zeugen. Nina F. kennt den Tatverdächtigen nicht, es gibt keine Beziehung, aus der sich weitere Indizien herleiten ließen. Die Ermittler versuchten, Videoaufzeichnungen der 089-Bar und des Pacha, wo Nina F. feiern war, auszuwerten. Bei einem der Clubs gab es einen technischen Defekt, die anderen Aufzeichnungen brachten laut Staatsanwaltschaft keine weiterführenden Erkenntnisse.

Rechtsanwalt Köppe sagt, es gehe vor allem um die Frage der Widerstandsunfähigkeit. Ermittelt wurde nach Paragraf 179 des Strafgesetzbuchs, "sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen". Heute, nach der Reform des Sexualstrafrechts, würde der Fall wohl unter Paragraf 177 "Vergewaltigung" fallen. Das Problem ist, dass es für die möglicherweise eingesetzten K.o.-Tropfen bei Nina F. keinen Beleg gibt. Die unterschiedlichen Mittel können nur über kurze Zeitspannen nachgewiesen werden, zum Teil nur vier bis sechs Stunden. Noch dazu kommt eine große Anzahl verschiedener betäubender Substanzen in Frage. Dass K.o.-Mittel nicht nachgewiesen werden können, erlebt Köppe häufig - aber er kennt Fälle, in denen es trotzdem zu einer Verurteilung kam.

Viele K.o.-Mittel-Verdachtsfälle stellen sich als Alkoholisierung heraus. Wobei auch Alkohol zur Widerstandsunfähigkeit führen kann, so der Anwalt. "Sie kann sich betrinken, wie sie will, das darf trotzdem niemand ausnutzen." Die rechtsmedizinische Untersuchung bei Nina F. fand etwa 14 Stunden nach der Tat statt. Der Alkoholgehalt im Blut war da immer noch erhöht.

Nina F. geht es längst nicht mehr nur um eine Bestrafung des Täters, sondern auch um den Umgang mit ihr. Sie erzählt von Gesprächen mit der zuständigen Staatsanwältin und dass ihr diese erst Mut gemacht habe. Bei der Einstellung des Verfahrens aber sei ihr unter anderem entgegnet worden, dass ja nicht auszuschließen sei, dass sie in der Tatnacht auch mit anderen Männern Sex hatte. Nina F. sagt: "Mal abgesehen davon, dass es Unsinn ist, was spielt das für eine Rolle?" Ihr Anwalt spricht von einem "unglaublichen Widerspruch" in der Argumentation der Staatsanwaltschaft.

Als besonders heftig hat Nina F. ihre Anzeige bei der Polizei in Erinnerung. Für sie fühlte es sich an, als würde sie als Lügnerin dargestellt. Fälle von K.o.-Tropfen gebe es kaum, das sei von den Medien aufgebauscht - solche Sätze habe sie sich auf dem auf Sexualdelikte spezialisierten Kommissariat anhören müssen. Die Polizei kann zu dieser Vernehmung heute nichts mehr sagen. Der Verdacht auf K.o.-Tropfen sei aber "kein Nischenthema", sagt ein Sprecher, "wir sind sensibilisiert". Nach Möglichkeit führten weibliche Beamte die Befragungen durch, es sei auch "Standardprogramm", auf Hilfsangebote hinzuweisen. Nina F. sagt, dass das bei ihr nicht passiert sei. Das Gespräch auf dem Revier habe ein Mann geführt. "Ich habe mich durch die Polizei mehr traumatisiert gefühlt als von der Tat", sagt sie.

Andrea Hölzel vom Weißen Ring kennt viele solcher Erzählungen. Sie berät Frauen nach Vergewaltigungen. Natürlich ist es die Aufgabe von Polizisten, zuallererst herauszufinden, was wirklich passiert ist, sagt sie. Dass genau nachgefragt wird: verständlich. Gleichzeitig wünscht sie sich mehr Sensibilität gegenüber Opfern sexueller Gewalt - und eine bessere Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen wie ihrer. Dass Nina F.s Fall nicht vor Gericht kommen soll, empört sie. Sie kennt ähnliche Fälle, den einer Frau etwa, die von vier Männern vergewaltigt wurde. Trotz zahlreicher Beweise habe es auch da keine Anklage gegeben. "So etwas lässt mich an unserem Rechtssystem zweifeln", sagt Hölzel.

In Bremen, wo es eine Auswertung derartiger Anzeigen gab, wurden etwa 80 Prozent der Verfahren wegen Vergewaltigung eingestellt. Das muss nicht heißen, dass die Taten nicht so passiert sind. Es kann sein, dass sie schwer nachgewiesen werden können und ein Freispruch wahrscheinlich ist. Ein Grund für die Einstellung kann auch sein, dass man einen womöglich unschuldigen Täter nicht der Öffentlichkeit aussetzen will - oder dem Opfer die Aussage ersparen. So hat Nina F. das auch von der Staatsanwaltschaft gehört: manche Verfahren stelle man aus Opferschutz ein. Sie versteht das Argument nicht. Schließlich habe sie sich ja extra einen Anwalt genommen und sei in Nebenklage gegangen. "Und ich kann immer noch selbst entscheiden, ob ich bei einem Prozess aussage oder nicht!"

Rechtsanwalt Köppe hat Beschwerde gegen die Einstellung des Ermittlungsverfahrens eingelegt. Ob die Beweise für eine Verurteilung des Täters ausreichten, sei eine andere Frage. "Aber darüber muss ein Gericht entscheiden, nicht die Staatsanwaltschaft", sagt er. Möglichen Opfern kann er nur raten, bei einer Anzeige bei der Polizei auf einer rechtsmedizinischen Untersuchung zu bestehen, so schnell wie möglich. Oder sich gleich direkt an die Rechtsmedizin zu wenden, um keine Zeit zu verlieren. Der Weiße Ring empfiehlt darüber hinaus, Gläser und Flaschen im Club nie unbeobachtet zu lassen, bei Unsicherheit ein Getränk lieber nicht auszutrinken und auf Freunde zu achten. Nicht nur wegen der Nachweisbarkeit möglicher K.o.-Mittel ist die Rechtsmedizin entscheidend, auch um wie bei Nina F. DNA-Spuren sicherzustellen. Eine Garantie, dass es zum Prozess kommt, sind diese aber nicht.

© SZ vom 05.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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