Vom Windeleimer über alte Postkarten bis zum Kies:Ramsch und Raritäten

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In der digitalen Flohmarkt-Gruppe des Landkreises gibt es nichts, was es nicht gibt. Welche Menschen tummelt sich dort? Eine Typologie

Von Viktoria Spinrad

Eine Überraschung für werdende Eltern in Form einer nicht essbaren Torten-Imitation aus Windeln und Baby in der Blase findet sich ebenso auf der Seite des Online-Flohmarkts. (Foto: Screenshot/oh)

Hallo, hat zufällig jemand Gehwegplatten, die er los werden möchte?" Das Ansinnen des Baldhamers auf dem digitalen Dauerflohmarkt des Landkreises wirkt zunächst ein wenig aussichtslos. Doch auch bei Bitten nach Bodenbeton sind der Schwarmintelligenz keine Grenzen gesetzt, entfaltet die Facebook-Gruppe ihre magischen Kontakte. Schon wenige Stunden nach dem digitalen Marktschrei preist eine Hohenlindenerin ihre fein geschliffenen Schiefer- und Betonplatten samt Beweisfotos an. Die Sache ist gebongt, die Schmuckstücke wechseln den Besitzer.

Es ist einer von unzähligen Deals, die die Erfolgsgeschichte der größten Facebookgruppe im Landkreis ausmachen. Brautkleider, Bärchen-Buggy, Bällebäder; Tischkreissäge, Terrassentür, Tahiti-Teppich, Medizinschrank, Massagesitz, Mangrovenwurzel - in "Flohmarkt Ebersberg und Landkreis" gibt es alles, was das Herz nicht mehr begehrt. Wobei die Angebote und Gesuche weit über die Landkreisgrenzen hinausreichen. Hier posten nicht nur Ebersberger, sondern auch Rosenheimer, Mühlheimer und Traunsteiner. Sie machen die Flohmarkt-Gruppe zu einer der mitgliederstärksten im Umland.

Dabei gibt es natürlich auch Spielregeln. Wer keinen Preis angibt, dessen Post wird gelöscht. Zudem gilt: kein Spam; keine Beleidigungen, keine Waffen, keine Plagiate, kein Sexspielzeug, keine Lebensmittel, kein Tierhandel. Damit das auch so bleibt, tippt sich der Gruppen-Gründer als digitaler Türsteher jeden Tag etwa 15 Minuten durch die Posts und Mitgliederanfragen. Hat er einen für den digitalen Spielplatz freigeschaltet, haben Verkäufer und Voyeuristen freien Einblick in die Ebersberger Seele. Wer tummelt sich da alles? Eine Typologie.

Die Nostalgiker

Alte Briefmarken auf dem digitalen Dauerflohmarkt des Landkreises. (Foto: Screenshot/oh)

Es dürfte der Anzingerin nicht leicht fallen, ihre Bilder auf gelackten Eisenblechen ("Ferrotypien") in fremde Hände zu geben. Schließlich sind die Bilder aus dem Jahr 1912 zwar "etwas oxidiert", aber eben auch "eine sammelwürdige Rarität". Im Sandwich zwischen drei Soldaten sieht der Interessent ein junges Mädchen - und möglicherweise eine echte Gelegenheit, den eigenen Bestand mit historischem Andenken aufzuwerten. Möglich dürfte das auch mit den anderen in die Jahre gekommenen Schätzen sein: Disney-Bilder, rostiger Holzofen ("mit Kaminanschlussrohr!"), antike Nähmaschine. Ein Faible für Verflossenes hat auch ein Rosenheimer namens Gerhard. Er ist (noch) stolzer Besitzer von geschwungen beschriebenen Postkarten aus Zeiten des bayerischen Königreichs. Wer sich an den "altersgemäßen Gebrauchsspuren" nicht stört, Lust auf eine Ausfahrt nach Kolbermoor hat und verhandlungssicher ist ("Preis nach Vereinbarung"), kann sich ein Stück Vorkriegsgekritzel zu eigen machen.

Die Eltern

Ein Andenken ans Jahr 1912 wird auch angeboten. (Foto: Screenshot/oh)

"Geruch dringt nicht nach außen", verspricht eine Poingerin. Ihr Nachwuchs ist offenbar mittlerweile stubenrein. Nur so ist zu erklären, dass ihr milchkannenähnlicher Windeleimer nun für zehn Euro den Besitzer wechseln soll. Umgekehrt heißt dieses Beispiel: Wer sein Kind großziehen will, ohne Kosten in Höhe eines Einfamilienhauses zu investieren, ist in der Facebook-Gruppe goldrichtig. Puky-Fahrrad, rosa Babytöpfchen mit Winnie Pu für den beglückten Abgang, Lego, Puppenwagen, Lillifee-Set, Windeltorten - hier funktioniert der Generationenvertrag noch. Wobei auch im digitalen Kinderladen Vertrauen gut und Kontrolle besser ist. Das weiß auch eine Bad Aiblingerin. Sie möchte ihren Fahrradanhänger loswerden, in dem Platz für gleich zwei kleine Nervensägen sein soll. Wer sich davon selber überzeugen will und/oder als Kinder-Chauffeur selber noch in den Kinderschuhen steckt, dem bietet die Verkäuferin eine Testfahrt durch Bad Aibling an - vielleicht ist im angepriesenen Stauraum ja sogar noch Platz für den Anzinger Windelmüll.

Die Headhunter

Eigentlich soll die Plattform dem reinen Warentausch dienen. Doch der Fachkräftemangel kolportiert die verzweifelten Rufe nach Bäckern, Köchen und Friseuren auch in die letzten Ritzen des Internets, lässt die Grenzen zwischen Verkaufsbörse und Forum verschwimmen. Die eine sucht eine Aufsicht für die Spielothek, der andere einen Anlagenmechaniker, der nächste eine Bürodame für seinen Malerbetrieb. Ins Auge fällt auch ein Bild eines kulinarisch geprägten Arbeitsplatzes: Es ist der rote LKW einer Ebersberger Metzgerei, die nach einem Fahrer sucht. Bleibt zu hoffen, dass die Kopfjäger einen souveränen Captain für das Weißwurst-Steuer finden, der die Ware ans Ziel bringt, bevor sie wie die Vorkriegsbilder oxidieren.

Die Tierliebhaber

Garten-Deko in Schweinchenform. (Foto: Screenshot/oh)

Wenn es das haarige Heiligtum in den Hunde-, Katzen- oder Hamsterhimmel dahinrafft, stirbt beim Tierhalter nicht selten ein Teil davon mit. Für die geschundene Seele der Besitzer gibt es dank der Gruppe nun Abhilfe: Eine Rosenheimerin bietet an, aus den Tierhaaren Schmuckherzen zu filzen. Mizi als Anhänger - wenn Katzen anderswo sieben Leben haben, sind es in Ebersberg mindestens acht. Überhaupt ist die Börse ein Paradies für gewissenhafte Tierhalter. Von Zeckenhalsbändern, Trainingskutschen und Katzenfutter ("wird von meinen nicht gefressen") gibt es alles. Wer zwar mal streicheln, sich aber nicht gleich binden will, dürfte sich über den mobilen Tierzirkus eines Alexanders freuen. Der möchte mit seinen Gottesanbeterinnen, Vogelspinnen, Asseln und Chamäleons Kindergeburtstage beglücken - und erntet dafür prompt einen kleinen Artenschutz-Shitstorm. Bleibt zu hoffen, dass wie beim Windelmüll nichts nach draußen dringt - Tiere sind auf der Plattform eigentlich untersagt.

Die Altruisten

Eine Feuchttücher-Box von Hipp, ein Trampolin, eine alte Nähmaschine, ein Haselnussstrauch, eine Abzugshaube. Es sind Schätze, die alle eins gemeinsam haben: Ihre Besitzer wollen sie zum Nulltarif loswerden. Das wirft nicht selten Fragen auf. Warum wollen die Besitzer ihre "unbenutzte Feuchttücher-Box" wie Perlen vor die Säue werfen? Wie viele Schnitzel hat die Abzugshaube unter sich versengen sehen? Und wer wird den wahren Wert der Kirchseeoner CD-Sammlung (Marc Terenzi, Silbermond, Usher) erkennen? Weniger romantisch wird es dann, wenn der digital Schatzsuchende erst einmal Hand anlegen muss, bevor er sein neues Hab und Gut in den Kofferraum packt. So verschenkt eine Grafingerin Kies aus ihrem Garten - der muss dafür aber erst einmal eigenhändig ausgegraben werden. Wie heißt es so schön? Nur die Harten kommen in den Garten. Oder eben diejenigen, deren Goldgräberstimmung keine Grenzen gesetzt sind.

© SZ vom 29.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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