Zorneding:Mahner gegen Gier und Geiz

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200 Gäste sind in den Gemeindesaal der Zornedinger Christophoruskirche gekommen, um die Thesen des streitbaren Heiner Geißler zu hören. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Der CDU-Politiker Heiner Geißler liest in Zorneding aus seinem Buch "Was müsste Luther heute sagen?". Der 85-Jährige spart nicht an Kritik an Religionen, die sich nicht gegen die Auswüchse der Weltwirtschaft wehren

Von Max NahrhaFT, Zorneding

Das Christentum sollte seine Spaltung in Katholiken und Protestanten überwinden und gemeinsam die Probleme in Deutschland und der Welt anpacken. So interpretiert Heiner Geißler die Botschaft Martin Luthers in die heutige Zeit und appelliert auch an die Kirchenführer. Am Donnerstagabend stellte der prominente CDU-Politiker vor großem Publikum sein aktuelles Buch "Was müsste Luther heute sagen?" vor. Der Raum im evangelischen Gemeindezentrum reichte für die fast 200 Gäste nicht aus, so wurde er kurzfristig um den Saal der Christophoruskirche erweitert, um alle Interessierten unterzubringen.

Der 85-jährige Katholik war Jahrzehnte lang in verschiedensten politischen Ämtern als Bundesminister, Generalsekretär und Abgeordneter aktiv und ist bis heute als exzellenter Redner bekannt. Seit 1997 ist er gefragter Schlichter, zuletzt beim Projekt Stuttgart 21.

Auf die Frage, wie der Reformist Luther die Welt sehe und sie verändern würde, hat Geißler klare Antworten. Zum einen erkennt er die Diskriminierung der Frau und die Starrheit der katholischen Kirche als Problem, zum anderen lasse sich das heutige Weltwirtschaftssystem nicht mehr mit religiösen Werten vereinen und sollte durch geschlossenen Widerstand aller Christen verändert werden.

"Die Ungleichbehandlung der Frau in der katholischen Kirche ist durch eine fortlaufend falsche Übersetzung vieler wichtiger Bibelpassagen begründet", stellte Geißler fest. Viele Theologen hätten die Bibel so ausgelegt, wie es ihnen in das bestehende Kirchenbild passte. Durch die Frau komme eben nicht die Sünde in die Welt, wie es in der Geschichte von Adam und Eva heißt. Geißler sieht in ihr vielmehr eine tapfere Figur, die Zeugin der Auferstehung Jesu war, während die Männer aus Furcht vom Grab geflohen sind. Der Vorbehalt geistiger Ämter für Männer und das Zölibat in der katholischen Kirche ließen sich durch die Theologie nicht begründen und seien durch die frühen Kirchenväter geschaffen worden. "In dieser Hinsicht hinke die katholische Kirche der evangelischen noch 500 Jahre hinterher, die sich schon durch die Reformation 1517 von dieser starren Verschlossenheit getrennt habe", sagt Geißler, der selbst einmal Mitglied eines katholischen Jesuitenordens war. In der evangelischen Kirche sei die Ehe eben kein Sakrament, und die häusliche Gewalt sei kein Tabu-Thema mehr. Heiner Geißler sagt auch, dass das Papsttum und die ewige Hierarchie der katholischen Kirchenvertreter ein veraltetes Konzept seien. "Gott ist allgegenwärtig und braucht keine mittelbare Weltlichkeit."

Seit 2007 ist Geißler trotz heftiger Kritik aus der eigenen Partei Mitglied der globalisierungskritischen Organisation Attac, deren Positionen sich auch in seiner Interpretation von Luthers Ideologie widerspiegeln. Das neoliberale Weltwirtschaftssystem mache den Mensch zum Kostenfaktor der Großkapitalisten und breche mit den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft. Der CDU-Politiker ist empört: "Gier, Geiz und Geld bestimmen das Zusammenleben, die Sozialethik und die religiöse Menschenwürde werden völlig in den Hintergrund gedrängt." Solch eine Entwicklung führe zu sozialer Ungleichheit, Hunger, Armut und Flucht auf der ganzen Welt. Geißler spitzt es polemisch zu: "Es gibt auf der Erde Geld wie Dreck, es haben nur die falschen Leute."

Hier sieht er die christliche Kirche und alle Religionen dieser Welt in der Pflicht, solche Missstände anzuprangern: "Es gibt fast zwei Milliarden Christen weltweit, sie haben die Macht und die Möglichkeit, etwas zu verändern, wenn sie geschlossen zusammenstehen." Luther würde heute eine Annäherung der christlichen Kirchenflügel fordern. Dafür müssten aber besonders die katholische und orthodoxe Kirche noch ihre Liberalität und Säkularität unter Beweis stellen. Die Kirche solle das Konzept christlicher Werte in der Politik und der Weltwirtschaft vertreten, dann ist sozialer Wandel realisierbar.

Voraussetzung hierfür ist eine klare Trennung der Kirche von Geld und Staat, wie sie Martin Luther vor 500 Jahren gefordert hat. Er erkannte den Ablasshandel als Ausdruck der Verflechtung von Staat und Kirche. Dass eine konsequente Trennung auch heute in vielen Ländern noch nicht stattgefunden hat, macht Geißler am Beispiel der orthodoxen Kirche in Russland deutlich. Die russische Punkrock-Band Pussy Riot vertrete heute ähnliche Positionen wie Luther und wurde wegen ihrer Kritik an Regierung und Kirche inhaftiert. Zum Schluss appellierte Geißler: "Wir müssen uns christliche Werte wieder bewusst machen und geschlossen gegen Unrecht vorgehen." Das Publikum lauschte gespannt seinen Worten und klatschte am Ende tosenden Beifall.

© SZ vom 13.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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