Eine Nacht auf dem Oktoberfest:Letzte Runde

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Von seltsamen Gestalten, müden Geistern und fleißigen Auf- und Abräumern: Wer sich in der Nacht auf der Theresienwiese aufhält, der muss entweder arbeiten - oder seinen Rausch ausschlafen.

Karoline Meta Beisel

Eigentlich müsste es gurgeln. Wie in einem Schlund verschwinden die Menschen in der U-Bahn-Station an der Theresienwiese, abends, wenn die Zelte auf der Wiesn gerade geschlossen haben. Erst fahren sie in Strömen in den Untergrund, dann tröpfeln sie nur noch. Ein paar Wiesn-Bedienungen sausen oben im Slalom zwischen den Nachzüglern hindurch. Ein Fahrgeschäft spielt zur letzten Runde "Wer hat an der Uhr gedreht?" Und dann geht plötzlich alles ganz schnell.

Putzen, Bierliefern, Geldzählen: Wer nachts, wenn die Zelte zu sind, noch auf der Wiesn ist, arbeitet - oder schläft seinen Rausch aus. (Foto: Stephan Rumpf)

Am Riesenrad gehen die Lichter aus, beim Starflyer, dem großen Kettenkarussell, wird der Drehkranz mit den Plastiksitzen ein paar Meter nach oben gezogen. Eine Frau holt ein Pony und einen Papagei als Luftballonfiguren für die Nacht in ihre Bude. Ein Stand nach dem nächsten schließt die Klappe.

Fast überall sind zwei solcher Klappen nebeneinander, deswegen sieht es so aus, als würden die Verkaufsstände ihre müden Augen schließen. Mit Schläuchen spritzen die Schausteller die Metallstege vor den größeren Buden ab, hinter den Klappen werden die Einnahmen gezählt.

Nur das Weinzelt und die Käfer-Schänke haben jetzt noch geöffnet, hinter den Fenstern tanzt die Jeunesse Dorée auf den Bänken. Im Löwenbräuzelt wird schon geputzt, ein junger Mann fegt den Müll aus den Boxen auf den Gang. Er trägt große blaue Kopfhörer und bewegt die Lippen zur Musik. In der Mitte des Zeltes hat er noch nicht gefegt, ein Maßkrug halbvoll mit Erbrochenem liegt unter einer Bank. Draußen harken zwei Männer den Kies im Biergarten.

Wie viel Müll tatsächlich anfällt an so einem Tag auf der Wiesn, sieht man erst, wenn er zu Haufen auf den Wegen zusammengeschoben liegt, allein fünf große Container voll mit nichts außer Glasscherben werden jede Nacht geleert. Dabei sind die frühen Nachtstunden auch für Sammler von ganzen Maßkrügen die beste Zeit, die Reinigungskräfte lassen unbeschädigte Gläser auf dem Boden stehen, sie werden erst später eingesammelt. Aber keiner interessiert sich für die Krüge. Die Wiesn riecht anders, wenn es keine gebrannten Mandeln mehr gibt, vielleicht schauen die letzten Gäste deswegen lieber nicht zu Boden.

Nur Sicherheitsdienste und die Polizei sind eine Stunde später noch unterwegs, zu sechst patrouillieren die Beamten über die Schaustellerstraße. Ein Betrunkener schläft neben dem Autoscooter auf dem Boden, die Beamten versuchen, ihn zu wecken, sprechen ihn auf Deutsch und auf Englisch an, aber er sackt immer wieder weg. Am Ende kommen Sanitäter und nehmen den Mann mit.

Die Geisterbahn ist jetzt von einem Bauzaun umgeben, sie sieht nachts gruseliger aus als am Tag: Schwarz klaffen die Löcher, in denen die Gleise verschwinden, über dem Dach kreist eine Fledermaus. Ein Wachmann verbindet die Zaunteile mit Kabelbindern.

Zwei Kassenhäuschen stehen vor dem Fahrgeschäft, nur eins ist beleuchtet, es soll so aussehen, als säße jemand darin. In Wahrheit wartet der Wachmann in dem zweiten, unbeleuchteten Häuschen auf den Morgen. Gegen die Langeweile spielt er Schach auf dem Laptop. Filmeschauen ist tabu, er will hören, was draußen passiert.

An der Ochsenbraterei summt es laut, das sind die Maschinen, die das Bier aus den Tankwagen in die kleineren Tanks über den Schänken pumpen, die Holzfässer sind hier nur Attrappe. Udo, der Fahrer, und Thomas von der Brauerei sitzen vor der Tür und warten, bis sie den Schlauch an den nächsten Tank anschließen müssen. Neun Stunden lang dauert ihre Schicht insgesamt, sie sind für zehn Schänken in drei Zelten zuständig. Seit Jahren machen sie die Tour zusammen, manchmal erzählen sie Betrunkenen, sie würden Diesel für den Autoscooter liefern.

Hinter dem Zelt sucht ein Obdachloser in den Müllbergen nach Verwertbarem. Ein paar große Tüten voller Pfandflaschen hat er schon beisammen, mit dem Geld will er eine Lizenz erwerben, um als Fußballtrainer arbeiten zu können, erzählt er. Viel Zeit hat er nicht, bald kommt die Stadtreinigung und putzt alles weg, damit die Wiesn am nächsten Morgen wieder strahlt.

Mitten in der Nacht setzt sich plötzlich das Riesenrad noch einmal in Bewegung. Die Lichter gehen an, aber alles bleibt still. Ein, zwei Runden fahren die Kabinen, dann bleiben sie wieder stehen, das Licht geht aus. Es ist, als hätte sich das Riesenrad im Traum umgedreht.

© SZ vom 28.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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