Wanderung:Gefiederte Philharmoniker

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Bei einer Vogelstimmenwanderung am Egglburger See in Ebersberg mit Günter Pirzkall hören die Teilnehmer die Rufe und Gesänge vieler heimischer Arten von Amsel bis Zilpzalp

Von Rita Baedeker, Ebersberg

Ein bisschen ist es so wie bei den Philharmonikern. Die einen haben das Thema, geben den Ton an, andere gehören zur Rhythmusgruppe und tragen mit Schlägen und Pfiffen perkussiv zum Gesamtklang bei. Und wieder andere glänzen mit einem Solo, so wie der Kuckuck, der gerade vom anderen Ufer seinen charakteristischen Ruf ertönen lässt. Nur einer fehlt in dem ganzen gefiederten Orchester: der Dirigent. Ganz zufällig ist die Satzfolge des Konzerts trotzdem nicht: Jede Vogelart hat ihren Auftritt zu einer bestimmten Uhrzeit.

Bei der Vogelstimmen-Wanderung nach Feierabend am Egglburger See haben die etwa dreißig Teilnehmer, ausgerüstet mit wetterfestem Schuhwerk und Ferngläsern, Gelegenheit, den vielstimmigen Kompositionen aus Büschen, Bäumen und Schilf zu lauschen. Sie erfahren, wer gerade singt, welche Vogelarten brüten oder demnächst eine Familie gründen werden. Organisiert hat den Ausflug Richard Straub, der Vorsitzende der Ebersberger Kreisgruppe des Landesbundes für Vogelschutz. Zu Beginn verteilt Straub Infomaterial zu der an diesem Pfingstwochenende bundesweit veranstalteten Aktion "Stunde der Gartenvögel", einer Art Volkszählung vor der Haustür.

Die Teilnehmer der Wandergruppe sind jedoch schon froh, wenn sie die Vögel überhaupt zu Gesicht bekommen. Günter Pirzkall, erfahrener Hobby-Vogelkundler, der seit vielen Jahren im Auftrag der Ornithologischen Gesellschaft die Vögel am Ismaninger Speichersee zählt, kann trotz des menschengemachten "Geschnatters" um ihn herum viele Rufe identifizieren. Er erkennt die Mönchsgrasmücke an ihrem "tak-tak-tak", die Kohlmeise am charakteristischen "Tzitzetzi", er identifiziert den perlenden Gesang des Rotkehlchens und den schrillen hohen Alarmruf der Wacholderdrossel. Diese Warnung, so Pirzkall, verstehen auch die anderen Arten. "Wenn der ertönt, dann wird's ernst!" Die ganze Vogelschar scheint versammelt, von Amsel bis Zilpzalp, "der so heißt wie er klingt", erklärt Pirzkall.

Nur langsam setzt sich der Zug in Bewegung. Mehr als 30 Teilnehmer machen sich auf, um den Liedern heimischer Singvögel zu lauschen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Dass im Frühling die Gesangsdarbietungen so intensiv und vielstimmig sind, hat einen einfachen Grund: Die heimgekehrten Vögel singen, weil sie auf Partnersuche sind, sagt Günter Pirzkall. Singles müssen sich eben etwas einfallen lassen. Mit seinem Gesang stellt der Vogelmann zunächst mal klar, wer im Revier das Sagen hat. Außerdem will er mit seiner Melodie ein Weibchen anlocken. Und nicht nur frühmorgens sind die Herren bei Stimme. Die Amsel etwa ist mit ihren gefühlvollen Serenaden, gern an exponierter Stelle vorgetragen, unübertroffen. Vom Dach des Wirtshauses "Zur Gass" klingt gerade eine herzergreifende Weise durch die anbrechende Dämmerung. Ist das Nest gebaut, sind die Jungen geschlüpft, ist es meist vorbei mit der Singerei. Vogeleltern haben dann Besseres zu tun.

Damit die Wanderer die Gesänge besser voneinander unterscheiden können, hat Günter Pirzkall einen "Birdmike" genannten Hörstift dabei, mit dessen Hilfe er ein Vogelwunschkonzert vorspielen kann. Er tippt mit dem Hörstift einfach nur auf das Bild eines Vogels sowie eines von zwei farbigen Feldern, schon erklingt Ruf oder Gesang. 290 verschiedene Vogelarten sind gespeichert. Manchmal, berichtet Pirzkall, fühlten sich die Vögel zu einem Sängerwettstreit herausgefordert und sängen sich die Kehle aus dem Leib, wenn er das Gerät benutze. Sie können schließlich nicht wissen, dass es kein Konkurrent ist, der da sein Liebeslied in den Abend schmettert.

Eigentlich war ein Spaziergang von gut fünf Kilometern geplant, aber es gibt so viel zu hören und zu sehen, dass die Wanderer nur langsam vorankommen, nach nicht mal einem Drittel des Weges wird beschlossen, allmählich umzukehren. Doch auch die kleine Runde bietet eine reiche Ausbeute. Amsel und Sperling kehren mit Nistmaterial in Form von Gras und Zweiglein im Schnabel zu ihren Nestern zurück, die Lachmöwe, die am Egglburger See selten geworden ist, genießt den Feierabend auf dem Dach des Badehäuschens. Nur etwa 20 Paare gebe es noch, sagt Pirzkall. Als Grund nennt er die Schließung der Mülldeponie Schafweide mit ihrem Nahrungsangebot, auch die Angst der Seevögel vor Fuchs und Marder spiele eine Rolle, seit die Schilfinseln immer mehr verschlammen und damit für die Räuber besser erreichbar geworden sind.

Ja, wo fliegen sie denn? Günter Pirzkall (Mitte) stellt schon mal das Fernglas scharf auf eine Kolonie Graugänse. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Durch leise gesungene Lieder dringt plötzlich das Klacken eines Kolkraben. Und einer der Teilnehmer sagt: "Mach doch mal die Heckenbraunelle, die singt so schön!" Pirzkall hat auch die in seinem Stimmenarchiv, meint aber, "die quietscht doch wie ein Kinderwagen."

Menschen, die Vögel beobachten, bewegen sich nach an einer ganz bestimmten Choreografie. Köpfe und Ferngläser folgen jeweils dem ausgestreckten Arm des Experten. Jeder Winkel im Geäst wird abgesucht. Irgendwo wurde ein Gartenbaumläufer entdeckt. Doch ehe man das Fernglas scharf stellen kann, ist er schon über alle Wipfel.

Häufig am See anzutreffen sind heimische Arten wie Blau- und Kohlmeise, Finken, Sperlinge, Stare, Rauchschwalben und Grünspechte. Andere wieder sind nur auf der Durchreise. Die Fluss-Seeschwalbe etwa ist unterwegs Richtung Landshut und Ammersee, sagt Pirzkall. "Die Tiere wollen zu den Nistflößen, einer Art künstlicher Inseln, die als Brutplätze dienen." Auch die große Mittelmeermöwe sei Gast im Revier. Ähnlich wie die schwarzen Trauerseeschwalben und die Gänsesäger, die gen Norden ziehen. Der Schilfgürtel in diesem Naturschutzgebiet ist auch ein wichtiger Lebensraum für Teich- und Schilfrohrsänger, Haubentaucher und andere Arten. Auf der besonnten Wiese am anderen Ufer haben sich Dutzende Graugänse niedergelassen, in einem Tümpel der Weiherkette schwimmen farbenfrohe Löffelenten. Auch sie sind "Touristen" und werden nach einer Brotzeitpause weiterziehen.

Hier am Egglburger See scheint die Vogelwelt noch in Ordnung zu sein. Doch Günter Pirzkall dämpft die Freude. Am besten dran seien die Waldvögel, sagt er. Feldvögel jedoch, etwa die Goldammer, sind angewiesen auf intakte Felder, auf Wegraine und eine Vielfalt von Samen und Insekten. "Früher hat es am Egglburger See noch Feldlerchen gegeben, aber die Arten nehmen bis zu 30 Prozent ab." Ein Grund sei die intensive Landwirtschaft, in der es zu wenig Brachflächen gebe. "Man müsste den Landwirten Ausgleichszahlungen für solche Flächen anbieten", sagt Pirzkall. Ein weiterer Grund sei der grundsätzlich erwünschte Umstieg auf regenerative Energien, der einher geht mit dem großflächigen Anbau von Raps und Mais. Der aber führe wiederum zum Verlust von Lebensraum für Vögel.

Allmählich wird es dunkel am See. Im Schilf wispert und knackt es. Nachtgeräusche. Nahe der Gastwirtschaft, dem Ziel der Wanderung, hebt sich die Silhouette eines Raubvogels vom Himmel ab. Lautlos zieht er seine Kreise. Für Gesang hat er wohl eher nichts übrig.

© SZ vom 14.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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