So pathetisch es klingen mag: Es war ein Akt der Liebe, was am Donnerstagabend in der Schrottgalerie geschehen ist. Die Glonner Kleinstbühne, seit März geschlossen, sendete erstmals ein Konzert in die Wohnzimmer ihrer Gäste - obwohl eine solche Übertragung eigentlich allem widerspricht, was die Schrottgalerie ausmacht. Sehr persönlich, kuschelig eng, alternativ und vor allem handgemacht geht es dort normalerweise zu, und gerade dafür wird diese Musikbühne von vielen geliebt. Doch in Zeiten einer Pandemie sind solcherlei intime Begegnungen eben unmöglich, und so sprangen jetzt einige über ihren Schatten: das Team der Schrottgalerie, allen voran Hanno Größl und Sven Friedel, aber auch die drei Musiker vom Raumschiff Glitzerbeisl. "Wir sind eine absolute Liveband", sagt deren kreativer Kopf Manuel Kuthan, für die die Nähe zum Publikum essenziell sei. Trotzdem hat sich das Trio nun erstmals auf ein Konzert ohne Zuhörer, auf einen Stream, eingelassen - den Fans, der Musik und der Schrottgalerie zuliebe. "Es ist eine sehr schwierige Situation, viele Künstler und kleine Bühnen kämpfen ums Überleben", so Kuthan. "Deshalb wollen wir jetzt ein Signal setzen, dass uns das alles nicht egal ist!"
Es ist ein seltsames Bild, das sich an diesem Abend in der Glonner Schrottgalerie bietet: Außer den Glitzerbeisls, drei Technikern vom Mastermix-Studio in Unterföhring und dem Team der Bühne ist niemand da. Anstelle von Gästen bevölkert Technik den Raum. Überall Kameras, Mikrofone, Mischpulte, Bildschirme, sogar auf dem alten gusseisernen Ofen steht ein Laptop. Aufschlagen, ratschen, losspielen, Spaß haben? Weit gefehlt! Schon seit halb vier sind Musiker und Techniker damit beschäftigt, alles einzurichten. Was ihr Lohn sein wird, ideell wie finanziell, steht da allerdings noch in den Sternen. Die Schrottgalerie, eine komplett auf Spendenbasis organisierte, freie Bühne hat kein Budget für solcherlei Aktionen, auch online kreist nur "der Hut". Ob es darin wohl rascheln wird? Und wie das Konzert bei den Gästen daheim ankommt, bleibt auch erst mal ein Geheimnis, denn gestreamt wird über Youtube, also ohne direktes Feedback.
"Wir sind heute nur über ein Kabel mit euch verbunden, hoffen aber, dass dennoch ganz viel bei euch ankommt", sagt Kuthan in die Kamera. Der Abend ist also ein Experiment, doch wo, wenn nicht in der Schrottgalerie, die per se so viel Persönlichkeit und Wärme ausstrahlt, könnte es gelingen? Zumal die Bühne den Musikern eine Art Heimstatt ist: Manuel Kuthan lebt in Reinstorf, Heinz Dauhrer in Berganger und Ray Cipolla war lange in Glonn zuhause, nun wohnt er in München. Ein einziges Treffen vor etwa fünf Jahren habe ausgereicht, erzählen die Musiker, um aus ihnen eine Band zu machen, so groß sei die Seelenverwandtschaft. Und genau jene trägt sie auch durch diesen Abend ohne Publikum, die Freude, endlich wieder miteinander spielen zu dürfen, ist dem Trio deutlich anzumerken.
"Austronauten" nennen sich die drei Herzblutmusiker, Glitzerbeisl ist eine österreichisch-bayerische Liaison - in sehr ungewöhnlicher Besetzung: Die Zither trifft hier auf Schlagzeug und Trompete. Ja, richtig, und was herauskommt, ist eine wunderbare, sehr eigenständige Musik, angesiedelt irgendwo zwischen Austropop, Jazz, Chanson und Funk. Fand sich zu Beginn noch der ein oder andere Coversong im Repertoire, ist das Raumschiff mittlerweile ganz im Reich der eigenen Stücke angekommen, demnächst soll das erste Album erscheinen: "Valium One". Dabei ist ein Flug mit dem Raumschiff Glitzerbeisl alles andere als einschläfernd, lotet es doch diverse Höhen und Tiefen aus.
Wie heißt es so schön in einem der neuen Songs? "Mitten ins Leben hinein, brauch i an Freifahrtschein ." Besser könnte man wohl nicht ausdrücken, wohin die Reise hier geht. Rauf auf die Alpen, hinab in die Wiener Unterwelt, die Lieder erzählen von den "Unseligkeiten" des Menschseins, den Launen des Schicksals oder vom schmerzenden "Vaterherz". Kuthan ist nicht nur ein Meister an der Zither - ersetzt mit ihr ganz nach Belieben Gitarre, Bass und Klavier - nein, er ist der Kapitän dieses erstaunlichen Flugobjekts. So platt es klingen mag: Kuthan fühlt, was er singt. Und schont sich dabei nicht im Geringsten. Er beherrscht den Schmäh, das Morbide, kann druckvoll, dreckig, ja fast aggressiv sein, zeigt sich aber auch tieftraurig und verletzlich. Die Rede von der Intimität, die ein Konzert brauche, sie wird hier greifbar.
Der Name der Band übrigens sei einem besonderen Moment geschuldet, erklären die Musiker: Wenn sich in einem Beisl, so etwas wie einer österreichischen Boazn, irgendwann ab Mitternacht die Zeit auflöse, wenn im Bodensatz ein Glitzern entstehe, das sei einfach wunderbar. Sich Zeit zu lassen, vor allem für die Musik, das ist Kuthan und seinen Freunden wichtig. Insofern, sagen sie am Ende, sei das Konzert durchaus "ein Kraftakt" gewesen: Die Atempausen, die der Applaus den Künstlern verschafft, gab es diesmal nicht. Überhaupt: "Das Publikum ist nicht zu ersetzten", zieht Cippola Bilanz. Nicht einmal in der Schrottgalerie. Trotzdem: viel besser als nichts. Um Wiederholung wird also dringend gebeten!
Das Video vom Konzert und weitere Infos gibts unter https://www.glitzerbeisl.de/