Zornedinger Frühgeschichte:Sprechende Skelette

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Die junge Archäologin Nicole Erlacher erzählt von ihrer Arbeit rund um ein frühmittelalterliches Gräberfeld "Am Fenneck". Sie hat die Ausgrabungen wissenschaftlich begleitet

Von Nathalie Stenger, Zorneding

Man schaufelt tatsächlich mehr als man pinselt." Diese Beschreibung des Berufsalltags einer Archäologin von Nicole Erlacher scheint zunächst einmal sehr ernüchternd. Dass dieser Job trotzdem viel Spaß machen kann, verdeutlicht die junge Archäologin indes durch ihre Erzählungen.

Nicole Erlacher ist Expertin für das Gräberfeld am Fenneck in Zorneding: Die 29-Jährige hat ihre Masterarbeit über die Ausgrabungen dort verfasst. Wie sie dazu gekommen ist, sich mit dem Leben von vor 1500 Jahren in Zorneding zu beschäftigen, obwohl sie eigentlich aus Dachau stammt, ist schnell erklärt: "Ich habe nach meinem Abitur direkt angefangen, in München Archäologie zu studiere. Das ist ein sehr breites Fach, ich habe mich aber relativ schnell auf Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie spezialisiert, also die Zeit vor den Römern, bevor es schriftliche Quellen gab, bis zum frühen Mittelalter. Meinen Master habe ich in frühgeschichtlicher Archäologie absolviert und im Zuge dessen das Gräberfeld am Fenneck ausgewertet."

Die Damen und Herren von Rang, die vor etwa 1500 Jahren in Zorneding bestattet wurden, waren prächtig geschmückt: eine silberne, teilweise vergoldete Damen-Fibel mit roten Granateinlagen sowie eine Bronzenadel. (Foto: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege/oh)

Dabei handelt es sich um einen uralten Friedhof, der 2006 im Neubaugebiet "Am Fenneck" entdeckt worden ist. 250 bis 300 Reihengräber werden hier vermutet, 29 hat man archäologisch erfasst. 2013 begann das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege mit deren Untersuchung. Den Auftrag dazu hatte die Gemeinde anlässlich ihrer 1200-Jahr-Feier gegeben. Erlacher gehörte zum Archäologenteam und veröffentlichte inzwischen eine ausführliche wissenschaftliche Arbeit über dieses frühmittelalterliche Gräberfeld, das spätestens ab dem Jahr 500 nahezu zwei Jahrhunderte lang als Bestattungsort diente.

Nicole Erlacher, 29 Jahre jung, ist fasziniert von Geschichte, vor allem, wenn sie im Boden konserviert ist. (Foto: Privat)

Bei den Ausgrabungen in Zorneding war Erlacher zwar nicht dabei, durfte aber im Landesamt für Denkmalpflege mit den Restauratoren zusammenarbeiten - eine Erfahrung, von der sie immer noch schwärmt. Überhaupt sei Archäologie viel Büroarbeit, erzählt die 29-Jährige, je nach Art des Projekts. Sowohl für ihre Masterarbeit als auch ihre Doktorarbeit habe sie primär Dokumente über Ausgrabungen aufbereitet, strukturiert und digitalisiert. Aber natürlich sei sie auch oft vor Ort an den Fundstellen, merkt die Archäologin an: "Besonders in München, wo viel gebaut wird, gibt es einige Ausgrabungsstellen. Das ist gerade im Studium toll, wenn man zum Beispiel in den Semesterferien im eigenen Fach arbeiten kann."

Das Interesse an Geschichten aus der Vergangenheit sei seit ihrer Kindheit da gewesen, erinnert sich die Archäologin. Ihr Vater habe ihr oft Bücher über rätselhafte Begebenheiten der Menschheit gezeigt, die sie sehr faszinierend gefunden habe. Woher die Autoren das alles wussten, interessierte sie aber noch mehr. Bereits in der Jugend sei somit das Archäologiestudium für sie festgestanden.

Erst kürzlich hat Nicole Erlacher, die mittlerweile in München wohnt, in Zorneding einen Vortrag über das Gräberfeld gehalten, eine Veranstaltung, die auf reges Interesse stieß: Man habe sogar zusätzlich Stühle gebraucht, sagt die junge Archäologin, außerdem seien sehr viele Fragen gestellt worden. Sie erzählte dem Publikum zunächst von der Merowingerzeit, also vom Leben im sechsten und siebten Jahrhundert, inklusive der politischen Situation nach dem Abzug der Römer, danach erläuterte sie die Funde in den Gräbern vom Fenneck.

Ein Stück aus einer dreiteiligen Gürtelgarnitur. (Foto: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege/oh)

Spannend an den Zornedinger Ausgrabungen ist vor allem, dass sie Aufschluss geben über einzelne Personen und deren Leben. Anhand der Gräber - Skeletten samt allerhand Grabbeigaben - ließen sich heutzutage nämlich mit verschiedenen Untersuchungen viele Fakten bezüglich Alter und Größe ermitteln, erklärt Erlacher. Im Fenneck zum Beispiel wiesen der oft erstaunlich feine Schmuck der Frauen sowie die Gürtel und Waffen der Männer auf höhergestellte Persönlichkeiten hin. Die dazugehörige Siedlung sei bisher aber leider noch nicht gefunden worden, erzählt Erlacher, deswegen könne man über deren Standort nur Vermutungen anstellen. Dass sich damals überhaupt Menschen in Zorneding niederließen, führt die Archäologin auf eine alte römische Straße zurück.

Ob man im Winter denn überhaupt graben kann? "Je nach Winter", antwortet Erlacher und lacht. Momentan arbeitet sie in München - unter Dach. "Da regnet und schneit es schon mal nicht rein. Wenn es richtig kalt ist und der Boden gefriert, muss man aber Winterpausen einlegen." Eine Ausgrabung könne auch schon mal bis zu einem halben Jahr dauern, erzählt Erlacher weiter. Das sei aber die Ausnahme, meist seien die Freilegungen mit Schaufeln und Pinseln innerhalb von ein paar Wochen abgeschlossen.

Das Zornedinger Gräberfeld, in dem bis zu 300 Menschen bestattet liegen, wurde im Wohngebiet am Fenneck gefunden. (Foto: Christian Endt)

Klar wird aber, dass, wer Archäologe sein will, viel Begeisterung aufbringen muss: "Reich wird man nicht davon", sagt Erlacher, und auch mit festen Stellen sei es eher schwierig. Die 29-Jährige ist deshalb flexibel: "Ich bin recht offen, aber da mich Heimatkunde sehr interessiert, würde ich mich über eine Anstellung in der Denkmalpflege oder im Museum sehr freuen." Im Moment habe sie aber sowieso erst noch eine Prüfung für ihren Doktortitel abzulegen. Dass Erlacher die nötige Begeisterung für den Job mitbringt, merkt man, wenn sie von ihrer schönsten Ausgrabung bisher erzählt: "Das war damals auch ein Gräberfeld, aber in Ingolstadt, zu Beginn meines Studiums. Viele schöne Funde wurden dort gemacht, unter anderem Glasperlen und Fibeln als Beigaben zur Bestattung."

Außerdem könne man von der Vergangenheit sehr viel lernen, sagt Erlacher. So habe es beispielsweise auch früher Flüchtlinge und Völkerwanderungen gegeben - das sei kein neues Phänomen aus den vergangenen Jahrzehnten. "Das hat sich in den letzten 2000 Jahren oft wiederholt." Aber auch das Thema Umwelt sei nicht neu, ergänzt Erlacher, schon in der Vergangenheit habe es menschengemachte Umweltkatastrophen gegeben, etwa durch massive Waldabholzung. Insofern könne Geschichte helfen, Fehler zu vermeiden.

© SZ vom 28.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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