Ein Stadtviertel, viele Konzerte:Moosach im Musikrausch

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Das Stadtviertel feiert an 24 Stellen - und alle sind überaus gut besucht: Klänge im Botanicum, im Einkaufszentrum, im Fotostudio, in Wirtshäusern und in den Shuttlebussen. Die Besucher sind begeistert

Von Anita Naujokat, Moosach

Ein bunter Teppich als Bühne, Notenblätter und Wasserflasche auf dem Boden und motivierte Musiker genügen. Schon nach dem ersten Stück der BressBäänd im Fotostudio All Eyes On You setzt Jubel ein. Stumm betrachtet die siebenjährige Anna zwischen den Eltern stehend die Szene, lässt die vier Bläser nicht aus den Augen, hinter ihr steht das Publikum dicht gedrängt bis auf die Straße hinaus. Weltmusik mit den Wurzeln traditioneller Blasmusik: Als die Musiker ihr als jüngste Besucherin des Sets zwischen zwei Stücken applaudieren und ihr ein kleines Überraschungsgeschenk überreichen, geht ein strahlendes Lächeln über ihr ganzes Gesicht.

Die Atmosphäre im Fotostudio All Eyes On You erinnert - wie auch an anderen Spielorten - ein wenig an jene Hinterzimmer in Paris, London oder Berlin, wo Künstler spontan mit anderen Menschen auf engem Raum zusammenfanden und gute Musik noch nicht viel Technik brauchte. Warmspielen müssen sich die sechs Musiker nicht, ebenso wenig die zwei Ladys und der Gentleman von "Two and a whole man" kurz nach Geschäftsschluss im Einkaufszentrum der Meile Moosach, wo vereinzelt Kunden ihre Einkäufe vorbeischieben. Das Publikum hier wie dort lässt sich nicht lange bitten, ist von Anfang an begeistert.

"Heut' ist hier überall Musik", wendet sich ein bayerisch Gewandeter einem jungen Mann an der Tramhaltestelle am Moosacher Bahnhof zu. Der hat aber nur Augen für sein Smartphone. Und wie aufs Stichwort setzen bis in die Straßenbahn hinein arabisch anmutende laute Klänge aus unbekannter Quelle ein. Moosach im Musikrausch: Mit wem man auch spricht, alle 24 Locations der fünften Moosacher Musiknacht sind voll, allein das Pelkovenschlössl muss an diesem Abend dreimal wegen Überfüllung geschlossen werden, berichtet Geschäftsführerin Julia Schönfeld-Knor. Und Musical-Produktionsleiter Norbert Kästle von "Moosach macht Oper", dessen Ensemble im Nahversorgungscenter Mona eine offene Probe anbietet, muss Einlassbändchen nachbestellen, so groß ist der Andrang. Genau genommen sind es, die Proben eingeschlossen, 27 Spielstätten, zwei davon rollend.

Denn auch die beiden Oldies, die der Münchner Omnibus-Club als Shuttle-Busse zur Verfügung stellte, präsentieren sich als wahre Bühnen: Opern-Arien der Sopranistin Dora Garcidueñas in dem einen Gefährt, sentimentale Tango- und Schunkelrhythmen der Akkordeonistin Birgit Otter in dem anderen. Die frühere Vorsitzende des Moosacher Kulturvereins "Die Linie 1", Christl Oehler-Selinger, begleitet als Dauerfahrgast die Musikerin und versorgt sie mit Happen und Getränken rundum. "Toll. München ist die geilste Stadt der Welt", schwärmt Richard Stelzer. Er kommt gerade vom "Alten Wirt", wo an diesem Abend Country dominiert, und will zur "Gartenlaube" mit griechischer Volksmusik. "Und das in so einem alten Bus", sagt er und deutet begeistert auf die nostalgische Ausstattung im MAN-Fahrzeug, Baujahr 1967. Rund 500 000 Kilometer hat er hinter sich.

Die Fahrgäste in den gut ausgelasteten Bussen sind ausgelassen und heiter, andere blättern stirnrunzelnd im Programm. Ja, wie soll man das alles schaffen? Das fragt sich auch der Schauspieler Rudolf Knor im Pelkovenschlössl, für den die Nacht definitiv zu kurz ist. Werner Lichti macht sich dieses Problem erst gar nicht. Den ganzen Abend schon hat er im Gasthaus "Spiegl" verbracht, will später noch zur Party in den "Alten Wirt". Der frühere Moosacher ist eigens aus Mittenwald, wo er jetzt wohnt, weil er sich München nicht mehr leisten könne, wegen der Musiknacht wieder nach Moosach gekommen. Bisher sei er bei jeder dabei gewesen. "Ich finde sie einfach toll." Auch im Spiegl reichen zwei Quetschen und eine Gitarre - und die Wirtshausmusik ist perfekt. Einige Neuankömmlinge recken die Köpfe durch den Eingang, unentschlossen, ob sie bleiben sollen oder nicht. Er würde es allerdings begrüßen, sagt Lichti, wenn mehr ausländische Musik dabei wäre.

Da hätte der bekennende Volksmusikfan vielleicht doch das Programm genauer lesen sollen: Das "Santa Margherita" bot eine orientalische Musikshow samt Bauchtanz, im "Bürger's gab es Balladen und Chansons in russischer Sprache, die Heilig-Geist-Kirche präsentierte Gospels und Negro Spirituals sowie gesungene Mantras aus den Kulturen der Welt. In der Künstleroase Botanikum dominierten Funk und Soul.

2000 bis 3000 Besucher, so die erste Einschätzung von Schloessl-Geschäftsführerin Schönfeld-Knor, waren in der Musiknacht unterwegs. Pech hatte allerdings, wer für die letzte halbe Stunde noch zu Anton Opic und Band gen Olympia-Einkaufszentrum oder ins Botanikum wechseln wollte: Die Shuttle-Busse ließen zu lange auf sich warten. Wie sich später herausstellte, kamen die Fahrer wegen eines Polizeieinsatzes an der Baldurstraße von ihrem Startpunkt am Westfriedhof aus nur tröpfelweise durch. Letztlich waren es sogar 28 Spielstätten, nimmt man den Brunnen am Moosacher Stachus hinzu. Dort hatten sich offenbar spontan Musiker zu einer Session zusammengefunden, die in keinem Programm verzeichnet war.

© SZ vom 17.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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