Volksfest Grafing:"Die Flasche trinken wir noch, dann gehen wir rein"

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Auf dem Grafinger Volksfest scheinen die Präventionsmaßnahmen zu fruchten. Das ist sonst aber nicht immer der Fall. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Zwei Jahre lang durften die jungen Leute im Landkreis kaum feiern. Über die Verlockungen des ersten richtigen Volksfestes nach Corona - und diejenigen, die der Jugend helfen wollen, nicht total abzustürzen.

Von Alexander Karam, Grafing

Am Eingang zum Volksfest Grafing werden die einströmenden Besuchermengen von einigen Jugendlichen mit Alkoholmessgeräten im Anschlag in Empfang genommen: "Wollts ihr auch einmal pusten?" Leicht lallend lehnt die 21-jährige Anna das Angebot dankend ab. Sie habe heute noch nichts getrunken, sagt sie. Vincent, der einen Moment später kommt, misst gerne seinen Pegel und reagiert enttäuscht, als das Gerät 0,3 Promille anzeigt: "Mist, ich habe 0,4 getippt." Hätte er richtig gelegen, würde ihm ein Autoscooter-Chip zustehen.

Dass hier junge Menschen bei anderen Jugendlichen den Alkoholpegel messen ist Teil des sogenannten Peer-to-Peer-Ansatzes der Stadtjugendpflege Grafing: "Wir gehen offensiv auf die jungen Leute zu und bieten einen Alkoholtest an", sagt die 21-jährige erste Vorsitzende des Grafinger Jugendforums Anna Rätscher.

"Viele der Gäste kennen wir auch persönlich, sei es aus der Schule oder durch gemeinsame Freunde", das bilde eine sehr gute Vertrauensgrundlage, sodass sich niemand der Pustenden abgeschreckt fühle, so Rätscher. Ob der Pegel im bedenklichen Bereich liegt, zeigt dann die "Promille-Karte". Jene die sich bereits im roten Bereich befinden, könnten sich dann mit Wurstsemmel und Wasser neben dem extra eingerichteten Präventions-Container ausruhen.

Anna Rätscher, Jan-Eric Schütt, Lilly Spensberger und Franziska Bolsmann vom Jugendforum klären Gleichaltrige über die Folgen von zu viel Alkohol auf. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Dieser steht an den drei "neuralgischen Tagen" bereit - der Freitag mit dem Anstich, der Mittwoch vor Christi Himmelfahrt und der letzte Volksfest-Freitag. Unter den feierwütigen Jugendlichen sei der Container mittlerweile schon "bekannt und beliebt", so der Jugendpfleger Ibrahim Al-Kass. Dort können junge Besucher sich über die Folgen des übermäßigen Alkoholkonsums beraten lassen: "Wir stehen nicht mit dem erhobenen Zeigefinger da", sagt Al-Kass, vielmehr sollten die Angebote "begleitend als sicherer Ort" dienen. Doch was ist, wenn illegale Drogen im Spiel sind ? Oder wenn unter 16-Jährige mit einer Flasche in der Hand ankommen? "Verurteilt wird niemand, durch gutes Zureden kann man viel erreichen, bei schweren Fällen gehen wir zum Roten Kreuz vor." Dort zeigt Al-Kass auch hin, als ein Jugendlicher auf ihn zugelaufen kommt und fragt: "Meine Freundin braucht ein Pflaster, hast du eins, Himo?"

Bei der Polizei ist man zufrieden, bisher gab es noch keine größeren Eskapaden

Birgit Dimotsios von der Beratungsstelle des Frauennotrufs Ebersberg und Anja Röhrig vom Gesundheitsamt sind ebenfalls vor Ort. Die Koordination laufe hervorragend, so Dimotsios: "Wir sind einzelne Puzzleteile in einem präventiven Gesamtkonzept." Knapp 4500 Euro kostet der Betrieb, doch das lohne sich allemal, so Al-Kass: "Wenn man die Folgeschäden von ungehemmten Alkoholkonsum ohne Präventionsmaßnahmen berechnen würde, wäre das deutlich teurer."

Anja Röhrig vom Jugendamt Suchtberatung und Birgit Dimotsios vom Frauennotruf stehen als Ansprechpartnerinnen zur Verfügung. (Foto: Peter Hinz-Rosin)
Bei ihnen gibt es Informationsmaterial über K.o.-Tropfen und Abdeckungen, die davor schützen sollen... (Foto: Peter Hinz-Rosin)
...und Abzieh-Tattoos, die den Wunsch nach einem entspannten Volksfestbesuch signalisieren sollen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Dass die Absprachen gut laufen, wird vor dem Container schnell ersichtlich: "Wollts ihr ne Semmel?", fragt Al-Kass die vorbeikommenden Polizisten. Sehr ruhig verlaufe es bislang, erklärt der zuständige Einsatzleiter: "Wir waren auf heftige Feiern vorbereitet." Da es bisher keine größeren Eskapaden gab, hielten sich die Beamten zurück. Auch im weiteren Verlauf des Abends kommt es bis auf eine Rangelei nicht zu einem größeren Einsatz, wie die Polizeimeldung vom Mittwoch feststellt.

Auch wenn sich die Polizei im Hintergrund hält, verändert deren kurzzeitige Anwesenheit am Container die Stimmung der ankommenden jungen Gäste: "Das wirkt schon erstmal abschreckend. Wenn nur wir Jugendlichen dastehen, wird uns viel offener begegnet", so der 16-jährige Louis Menzel vom Jugendforum Grafing, der es sich gerade auf einem Plastikstuhl unter dem aufgestellten Zeltdach gemütlich macht. Dass er hier hilft, mache er gerne, er kenne viele der Ankommenden: "Das macht einfach Spaß." Ob er selbst auch schon als Gast auf dem Volksfest war? "Ja, natürlich, letzten Freitag erst, leider kann ich nicht so oft gehen, weil es sehr teuer ist."

"Endlich wieder frei leben, endlich wieder glücklich sein", sagt einer

Der Masspreis von 10,30 Euro bringt viele Jugendliche dazu, eifrig vorzutrinken, um den Pegel im Festzelt zu halten ohne viel Geld ausgeben zu müssen. So finden sich in in Rufweite des Grandauer Zelts zwei Jungs hinter einem Gebüsch, die an einem Stromkasten diverse Sorten mitgebrachtes Bier trinken. Beide stehen schon seit zwei Stunden da, doch das stört sie nicht - im Gegenteil: "Endlich wieder frei leben, endlich wieder glücklich sein." Die Testmessung habe ergeben, dass einer bereits 0,6 Promille hat - "wir können uns da nichts leisten, die Flasche trinken wir noch, dann gehen wir rein".

Ein volles Festzelt - das hat es seit zwei Jahren nicht mehr gegeben. (Foto: Peter Hinz-Rosin)
Festwirt Anton Kainz freut sich darüber, dass die meisten Gäste sehr entspannt feiern. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Für den Festwirt Anton Kainz ist die Jugend "besser als ihr Ruf": "Über die heutige Jugend wird immer so geschimpft, aber früher waren die nicht besser." Sehr zufrieden sei er mit dem bisherigen Verlauf des Volksfest: "Alles ist entspannt, es freuen sich alle, dass man wieder gemeinsam feiern kann."

Auch Lydia Franz die seit über 30 Jahren das "Original Münchner Büchsenwerfen" betreibt, freut sich, dass die Volksfestsaison wieder losgeht: "Sicher war Corona hart, aber davon haben wir uns nicht unterkriegen lassen." Seit 1932 gibt es ihr Dosenwerfen schon - gegründet von ihrem Großvater.

In der Nähe des Stands eilt der 22-jährige Sebastian schnellen Schrittes Richtung Festzelt. Drei Mal ist er seit Beginn des Volksfestes hier schon Besucher gewesen: "Es ist genau wie früher, und es fühlt sich alles so normal an."

Eine Normalität, die Moritz und Michaela, beide 21, auch vermisst haben: "Ich sehe Leute wieder, die ich vor drei Jahren das letzte Mal gesehen habe, trotzdem ist bei allen Begegnungen noch ein komischer Beigeschmack wegen der Pandemie."

Bei der erneuten Begegnung mit Anna, die sich dem anfänglichen Promilletest verweigert hat, erzählt sie von ihren bisherigen Erlebnissen: In einem Fahrgeschäft habe sie sich eine kleine Kopfverletzung zugezogen: "Ist nicht weiter schlimm." Ob es der zu hohe Pegel war? "Nein, ich hab fast nichts getrunken und bin außerdem hart im Nehmen", sagt sie. Vielleicht wäre ein Alkoholtest doch keine schlechte Idee gewesen.

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