Weitere Vorstellungen:Mitten im Dschungelbuch

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Eine Anstiftung zum Hinsehen: "Das Dschungelbuch" am Theater Wasserburg. (Foto: Christian Flamm/oh)

Die Inszenierung am Wasserburger Theater zeigt überraschende Seiten des Klassikers - und bietet wahrlich mitreißende Bühnenkunst

Von Ulrich Pfaffenberger

It's a jungle out there." Mit diesem Song von Randy Newman beginnt und endet "Das Dschungelbuch", wie es das Theater Wasserburg gerade auf die Bühne bringt. Dieser geistreiche Schachzug der Regie verändert die ganze Wahrnehmung aufs Stück. Denn die, die das Lied singen, sind die Bewohner des Dschungels und sie richten ihren Blick nach draußen, zum Publikum, zu den Betrachtern aus der vermeintlichen Zivilisation, die gekommen sind, um sich einen Einblick in das wilde Leben zu gönnen. Pustekuchen! Die Wilden, das sind wir selbst.

Die farbenfroh-skurrilen Masken von Shere Khan, King Louie und Bagheera signalisieren gleich noch etwas: Das hier ist keine Neuauflage eines kuscheligen Zeichentrickfilms. Hier hat sich ein Ensemble das Werk Rudyard Kiplings im wahrsten Sinn des Wortes zu Herzen genommen und in seine eigene Sprache übersetzt. Dabei, so kennt man die Wasserburger, nähern sie sich den Botschaften und der Moral eines Stücks so sehr, dass es oft schmerzt, so genau hinsehen und hinhören zu müssen. Gleichzeitig erfreuen sie ihr Publikum dabei mit so feiner Intonation und so sorgsamem Sprachgebrauch, dass man fortlaufend Bravo rufen möchte. Das Tempo ihrer Dialoge und die Frechheit, die ihnen die Freiheit ihrer Inszenierung erlaubt, sind von beispielhafter Qualität. Einmal mehr treten sie damit in Wasserburg den Beweis für die These an: Egal, was dort gespielt wird, es ist das Hingehen immer wert.

Eine Anstiftung zum Hinsehen ist schon das schlichte, gleichwohl vieldimensionale Bühnenbild. Der stegähnliche Tisch, den sich Mowgli als Spielplatz gewählt hat und der wie eine Brücke hinaus aus dem Dschungel wirkt: Anna Tripp, Kind, Heranwachsende, Nicht-Erwachsenwerdenwollende bespielt ihr Territorium so unverkrampft und lebendig, dass man ihr mühelos folgt auf dem Weg in ihre Gedanken und Gefühle. Die transparenten, schwarzen Vertikaltücher, die von der Decke hängen, gegeneinander versetzt und vom leisesten Lufthauch in Bewegung versetzt: Der Dschungel, den sie darstellen, ist nicht undurchdringlich, sondern transparent; aber es sind seine Bewohner, die sichtbar machen, was ihre Welt bewegt. Selten ist man von Bühnenaufbauten so wenig abgelenkt, selten richten sie die Aufmerksamkeit so sehr aufs gesprochene Wort und die gezeigte Geste. Auch das Orchester aus Elefanten, Affen, Wölfen und Geiern ist uns dauerhaft präsent, was der Aufführung unversehens die Atmosphäre eines Live-Konzerts beschert, ohne dass sie in ein Musical abdriften würde. Zudem sind die gewählten Titel und Arrangements keine Begleitung der Szenen, sondern ihre Betonung, ihre Farbe. So soll Bühnenmusik sein - und es verdient alles Lob, wenn ein Theater sich diesen Aufwand leistet.

Die Zeit verfliegt bei diesem Bühnenstück, so, als stünde man selbst mittendrin in einer nicht näher definierten Rolle, aber als Dazugehöriger. Man ahnt, was als nächstes geschieht, um dann umso überraschter zu sein, dass es tatsächlich eintrifft: der bissige Tiger, der nicht beißt (aber mit seinem Hoverboard den Raum in königlicher Manier beherrscht); der kraftvolle Bär, der Zärtlichkeit zeigt, wo sie schon längst verloren scheint; die listige Schlange, die sich der Wahrheit hingibt, wo doch die Lüge so praktisch wäre. Als steckte man selbst in Mowglis Haut, vollzieht sich durch das Wirken der Tiere der Wandel vom "Ich" zum "Wir", der den Dschungel überwindet. Mitreißende Theaterkunst!

Zumal, wie könnte es auf dieser Bühne anders sein, das Ensemble auch personell ans Limit geht: Für elf Rollen stehen sechs Schauspieler auf der Bühne. Im Abstand von Minuten wechseln sie die Haut und machen damit sichtbar, wie wenig die Hülle zählt und wie viel der Inhalt. Susan Hecker gibt einen Shere Khan, der jedem Land dieser Erde als Präsident wohltäte, jedem. Hilmar Henjes holt aus Akela, King Louie und Colonel Hathi heraus, was an tierischer Lässigkeit in ihnen steckt. Nik Mayr ist als Bagheera und Tabaqui sprachlich und musikalisch das reine Vergnügen. Annett Segerer befreit ihren Baloo und ihre Kaa mit Esprit und Eleganz aus ihren Rollenmustern; und Wolfsmutter Raksha und Ursula, die unbedarfte Touristin, finden in Regina Alma Semmler jemanden, der im virtuosen Umgang mit der Stimme die Untiefen des Seelenlebens auslotet. Die Regisseure Uwe Bertram und Frank Piotraschke haben nicht nur das Glück, dass sie über ein so gut ausbalanciertes Ensemble verfügen, sondern dass dieses seinen Freiraum zu nutzen versteht.

Wir vermeintlich Unbeteiligten erleben ein Schau-Spiel im besten Sinne, das uns in seinem Verlauf immer mehr in sich hineinzieht. Der Abstand zwischen Bühne und Zuschauerraum ist in Wasserburg sowieso schon minimal. Beim "Dschungelbuch" verschwindet er ganz. Darum kommt der rauschende Schlussapplaus auch nicht von außen, sondern von innen.

"Das Dschungelbuch" am Theater Wasserburg: Weitere Aufführungen am 1.,2.,20.,21.,22.,28.,29. und 30. Dezember sowie am 11.,12.,13. Januar und 1.,2.,3. Februar. Karten gibt es unter www.theaterwasserburg.de oder an der Abendkasse.

© SZ vom 29.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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