Wasserburg:Überleben im Wartesaal

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Gabersee und Attel waren nach dem Krieg jüdische Enklaven

"Gabersee und Attel: Wartesäle zur Emigration" lautet der Titel eines Buchs von Jim G. Tobias und Nicole Grom über die jüdischen "Displaced Person Camps" in Wasserburg, das am Montag, 2. Mai, um 18 Uhr im Sparkassensaal in der Rosenheimer Straße 2 in Wasserburg vorgestellt wird. Zwischen 1946 und 1950 lebten dort mehr als 2000 Menschen jüdischen Glaubens aus Polen, Ungarn, Rumänien und der Tschechoslowakei. Die ehemaligen Heil- und Pflegeanstalten Attel und Gabersee, die in das verbrecherische Euthanasieprogramm verstrickt waren, verfügten über die notwendige Infrastruktur zur Unterbringung von Hunderten Menschen.

"Wir waren aus den Fängen des Todes befreit, hatten keine Todesangst mehr, aber wir waren nicht frei, ohne Angst zu leben", erinnert sich die jüdische Ärztin und Shoa-Überlebende Hadassah Bimko Rosensaft. Dennoch begriffen die Überlebenden den Aufenthalt in den als "Wartesälen" aufgefassten Lagern als Fortsetzung ihres Überlebenskampfes. Die Lager unterstanden zwar offiziell der Verwaltung der UN-Hilfsorganisation United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA), doch erlaubte die US-Militärregierung den Bewohnern weitgehende Autonomie. Die Gläubigen konnten nach den Gesetzen ihrer Religion leben: Der Lagerrabbiner sorgte dafür, dass eine Synagoge, eine Jeschiwa (Jüdische Religionshochschule), eine Mikwe (Ritualbad) und eine koschere Küche eingerichtet wurden. Die Freizeit verbrachten die Menschen in der lagereigenen Bibliothek oder im Sportverein. 1950 schlossen die "Wartesäle" ihre Pforten. Viele Juden fanden nach Staatsgründung, im Mai 1948, in Israel eine neue Heimat, andere wanderten in die USA, nach Kanada oder Australien aus. Um die Geschichte der jüdischen Enklaven erzählen zu können, haben die Autoren Unterlagen der Lager-Verwaltung, Akten der Militärregierung und der UN-Hilfsorganisationen sowie jüdischer Wohlfahrtsverbände ausgewertet. Das Buch wird am Abend der Buchvorstellung erhältlich sein. Die Publikation wird herausgegeben im Auftrag des Nürnberger Instituts für NS-Forschung und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts e. V. (www.nurinst.org) und der Stadt Wasserburg am Inn.

© SZ vom 23.04.2016 / SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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