Verdi in Grafing:Großes Kino

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Die Neuinszenierung von Giuseppe Verdis "La Traviata" in Starbesetzung: Diana Damrau und Juan Diego Flórez waren bei der sogenannten "Met Opera" im Grafinger Capitol-Kino zu sehen, gut 80 Gäste sitzen am Samstagabend vor der Leinwand. (Foto: Veranstalter)

Im kleinen Grafinger Lichtspielhaus "Capitol" gibt es am Samstag eine Liveübertragung aus den USA. 80 Gäste verfolgen dort eine neue Inszenierung von "La Traviata", die gerade in New York City stattfindet

Von Victor Sattler, Grafing

Der Sopranistin Diana Damrau ist der große Wurf gelungen: Von ihrem bayerischen Geburtsort Günzburg bis an die Metropolitan Opera in New York City - von wo sie an diesem Samstagabend per Satellit live ins Grafinger Capitol-Kino übertragen wurde. "If you can make it there, you can make it anywhere" gilt also wirklich. Und tatsächlich waren die anspruchsvollen Grafinger am Samstag gnädig, fast wohlwollend mit der Diva in der Neu-Inszenierung von Giuseppe Verdis "La Traviata". Im mit gut 80 Gästen gut gefüllten Kinosaal wurde die New Yorker Produktion gar vereinzelt mit Applaus goutiert.

Ein Auftritt aus New York, live übertragen auf eine Grafinger Kinoleinwand. Der Gegensatz zum Provinz-Feeling, das in dem kleinen Grafinger Kino aus den 50er Jahren aufkommt, war besonders extrem, weil diese "Traviata" eine Oper in großspurig-pompösem Gefieder ist: Die Partygäste von Violetta (Diana Damrau) im Paris des 19. Jahrhunderts verlassen sie nur mit Handkuss und mit der Ausrede, schon mal für die nächste Feier Kräfte sammeln zu müssen. Mehr güldene Kleider und Champagnerflaschen werden rausgeholt, als Violetta eine Beziehung mit Alfredo beginnt, die wegen ihrer Tuberkulose und ihrem sozialen Stigma unter einem sehr schlechten Glitzer-Sternenhimmel steht.

Egal, ob die Szene gerade drinnen oder draußen spielt, immer steht in der Mitte Violettas Doppelbett, und dank der Übertragung knien die Grafinger praktisch vor ihrer Bettkante und sehen intim zu Damrau auf. Besser als mit jedem Opernglas lässt sich so das eine Blütenblatt in ihren Haaren entdecken oder die Haut über den Bronchien beim Erbeben beobachten. Diana Damraus Mundwinkel tanzen, ihre ewigweiten Legato-Bögen werden mal von einem Lachen, mal von einem Schaudern bis ins Mark des Zuschauers getragen. Diese hohe Kunst fängt die dynamische Kamera live und unverfälscht ein.

In den Pausen gehen dann die Lichter im Saal an. New York liefert Interviews mit Sängern und Kunstschaffenden, gibt Einblicke in die vorangegangenen Probenwochen oder zeigt im Zweifel, wie das Bühnenpersonal das Meer aus Blütenblättern zusammenkehren darf. Der Alfredo-Sänger Juan Diego Flórez grüßt Peru, Wien und Italien, aber er vergisst vor lauter Aufregung die Grafinger, die an seinen Lippen hängen.

Die technische Qualität ist gut und die Untertitel sind fürs Auge sehr praktisch platziert, aber das Konzept hat natürlich seine Grenzen. Als die letzte Feier von einer Gruppe Zigeunern und Matadores aufgemischt wird und der Fokus nun eher auf sprühender Aufregung, Tanz und Totale läge als auf der Nahaufnahme, ist die abgefilmte Version ein wenig ohne Seele. Unbestreitbar gibt es bei großem Getümmel auf der Bühne so etwas wie eine abstrakte Figuration, die entsteht, weil man im Saal auf seinem Sitz kleben bleibt und im Sog des Ganzen wie räumlich isoliert davon ist. Opernkino dient eher als eine Ergänzung dieses Erlebnisses, um zur Abwechslung mal nah ranzugehen und zu schauen, ob alles golden ist, was an dem Ensemble so hell in die Ferne glänzt.

Selbst Alfredos Vater (Quinn Kelsey), der Violetta besucht, erschrickt beim Anblick der Bühne über den neuen Lebensstil seines Sohnes: "Welch ein Luxus!" Im deutschen Betrieb ist so ein Gebaren unschick, aber die Bühne für "La Traviata" wurde in Anlehnung an die Architektur der Met Opera designt, als eine Art Fortsetzung des Raumes, und die Kostüme sollen derweil den Wandel der Jahreszeiten nachempfinden. Die Verantwortlichen hinter der Bühne sind alle mit Tony Awards dekoriert.

Über den eigenen Geschmack lässt sich aber nicht streiten: "Das ist ja sowas von schwülstig und nicht mehr zeitgemäß!", urteilt etwa Alfred Raab aus Vaterstetten, "naja, aber es ist eben auch typisch amerikanisch." Er lobt deutsche Opernhäuser dafür, dass sie die Dinge moderner und trotzdem ausdrucksvoller umsetzen würden. Was als nächstes über den Atlantik schwappt, plant Raab trotzdem hier anzusehen. Denn seit es die Übertragungen gibt, geht es schneller, in einer amerikanischen Produktion zu sitzen als nach München reinzufahren. "Opernkino, das kenne ich aus Erding, Neufahrn und nun auch endlich hier in Grafing", sagt Raab. Und er gibt den Amerikanern bald wieder eine Chance.

Alexandra Müller und Tamara Stolper, die zu Fuß in die "Traviata" spaziert sind, fühlen sich umgekehrt bei den importierten Opern wohler: "Die Münchner Oper ist voller verwesender Leichen und Kettensägen-Massaker. Hier hingegen bekommen wir die besten Inszenierungen der Welt vor die Haustür gesetzt - und garantiert gute Plätze obendrein", schwärmt Müller über den eher konventionellen Stil. Sie hat sich bereits vier weitere Grafinger Termine in den nächsten Wochen vorgemerkt, Wagners "Walküre" wird der Höhepunkt der Saison für sie persönlich. Ina Steinbögl war seit Beginn im Oktober in jeder Oper im Grafinger Capitol. "Für uns ist das eine echte kulturelle Bereicherung in Grafing", sagt sie. Auch ihre Begleitung Elsbe Martinuzzi stimmt in das Loblied mit ein, der einzige Haken an der Sache: "Für die reale Oper kann man sich mehr aufbrezeln. Vielen Leuten soll das ja sogar wichtiger sein als was eigentlich auf der Bühne passiert."

Die Reihe wird monatlich fortgesetzt: Am 12. Januar kommt "Adriana Lecouvreur", am 2. Februar "Carmen" und am 2. März "La Fille du Régiment" live nach Grafing, jeweils um 19 Uhr. Karten für je 33 Euro gibt es an der Kinokasse und auf www.capitol-grafing.de

© SZ vom 17.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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