Vernissage am Sonntag:Kinder, Kunst und Gesellschaftskritik

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Ein abfotografiertes Graffiti, digital veredelt: Der zehnjährige Künstler Leo Fellmann hat seinen eigenen Blickwinkel gefunden. (Foto: OH)

Eine Fotoausstellung im Zornedinger Rathaus führt drei außergewöhnliche Ferienprojekte zusammen

Von Viktoria Spinrad, Zorneding

Ein einsames Chamäleon, eingebettet in abstrakte Formen. Ein dramatisch leuchtender Blick auf drei Buchstaben: Leo. Die farbenfrohe Aufforderung: Give me a smile. Dann ein Soccertisch, der Ball im Visier, auf der Spielfläche spiegeln sich die Spieler. Riesige Kreuzfahrtschiffe, die sich durch enge Fjorde zwängen. Gletscher, die so schnell abtauen, dass die Bilder in den Reiseführern jährlich aktualisiert werden müssen. Und: Kinder, die stolz mit Plastikmüll gefüllte Jutebeutel in die Kamera halten, als wollten sie sagen: Schaut her, was ihr da anrichtet.

Es ist schon eine ungewöhnliche Melange an Impressionen, die ab dem Wochenende im Zornedinger Rathaus zu sehen sein wird. Kein Wunder: Die Graffitis, Fotografien und Ausstellungsstücke sind das Ergebnis drei verschiedener Projekte aus den Sommerferien. Und trotzdem gehören sie zusammen. Denn bei allen drei Teilen waren Kinder am Werk - "obwohl man das mit Blick auf die Aufnahmen gar nicht glaubt", sagt Elisabeth Kerschdorfer.

Die Zornedingerin hat eine Gruppe Kinder auf einen fotografischen Streifzug durch den Ort begleitet - mit richtigen Kameras, versteht sich. Mal nahe, mal fern, mal eine Blume, mal ein Gebäude - "es gab nichts, was die Kinder nicht vor die Linse genommen hätten", berichtet sie. Dabei erlebte sie, wie jedes Kind seinen ganz eigenen Fokus fand. Die einen begeisterten sich für einen Hund, der ihnen gerade über den Weg lief; die anderen fanden Gefallen an der Architektur der Gebäude. War ein Motiv gefunden, gab Kerschdorfer etwas Hilfestellung. "Ganz wichtig: Nicht zu viel rumwackeln!" Mit ruhiger Hand fokussierten sich die kleinen Fotografen also auf das, was ihrem kindlichen Blick gefiel. Dabei durfte auch das klassische Stillleben nicht fehlen - genau wie die anschließende Bildnachbesprechung, deren Ergebnisse Einzug in das Rathaus finden.

Eine andere Seite der Kunst haben Kinder in einem weiteren Sommer-Workshop kennengelernt: Sie durften sich als Sprayer austoben - ganz legal, versteht sich. Eine seltene Gelegenheit, die nicht allen interessierten Zornedinger Kindern zuteil wurde: "Ich hatte dreimal so viele Anmeldungen wie Plätze", berichtet Steffi Kolmer. Die glücklichen Kinder, die einen Platz ergatterten, mussten in der Sommerhitze auch eine kleine Sicherheitsschulung durchlaufen. "Natürlich kann man die Dosen bei 30 Grad nicht in die Sonne stellen", sagt Kolmer - und sich gegenseitig ansprühen, "das ist natürlich auch keine Option". Dann ging es ans Eingemachte. Doch was stellt man mit so einer Flasche an, wenn man sie einmal in der Hand hat? Kolmer gab den Kindern Schablonen als Anregung, erklärte ihnen, für was Graffiti eigentlich steht - und ermutigte sie, ihren Ideen freien Lauf zu lassen. "Sobald die Kinder verstehen: Mit der Spraydose kann ich etwas bewirken - da sind sie in ihrem Element", schildert Kolmer.

Ihr Kunst-Nachwuchs verewigte seine Schriftzüge auf Pappwänden, malte Tiere - und setzte die gerade kennengelernten Graffiti-Stifte als Finish ein. Doch das ist nicht alles: Um ihren Werken den letzten Schliff zu verleihen, ging es für einen Teil der Kinder danach noch vom Hinterhof des Jugendzentrums an den Computer. Mit dem Programm Photoshop schnitten sie Bilder ihrer Graffitis zu, veränderten die Farben, brachten ihre Motive zum Leuchten. Das Ergebnis der ungezwungenen Kunst-Aktion ist ein prächtiger Farbrausch, der den Künstler-Nachwuchs noch länger an die Sommertage zwischen Sprühflaschen und Stiften erinnern wird.

Im Gedächtnis bleiben dürfte einer dritten Gruppe Kinder, wie vom Plastik überschwemmt die Welt ist, in der sie großwerden. Vor den Ferien war der Zornedinger Falk Skeide in Kindergärten und Grundschulen unterwegs. Dort klärte er auf - und ernannte die Kinder zu "Plastikmüll-Piraten". Ihr Auftrag in den Sommerferien: Weggeworfenes einsammeln - und Bilder davon machen. Gleichzeitig war auch Skeide auf Plastik-Mission, er fotografierte auf seiner Motorrad-Tour zum Nordkap Gletscher, Kreuzfahrtschiffe, haufenweise Müll - und schuf so die dritte Säule der Ausstellung. Diese ist natürlich kein Versuch, sich gesetzten Standards in der Kunst anzunähern. Wohl aber ein authentisches Zeugnis dafür, was passiert, wenn man Kindern freie Hand lässt und Verantwortung überträgt. Und, wenn man so will, ein schöner Appell, dass genau dies viel öfter passieren sollte.

"Kinder an die Kamera!" im Zornedinger Rathaus: Vernissage am Sonntag, 16. September, von 16 bis 18 Uhr, zu sehen bis 28. September.

© SZ vom 13.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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