Votum im Landtag:Letzte Ausfahrt

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An diesem Donnerstag könnte die Entscheidung darüber fallen, ob die Gemeinde Vaterstetten ihr ehrgeiziges Gewerbeprojekt an der A 94 umsetzen kann

Von Wieland Bögel, Vaterstetten

Die Frage, ob die Großgemeinde bald Industriestandort wird, könnte an diesem Donnerstag endgültig beantwortet werden. Allerdings nicht von den Vaterstettenern oder den ansiedlungswilligen Unternehmen, sondern vom Ausschuss für Staatshaushalt und Finanzfragen des bayerischen Landtages. Dort wird voraussichtlich an diesem Donnerstag darüber entschieden, ob der Freistaat ein Grundstücksgeschäft mit Vaterstetten und der Immobilienfirma VGP eingeht.

Seit mehr als zwei Jahren gibt es diverse Bestrebungen, ein etwa 60 Hektar großes Areal in Parsdorf nördlich der Autobahn A 94 zu entwickeln. Anfang 2017 nahm man den Streit der Stadt München mit den Fruchthändlern zum Anlass, sich mit letzteren medienwirksam über einen Neubau einer Großmarkthalle in Parsdorf auszutauschen. Das war zwar ein ziemlich durchschaubarer Bluff, die Entwicklung der Flächen war aber durchaus ernst gemeint.

Ende 2017 wurden Pläne des Autobauers BMW für ein Logistikzentrum in Parsdorf bekannt. Auch ein damals noch nicht näher benanntes Industrieunternehmen sollte sich mit seinem Produktionsstandort und mehr als 1000 Arbeitsplätzen ansiedeln. Spekulationen, wonach es sich dabei um Krauss-Maffei - der Maschinenbauer, nicht die Waffenfabrik - handeln könnte, wurden Anfang 2018 bestätigt. Die Firma kündigte an, ihren bisherigen Standort in München-Allach von 2022 an nach und nach aufzugeben und binnen fünf Jahren komplett nach Parsdorf umzuziehen.

Einen Schönheitsfehler hat die ganze Sache indes: Das Grundstück gehört zum Staatsgut Grub, ist also im Eigentum des Freistaates. Darum hatte sich die Gemeinde mit der Firma VGP zusammengetan, die vor einigen Jahren eine Fläche bei Neufarn erworben hatte - die allerdings für eine Gewerbeansiedlung nicht in Frage kommt. Daher sollte sie dem Freistaat als Tauschfläche angeboten werden. Knackpunkt ist allerdings, dass der Wert der beiden Flächen unterschiedlich ist - darüber, wie viel Gemeinde und VGP dem Freistaat zusätzlich zum Grundstück noch zahlen müssen, streiten seit gut zwei Jahren die Gutachter.

Auch wenn Gemeinde und Projektentwickler sich bei der Summe in hartnäckiger Schmallippigkeit üben, lässt sich ungefähr schätzen, um wie viel es geht: So sind im Vaterstettener Haushalt für 2019 für Grunderwerb Ausgaben von knapp 20 Millionen Euro eingestellt. Da die Gemeinde - derzeit - zu einem Drittel an der Entwicklungsgesellschaft mit VGP beteiligt ist, geht man offensichtlich von um die 60 Millionen Euro aus, die man dem Freistaat bezahlen muss. Bürgermeister Georg Reitsberger (Freie Wähler) nannte in einer - wenn auch später als Missverständnis bezeichneten - Aussage sogar 100 Millionen Euro, die der Freistaat haben wolle.

Was nicht ganz unerheblich ist für die Frage, ob sich das Gewerbegebiet überhaupt lohnt. In einem Pressegespräch vor einem Jahr bezifferte der Zweite Bürgermeister Martin Wagner (CSU) den durch Schulen, Kinderbetreuung und die neue Bücherei nötigen, zusätzlichen Finanzbedarf der Gemeinde auf etwa fünf Millionen Euro pro Jahr. Dies hoffe man mindestens an Steuereinnahmen durch das Gewerbegebiet zu erwirtschaften.

Je teurer dieses in der "Anschaffung" aber ist, desto länger wird der Geldsegen auf sich warten lassen. Bei den 20 Millionen Euro Gemeindeanteil würde also erst im fünften Jahr Profit erwirtschaftet - vorausgesetzt, die Firmen zahlen tatsächlich Steuern in erwarteter Höhe. Doch selbst wenn, bis diese erreicht ist, dürfte es einige Zeit dauern, schließlich werden zuerst die Kosten für die Ansiedlung steuermindernd abgeschrieben. Nimmt man 2027 als Startpunkt, dürfte die Gemeinde wohl erst nach 2030 profitieren - wie lange danach, hängt davon ab, wie hoch die Kompensation an den Freistaat ausfällt.

Dass diese Rechnung auch einige im Gemeinderat anstellen - und andere ihre Richtigkeit bezweifeln -, zeigte sich Anfang Juni. Da hatten die Gemeinderäte in nichtöffentlicher Sondersitzung über den Grundstücksdeal beraten. Zum Ergebnis gibt es zwar offiziell keinen Kommentar, bezeichnend war allerdings eine Wortmeldung des CSU-Fraktionssprechers Michael Niebler im öffentlichen Gemeinderat zwei Tage später: Er wollte beim Punkt "Jahresrechnung für das Haushaltsjahr 2018" von der Kämmerei sinngemäß wissen, ob ohne zusätzliche Einnahmen langfristig Überschuldung drohe. Dass die Antwort darauf Ja lautet, ist im Gremium unbestritten - da Niebler diese "Frage" aber an die Gemeinderäte von SPD und Grünen gewandt stellte, lässt sich vermuten, dass diese in der vorangegangenen Sitzung gegen den Grundstücksdeal gestimmt haben.

Und offenbar damit unterlegen sind. Denn in der Sitzung des Grundstücks- und Bauausschusses am Dienstag kommender Woche steht das Projekt "Gewerbepark nördlich der A 94" auf der Tagesordnung, beschlossen werden soll die erneute Auslegung. Das bedeutet, das Gremium stimmt grundsätzlich zu, dass auf der Fläche gebaut werden darf. Sobald die Auslegungsfrist - in der Regel 30 Tage - vorbei ist, ohne dass Stellungnahmen eingegangen wären, die Änderungen erforderlich machen, besteht auf der Fläche Baurecht.

Was indes nur sinnvoll ist, wenn das Grundstück bis dahin den Besitzer gewechselt hat. Zumindest auf diese Aussage will man sich auch im Rathaus festlegen. Georg Kast, als Wirtschaftsförderer zuständig für das Projekt, sagt, er gehe schon davon aus, dass es bis Dienstag eine Einigung mit dem Freistaat gibt, und "dass Baurecht geschaffen wird auf einem Grundstück, das dem Projektträger gehört".

Alles andere wäre allerdings auch höchst unwahrscheinlich: Denn dass die Gemeinde dem Freistaat ein landwirtschaftliches Grundstück quasi vergoldet, indem sie dessen Acker- zu Bauland aufwertet, haben bislang sogar die sonst so gewerbeeuphorischen Fraktionen der CSU und Freien Wähler ausgeschlossen.

Was aber bedeutet: Kommt der Grundstücksdeal nicht vor kommendem Dienstag zustande, gibt es nicht nur keinen Bebauungsplan - es gibt möglicherweise gar kein Gewerbegebiet. Denn BMW hat bereits klar gemacht, sich nur ansiedeln zu wollen, wenn bis Herbst Baurecht besteht. Krauss-Maffei hat zwar einen längeren Zeitplan, dennoch müsste ohne BMW die komplette Bauleitplanung von vorne beginnen - ohne dass man beim Grundstückstausch einen Schritt weiter wäre.

© SZ vom 04.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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