Vernissage am Donnerstag:Schätze sichtbar machen

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Mit seiner Ausstellung "1984 - Transferred - Message from the Past" in der Galerie im Tiermuseum Forstinning widmet sich Norbert Haberkorn den Themen Datensicherheit und Überwachungsstaat

Von Michaela Pelz, Forstinning

Stellwerkstörung auf der Linie S2, ab Riem geht nichts mehr, alle Fahrgäste sind genervt. Alle? Nein! Denn für Norbert Haberkorn wird es jetzt erst richtig interessant. Der Poinger hat nämlich seit 2008 eine ganz besondere Passion: Im Rahmen seines fotosoziologischen Projekts "S2_Life in Transit" macht er aus dem fahrenden (oder in diesem Fall stehenden) Zug Bilder der Bahnstrecke. 34 000 Stück sind es bisher - 24 davon sind nun in der Forstinninger Galerie im Tiermuseum unter dem Titel "1984 - Transferred - Message from the Past" zu sehen. Es handelt sich dabei um zehn große Fotos von "Pieces" (großflächige, bunte Graffiti) und "Tags" mit dem Schriftzug "1984", aufgenommen im Abschnitt zwischen Riem und Leuchtenbergring, sowie zwölf kleinere Bilder, die eine bessere Einordnung der Motive erlauben, weil sie mehr von der Umgebung zeigen, aus einem anderen Blickwinkel oder zu einer anderen Jahreszeit entstanden sind. Vor allem aber hängen im ersten Ausstellungsraum die beiden Aufnahmen, die die Initialzündung für die aktuelle Ausstellung bildeten, Zitate im Sinne von George Orwells "1984": "Ihr habt den Sieg über euch selbst errungen!" und "Ihr liebt den großen Bruder!".

Es war pures Glück, dass der Endsechziger Haberkorn sie am selben Tag mit seiner Kompaktkamera einfangen konnte. "Ich war auf dem Heimweg aus der Stadt, machte das erste Foto. Dann kam uns ein Güterzug entgegen." Wäre dort statt des niedrigen Flachwagens ein normaler Waggon angekoppelt gewesen, hätte es keine Chance gegeben, den zweiten Schriftzug auf der Begrenzungsplanke zu sehen. Eine Schrift, die ohnehin aufgrund der hohen Geschwindigkeit an dieser Stelle gar nicht wahrgenommen werden kann.

Pieces, Tags, und geheime Botschaften entlang der S2. Reproduktion: Christian Endt (Foto: N/A)

Denn das ist das Geheimnis von Haberkorns Bildern: Durch das Schärfen der Kontraste oder eine Veränderung des Bildausschnitts enthüllen sie, was der normale Pendler nicht sehen kann. Ganz ohne Photoshop oder Manipulation, wie Haberkorn betont: "Nur die Information, die da ist." Die eigene Verblüffung darüber, was sich auf diese Weise zutage fördern lässt, war auch der Grund, warum der studierte Elektrotechniker nach dem Ende seines Berufslebens als Ingenieur für Projekt- und Teamentwicklung mit dem Fotoprojekt "S2_Life in Transit" begann. "Ich hatte zwar vorher schon fotografiert, aber mein Hobby waren eher die Malerei und Skulpturen." Drei davon sind übrigens ebenfalls in Forstinning zu sehen. Dann erzählt Haberkorn weiter, wie er durch das Nachbearbeiten einiger auf der Fahrt von Poing nach München zufällig aufgenommener Fotos eine erstaunliche Entdeckung machte: "Plötzlichen tauchten Schatten oder Profile auf, die vorher nicht da waren." Die Lust war geweckt, noch mehr verborgene Schätze zu heben. "Ich will das Maximum der Wirklichkeit herausholen, die die Kamera empfangen hat." Dabei besteht der Reiz vor allem darin, dass nichts planbar ist.

Also setzte sich der Poinger dreimal die Woche in die S-Bahn, die Kompaktkamera einsatzbereit immer in der Hand. "Wenn man vorbei ist, ist es vorbei, es gibt keine Chance auf ein zweites Mal." Die Kamera kann dabei nie optimal eingestellt werden. Das bringt zwar Unschärfe, Über- oder Unterbelichtung mit sich, führt aber auch zu einem lebendigen Effekt.

Bevor ein wirklich gutes Foto entsteht, braucht es allerdings oft zahlreiche Versuche; nur etwa zehn Prozent aller Transit-Aufnahmen werden von Haberkorn archiviert. Dabei entstehen auch die Themen seiner Ausstellungen - "1984 Transferred" ist seine vierte. Er stellt fest, dass irgendetwas gehäuft vorkommt oder stößt, wie diesmal, auf ein Detail, das ihn nicht loslässt. Ab dann wird es "eine Art Detektivarbeit" und der Poinger geht auf die Jagd nach passenden Motiven.

Norbert Haberkorns Passion ist es, mit der Kamera ein Maximum aus der Wirklichkeit herauszuholen. (Foto: Christian Endt)

1984 sowie die Themen "Datensicherheit und Überwachungsstaat" sind für den zweifachen Vater und dreifachen Großvater zutiefst wichtig. "Man muss sich einmischen bei der Politik. Zum Wohle der Kinder." Auch die Forstinninger Galeristin Renate Block, die nach acht vergeblichen Versuchen auf eine Anmeldung bei Facebook verzichtet hat, findet die aktuellen Entwicklungen in Sachen Daten bedrohlich. Für sie ein Grund mehr, den Fotokünstler mit seinem "sozialkritischen Thema" auszustellen - ist es doch "etwas, das uns anschubst".

Eine letzte Frage muss aber noch sein: Wie viele seiner insgesamt rund 100 000 Bilder hat Norbert Haberkorn zu Hause an der Wand? "Ich glaube, keins. Da hängen nur die Enkel!"

Fotoausstellung in der Galerie im Tiermuseum Forstinning von Norbert Haberkorn, "S2_Life in Transit: 1984 - Transferred - Message from the Past", Vernissage am Donnerstag, 21. März, um 19 Uhr, zu sehen bis 27. April, Öffnungszeiten unter www.galerieimtiermuseum.de

© SZ vom 19.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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