Zorneding:Schmelz und Seelenfeuer

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Musiker der Gruppe "Kalandos" im Martinstadl. Im Vordergrund der niederländische Geiger Karel Boeschoten. (Foto: Christian Endt)

Das Ensemble "Kalandos" bringt die Musik der Roma und Sinti in den Zornedinger Martinstadl

Von Peter Kees, Zorneding

An einen Urlaub am Balaton oder einen Ausflug nach Budapest hat das jüngste Konzert im Martinstadl in Zorneding erinnert. Vier Männer aus Ungarn brachten ihre Instrumente mit: Gyula Csik ein Cymbal, Csaba Lukács eine Klarinette, Gyula Boni eine Geige und Zsolt Boni einen Kontrabass. Ungarische Volks- und Zigeunermusik stand auf dem Programm des 6. Abonnementkonzertes des Kulturvereins. Der Primás dieses Ensembles ist allerdings kein Ungar, sondern Niederländer: Der Geiger Karel Boeschoten, einst Mitglied des Concertgebouw Orchesters Amsterdam und der Camerata Bern, hat sein Interesse an Improvisation und spontanem Musizieren sowie seine Liebe zur ungarischen Volksmusik zum Programm gemacht und 2002 das Kalandos Ensemble gegründet, das seither mit wechselnden Musikern durch die Lande zieht.

"Kalandos" heißt im Ungarischen soviel wie abenteuerlich - und so ist es auch gemeint, ist dem Musiker doch durchaus bewusst, dass es abenteuerlich ist, als Nicht-Roma eine ungarische Kapelle zu gründen. Haben doch gerade die Roma mit ihrer unerschöpflichen Klangsprache, ihrer Schwermut, ihren rasanten Tempi die Musik in Ungarn sehr geprägt. Freilich hat Boeschoten selbst kein ungarisches Blut, und das ist auch zu hören, gerade wenn man die Klarinetten- oder die Cymbal-Soli dagegenhält; dennoch ist er ein hervorragender Geiger. Er beherrscht Rhythmik und Virtuosität dieser Musik, hat ein Gefühl für den süßen Schmelz, bewegt sich sicher in der Stilistik, doch nähert er sich eher deren Kern, als dass er in die Tiefe geht.

Das Publikum jedenfalls war begeistert, immerhin boten die fünf Herren unverfälschte ungarische Folklore. Es ist nicht verwunderlich, dass Komponisten wie Béla Bartók oder Zoltán Kodály auch als Musikethnologen tätig waren und diese herrlichen Weisen gesammelt haben. Diesem Umstand ist es wohl zu verdanken, dass der Cymbalist der Kapelle auch Stücke beider Komponisten, welche diese eigens für dieses Instrument geschrieben hatten, solistisch vortrug. Neben der Geige des Primás gilt das Cymbal - eine Form des Hackbretts, bei dem die Saiten mit kleinen Schlägeln zum Klingen gebracht werden - als das wichtigste Instrument einer Zigeunerkapelle. Gyula Csik spielte es großartig und voller Leidenschaft. Aufgefallen ist aber auch der wunderbare Klarinettist Csaba Lukács, der mit seinem Instrument verwachsen zu sein scheint.

Und genau hier zeigt sich der Unterschied zu einem Musiker einer anderen Kultur: Karel Boeschoten ist ein virtuoser Geiger. Doch jene freche Direktheit, jenes Seelenfeuer wie einst ein Sándor Lakatos, der die Zigeunerkapelle des Ungarischen Rundfunks in den Jahren 1950 bis 1955 leitete, vermisst man in seinem Spiel. Freilich machte es auch ihm ganz offensichtlich großen Spaß, musikalische Geschichten zu erzählen, Geschichten von dem Mann, der eine Freundin sucht, obwohl er schon eine hat, oder vom Pferdekopf, der gerade groß genug ist, um alle Sorgen zu tragen. Und Ungarn wäre nicht Ungarn ohne seinen Nationaltanz, den Csárdás. "Csárdá" heißt übrigens so viel wie Wirtshaus. Aber auch Ausflüge nach Rumänien und zu Pablo de Sarasates Zigeunerweisen unternahmen die Musiker.

Kein Wunder also, dass große Komponisten wie Brahms oder Liszt die ungarische Musik gerne zitierten. Die Bravi des Publikums zeigten, dass es eine gute Idee war, ein solches Konzert in eine Kammermusikreihe zu integrieren. Wunderbar funkelnd und inspirierend war es. Die Ungarn und ihr niederländischer Primás haben sich die Bravi verdient.

© SZ vom 13.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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