Vier Abiturfeiern im Landkreis:Besser geht's nicht

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Die vier Gymnasien im Landkreis Ebersberg verabschieden insgesamt mehr als 500 Abiturienten in die Freiheit. Johanna Schneeberger holt in Vaterstetten die Rekord-Gesamtnote 0,8

Von Alexandra Leuthner und Viktoria Spinrad

Wenn die Aula zum Catwalk wird: Bei den Abiturfeiern im Kreis Ebersberg haben sich besonders die Absolventinnen (hier in Kirchseeon) auch dieses Jahr wieder aufgebrezelt. (Foto: Christian Endt)

Natürlich standen Freude und Spaß an allererster Stelle an diesem Freitagnachmittag. Die Abiturienten in den vier Landkreisgymnasien Vaterstetten, Grafing, Kirchseeon und Markt Schwaben haben schließlich lange genug dafür gebüffelt, dass sie ihre Abiturzeugnisse nun endlich entgegen nehmen durften. Und doch, das ungetrübteste Vergnügen hatte wahrscheinlich ein vielleicht zwei Jahre alter Bub, der, unbemerkt von den in meist feinen Zwirn gekleideten Eltern, Lehrern und Geschwistern der 114 Kirchseeoner Absolventen zu den Klängen des Bobby McFerrin-Songs "Don't worry, be happy" im Schutz der Aula-Topfpflanzen herumhampelte, die unter der großen Treppe zusammen geschoben worden waren. Im Gegensatz zu dem tanzfreudigen Buben mussten die 114 Schulabgänger in Kirchseeon - wie auch in den drei anderen Schulen - erst einmal dem einen oder anderen moralischen Appell ihre Aufmerksamkeit schenken, bevor sie ihre Zeugnisse abholen und in den Feiermodus gehen konnten.

Über den roten Teppich sprintet Florian Althaus in Vaterstetten. (Foto: Christian Endt)

So rief Rüdiger Modell, Direktor des Humboldt-Gymnasiums Vaterstetten, seine 183 Abiturienten dazu auf, Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen. Denn es sei ihre Generation, die zukünftig die Weichen stellen werde. Die Ausbildung am Gymnasium eröffne Ihnen viele Chancen im Berufsleben und sei damit eine besonders gute Startposition ins Leben. Sie sei aber zugleich auch eine Verpflichtung. "Denn wir entscheiden, ob wir den mit populistischen Parolen agierenden Parteien und Personen etwas entgegensetzen, wir entscheiden, wie es mit dem Klimawandel weitergeht, wir entscheiden, ob wir bei der Digitalisierung weiterhin vielen anderen Ländern den Vortritt lassen." Einen der besten Jahrgänge in der Geschichte des Humboldt-Gymnasiums entließ Modell mit diesen Worten - selbst im umstrittenen Matheabitur habe der Schnitt in Vaterstetten bei 3,0 gelegen, also besser als im bayernweiten Durchschnitt. Johanna Schneeberger schaffte gar die Rekord-Gesamtnote 0.8

Johanna Schneeberger. (Foto: Christian Endt)

Das Matheabitur - der Aufreger der diesjährigen Prüfungen - machte auch Landrat Robert Niedergesäß (CSU) zu seinem Thema. Zum allerersten Mal habe er die Möglichkeit, es zu allen vier Gymnasien im Landkreis zu schaffen, die er sonst nur im zweijährigen Rhythmus besuchen konnte, erklärte er zu Beginn des erwähnten Marathons in Kirchseeon. Für seine Worte, zu seiner Abitur-Zeit "vor fast 30 Jahren" habe man Mathematik in der zwölften Klasse noch ablegen können, erntete Niedergesäß ungläubigen Jubel aus den Reihen der Absolventen. "Das war ein großes Fest für mich", rief er - leider habe ihn die Mathematik in seinem Studium der Volkswirtschaft dann "brutal in jedem Semester" wieder eingeholt. "Also überlegen Sie sich gut, was Sie studieren!"

Eilig hatte es auch Landrat Robert Niedergesäß in Vaterstetten, um es noch nach Grafing und Markt Schwaben zu schaffen. (Foto: Viktoria Spinrad)

In der Grafinger Stadthalle verglich Schulleiter Paul Schötz das Leben, das seine "Absolvia" nun erwarte, mit einer Reise, von der man noch nicht wisse, wohin sie in den kommenden Jahren führen wird. In jedem Fall aber gehörten die Abiturienten 2019 - insgesamt 142 waren in Grafing angetreten - nicht zu einer orientierungslosen Generation. Vielmehr ermögliche ihnen die Bildung, das Gelernte, die persönliche Leistung, "Kultur zu schaffen, Kultur zu erfahren, zu begreifen und zu leben." Mit ihrer vertieften Allgemeinbildung hätten sie das Rüstzeug, die Expedition des Lebens nach dem Abitur "in allen Klimazonen, Vegetationszonen und Oberflächenformen" zu bewältigen. Sie sei ebenso wie Mündigkeit und Kritikfähigkeit, die Fähigkeit zur Selbstkritik, zur Nächstenliebe und die Liebe zur Freiheit ihre "Überlebensausrüstung."

Abiturfeier am Grafinger Gymnasium. (Foto: Christian Endt)

Eine solche zu haben, kann nicht schaden - das jedenfalls konnten die Zuhörer den Worten von Valentin Magis und Patrick Groos entnehmen, die im Namen der Kirchseeoner Abiturienten eine Rückschau auf ihre Schulzeit hielten. Neben all dem Schönen, das die Odyssee durch das Gymnasium gebracht habe - Studienfahrten, Rauschzustände, Q-Partys zählten sie unter anderem auf - habe sie ihnen aber auch "das schwerste Matheabitur aller Zeiten" beschert. Und nun bekämen sie auch noch eine beschädigte Welt hinterlassen, mit vermüllten Ozeanen und nationalistisch abdriftenden Gesellschaften. Eine angepasste Generation, als die sie gelegentlich bezeichnet würden, könne damit sicher nicht umgehen. "Wer nur in Fußstapfen steigt, hinterlässt keine Spuren", erklärte Magis, der es übernahm, auch Schulleiterin Simone Voit, den Verantwortlichen in der Oberstufenbetreuung und der Verwaltung sowie posthum der 2015 verstorbenen früheren Direktorin Gabriele Söllheim zu danken.

Ihre Nachfolgerin seit 2016, Simone Voit, sparte in ihrer Rede ebenso wenig an moralischen Appellen wie die beiden Herren in Grafing und Vaterstetten - humorvoll verpackt in eine Ansprache, für die ihr angeblich nur fünf Minuten zugestanden worden waren. Sie schaffte es in einer knappen Viertelstunde, ihre ehemaligen Schützlinge, die so genannten "digital natives", dazu zu ermahnen, sich gerade in der "postfaktischen Phase" mit den Fakten auseinanderzusetzen - auch wenn das anstrengend und manchmal mühsam sei. "Rennen Sie nicht allem und nicht jedem hinterher", mahnte sie, "das Rüstzeug dazu sollten wir Ihnen mitgegeben haben." Faktisches Wissen, differenziertes Denken, Sprachvermögen und demokratisches Verständnis sollten die Abiturienten in die Lage versetzen, nicht nur sich selbst, sondern auch der Gesellschaft zu dienen, achtsam auch anderen gegenüber zu sein. "Bedienen Sie sich Ihres Verstands!"

In Markt Schwaben: Schulleiter Peter Popp mit Carolin Bauernschmidt. (Foto: Viktoria Spinrad)

Dass man an der Schule durchaus für das Leben lernt, illustrierte Schulleiter Peter Popp in der festlich geschmückten Turnhalle des Markt Schwabener Gymnasiums. "Man braucht im Büro nicht nur ein Ersatzhemd, sondern auch Ersatzstrümpfe und -unterwäsche", so Popps Lektion, die ihm am Vortag erst selbst erteilt wurde. Da hatten die Schüler nicht nur die kleine Aula in einen Strand mit Pool verwandelt, sondern auch vom Schuldach Wassereimer auf die hitzegeplagten Mitschüler und Lehrer geschüttet. Den Oberlehrmeister erwischte es dabei offenbar besonders heftig. Übel nahm er das seinen 120 Abiturienten indes nicht - Wechselklamotten aufzutreiben, ist ja schließlich nur eine Frage der Zeit.

Diese war auch das Leitthema seiner Rede: Wie war es früher, Wie ist es heute? Und ist es heute schwieriger als früher, nach dem Abitur erfolgreich zu sein - trotz der vielen Möglichkeiten? Popp rekapitulierte die Themen seiner Abiturgeneration vor drei Jahrzehnten. Eiserner Vorhang, Balkankrieg, Wehrpflicht. Heute: Zahllose Alternativen, Klimawandel, der Ruf der weiten Welt. "Jede Zeit hat ihre ganz speziellen Herausforderungen", resümierte Popp - und gab seinen Schützlingen ganz praktische Tipps an die Hand: Erst etwas Allgemeines studieren und später spezialisieren. Und: "Lasst euch nicht verrückt machen! Nehmt euch die Zeit, euch zu besinnen, was eure Ziele und Wünsche sind!"

Ermutigende Appelle gab es auch von Friederike Klotz. "Verleiht euren Gedanken Flügel!", so die Vorsitzende des Elternbeirats. Die Schüler sollten keine Angst vor Fehlern haben - "ihr werdet in der Welt gebraucht!" Es ist ein neuer Abschnitt für die Schüler, die bisher auf die schützende Hand ihrer Oberstufenkoordinatorin zählen konnten. Sie war auch der Grund, wieso Popp bei Temperaturen von 30 Grad mit einem Regenschirm auf der Bühne stand - es war ein symbolisches Geschenk für Brigitte Federschmidt. Die freute sich über einen besonders leistungsstarken Jahrgang - fast jeder fünfte Markt Schwabener Abiturient hielt am Ende ein Einser-Zeugnis in der Hand. Der Selbstironie der Schüler tat ihr Erfolg offenbar keinen Abbruch: "My head may be small but I've got a big heart", hatte eine Schülerin mit dem Nachnamen "Bickhardt" auf der Bühnenleinwand zu ihrem Motto erklärt. Ebenfalls mit seinem Nachnamen kokettierte ihr Stufenkollege Michael Bloedt: "Ich heiß so und andere sind es", hatte er auf seine Holztafel geschrieben, mit dem sich die Schüler hatten ablichten lassen. Bleibt noch, den etwas provokanten Spruch von Valentin Magis in Kirchseeon zu zitieren: "Wir können zwar keine Steuererklärung schreiben, aber ein Gedicht analysieren und literaturgeschichtlich einordnen."

© SZ vom 29.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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