Wege aus der Abhängigkeit:Der letzte Schluck

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Der Kreuzbund Markt Schwaben feiert das 25-jährige Bestehen seiner Selbsthilfegruppe für Alkoholkranke. Deren Leiterin geht mit ihrer früheren Sucht offen und ehrlich um

Von Jessica Schober, Markt Schwaben

Der letzte Schluck, das weiß Monika Fink noch genau, war ein Wodka. Als sie an jenem Nachmittag vor mehr als 20 Jahren von der Arbeit nach Hause kam, brach sie zusammen. Sie konnte einfach nicht mehr. Die Jahre davor bezeichnet sie heute als "extremes Trinken", damals jedoch hatte die kaufmännische Angestellte den schleichenden Prozess kaum bemerkt.

Jeden Abend ein Glas Wein oder Bier zum Essen, so fing es an. Irgendwann Cognac gegen die Einschlafprobleme, dann erstmals Hochprozentiges zum Frühstück - und da dachte sie noch "Hoppla". Lügen und Ausreden finden wurde zu Finks Alltag. "So viel trinke ich doch gar nicht!", rief die damals 43-Jährige, als eine Freundin sie zum Arzt brachte. Doch dort verstand sie, dass sie Hilfe brauchte. Sie ging für acht Wochen in eine Klinik und trat danach einer Selbsthilfegruppe in Markt Schwaben bei. Sie überwand die Sucht, trank nie wieder einen Tropfen. Seit nun 15 Jahren leitet sie die Selbsthilfe- und Helfergemeinschaft für Suchtkranke und Angehörige des Kreuzbundes.

Jenen Satz, der Fremde zunächst zusammenzucken lässt, sagt die 64-jährige gebürtige Frankfurterin ohne die Stimme zu senken: "Ich bin trockene Alkoholikerin." Auch wenn die gepflegte Dame in Bluse und Jeansweste mit den gründlich manikürten Fingernägeln und dem warmen Blick nicht aussieht, wie sich mancher eine Abhängige vorstellt, sagt sie: "Die Rückfallgefahr begleitet einen Suchtkranken das ganze Leben." Deshalb, nein, kein Tiramisu für Frau Fink, auch kein alkoholfreies Bier, denn "das Suchtgedächtnis lauert immer im Hintergrund". Selbst bei einem Schweinebraten fragt Fink bis heute nach, ob er mit Biersoße zubereitet wurde.

Die Selbsthilfegruppenleiterin hat einen langen Weg hinter sich. Heute ist sie Ansprechpartnerin und Vorbild für viele, die im Landkreis mit Abhängigkeiten kämpfen. Acht bis zwölf Menschen kommen jeden Mittwochabend um 19.15 Uhr zu dem Gruppentreffen, gerade erst sind drei neue Teilnehmer hinzugekommen. Derzeit ist die Jüngste 36 Jahre alt, der Älteste Anfang 70. Sucht kennt kein Milieu: Es kommen Beamte, Ingenieure, Ärzte, Handwerker und Informatiker. Wenn sie Monika Fink das erste Mal sehen, sagen einige: "Das hätte ich ja nie gedacht, dass Sie Alkoholikerin sind". Die Brünette lacht dann herzlich und nimmt es als Kompliment. Ihr ist der offene Austausch über Süchte ein Herzensanliegen. Das Besondere an der Organisation des Kreuzbundes sei, dass dort niemand aus der Erkrankung ein Geheimnis mache.

Was Fink heute weitergeben will, ist die feste Überzeugung, "wie sehr es sich lohnt, abstinent zu leben". Es koste immerhin wahnsinnig viel Energie, ständig neuen Stoff zu besorgen und das Leergut zurück zu bringen - diese Energie würde nach einer Therapie wieder frei. "Es ist nicht einfach aufzuhören", gibt Fink zu. "Viele erleben Scham und Schuldgefühle, aber in den vergangenen Jahren hat sich auch in der Gesellschaft viel getan." Arbeitgeber hätten heutzutage häufiger Suchtbeauftragte. Auch ihre eigene Ausbildung als Suchtkrankenhelferin sei Fink von dem Lebensmittelkonzern finanziert worden, bei dem sie arbeitete. Nach ihrer Therapie hatte Fink sich vor ihrem Chef und der Personalabteilung geoutet, von allen Seiten bekam sie Zuspruch und Anerkennung. Heute beklagt sie vor allem, dass der Mischkonsum zugenommen habe. Alkohol, Medikamente, Drogen. "Es gibt kaum mehr jemanden, der nur von einer Substanz abhängig ist." Furchtbar ist für sie die tägliche Präsenz des Alkohols. "Zur Wiesnzeit mit der U-Bahn zu fahren ist eine Strafe für Suchtkranke." Auch die Fernsehreklame, die vor allem bei Sportberichten mit Bierwerbung durchsetzt sei, bereite ihr Sorgen. Einen Tipp hat sie noch für Angehörige: Man sollte nie einen Süchtigen auf seine Abhängigkeit ansprechen, wenn er betrunken ist. Nüchtern erreiche man Betroffene besser.

Monika Fink, 64, trank Cognac, um besser schlafen zu können. Dann erkannte sie, dass sie Hilfe braucht. (Foto: Privat)

Nach den wöchentlichen Gruppensitzungen fühlt sich Fink oft erleichtert, manchmal aber auch wie erschlagen. Sie ist nah dran an den Familien. Neulich, bei einem Rückfall, verständigten Angehörige die ehrenamtliche Helferin; noch am Telefon konnte sie den Verzweifelten zu einer Entgiftung und einer neuerlichen Therapie bringen. "Ich habe Alkohol damals als Medizin verwendet, als Seelentröster", erzählt sie. Dabei gäbe es so viele bessere Mittel und Wege. In ihrer Gruppe wird auch viel gelacht. "Wir freuen uns mit, wenn ein Gruppenmitglied zum Beispiel einen neuen Arbeitsplatz gefunden hat - wir treffen uns nicht nur, um unser Leid zu klagen.

Am Samstag, 15. September, feiert der Kreuzbund sein 25-jähriges Bestehen von 14.30 Uhr an im Katholischen Pfarrheim in der Webergasse 3. Um Anmeldung unter mh_fink@yahoo.de wird gebeten.

© SZ vom 12.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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