Verhandlung vor dem Amtsgericht:Dienst unter Freunden

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20-Jähriger muss sich wegen Beihilfe zur Unfallflucht stellen

Von Daniela Gorgs, Ebersberg

Es ist halb zwei in der Nacht zum Sonntag, als das Telefon klingelt. Der beste Freund ruft an und bittet, abgeholt zu werden. Sofort. Es sei etwas Schlimmes passiert. Irgendwo auf freier Strecke zwischen zwei kleinen Ortschaften im südlichen Landkreis. Die 17-Jährige nimmt den Anruf auf einer Party entgegen. Spontan springt sie zusammen mit einem anderen Partygast ins Auto, der andere, ein 20-jähriger Mann, fährt zum ausgemachten Abholort. Am Straßenrand stehen zwei Jugendliche im Regen. Nass, verdreckt, einer blutet im Gesicht. Die beiden Jugendlichen setzen sich auf die Rückbank und schweigen. Der eine, ein 17-Jähriger, will nach Hause gebracht werden. Erst kurz vor der Ankunft bringen die Abholer in Erfahrung, dass der 17-Jährige gerade ein Auto in den Acker gefahren hat. Auf regennasser Straße war er viel zu schnell unterwegs und aus der Kurve geflogen. Das Auto rammte einen Leitpfosten, einen Baum und überschlug sich dann im Acker. Der 17-jährige Fahrer und sein 16-jähriger Beifahrer konnten sich selbst retten.

Jetzt, ein halbes Jahr später, muss sich der Fahrer vor dem Jugendgericht verantworten. Nicht der Unfallfahrer, sondern der 20-Jährige, der die beiden Verunglückten abholte. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Beihilfe zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort vor. Jugendrichter Dieter Kaltbeitzer ist stutzig und mag nicht glauben, dass der abholende Fahrer erst so spät von dem Unfall erfahren habe. Man sei doch neugierig und wolle wissen, warum man mitten in der Nacht jemanden auf freier Strecke abholt. Der 20-Jährige bleibt gelassen und erklärt, die beiden Jungs hätten nur gezittert und geschwiegen. Es sei ein "reiner Freundschaftsdienst" gewesen, sie abzuholen. Erst kurz vor dem Ziel der zirka fünfminütigen Fahrt habe der 17-Jährige kleinlaut erzählt, dass er soeben ein Auto geschrottet habe. Der 20-Jährige beschloss, den Bekannten daheim abzusetzen und dann die Polizei anzurufen. So berichtet er dem Jugendrichter. Die Polizei allerdings kam gleichzeitig am Wohnort des 17-Jährigen an.

Drei Zeugen werden gehört: der Unfallfahrer, dessen Beifahrer und die 17-Jährige, die den Anruf erhielt. Anklage erhob die Staatsanwaltschaft auch gegen den Unfallfahrer; sein Prozess findet nächste Woche statt. Deswegen müsste er jetzt eigentlich nicht aussagen, tut es aber doch: Die Polizei sei ihm in dieser Nacht entgegengekommen und habe aufgeblendet, sagt er. Das versetzte den 17-Jährigen in Panik. Der Führerscheinlose habe Angst vor einer Kontrolle gehabt. Also trat er aufs Gaspedal und fuhr mit 140 Stundenkilometern in die Kurve. Nach dem Überschlag im Acker standen Fahrer und Beifahrer unter Schock. "Es war sehr sehr schlimm", sagt der Beifahrer. Die angerufene Freundin bestätigt die Anspannung der beiden. "Sie waren still und haben nicht viel gesagt."

Viel zu sagen hat auch Jugendrichter Kaltbeitzer nach den Zeugenaussagen nicht mehr. Nur, dass alles Gesagte nicht für eine Verurteilung ausreiche. Kaltbeitzer spricht den Angeklagten frei: Die beiden Verunglückten seien bereits so weit vom Unfallort entfernt gewesen, dass man dem 20-Jährigen keine Beihilfe zur Unfallflucht vorwerfen könne. Von dem Unfall habe er erst viel später erfahren. Dies hätten die Zeugen glaubhaft bestätigt.

© SZ vom 25.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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