Vaterstetten:"Was macht, dass ich so glücklich bin?"

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Keine Berührungsängste hat der Slam-Poet Lars Ruppel mit den Bewohnern des Senioren-Wohnparks Vaterstetten. (Foto: privat)

Mit seinem Projekt "Weckworte" ruft Slam-Poet Lars Ruppel ungeahnt schöne Gefühle hervor - quer durch alle Generationen. Das gemeinsame Rezitieren von Gedichten soll das Vergessen bremsen

Von Annalena Ehrlicher, Vaterstetten

"Gefroren hat es heuer noch gar kein festes Eis; das Bübchen steht am Weiher und spricht zu sich so leis'". Mit geübter Poetry Slam-Stimme rezitiert Lars Ruppel das bekannte Gedicht von Friedrich Güll im Festsaal des Seniorenwohnparks Vaterstetten. Schön dabei: Zahlreiche Bewohner des Heims sprechen die Verse mit, erinnern sich an den Wortlaut und schwelgen in der Melodie. Die Zehntklässler der Vaterstettener Mittelschule, die im Rahmen der vom Kreisbildungswerk organisierten Demenzwoche einen Vormittag mit den Bewohnern des Wohnparks verbringen, staunen nicht schlecht.

"Das Wichtige ist die Mischung aus Bekanntem und Neuem", erklärt Ruppel das Konzept seines Projektes "Weckworte", das er bereits seit einigen Jahren vorantreibt. Den Senioren wolle er nicht nur die Klassiker unter den Gedichten zufüttern, "das reicht einfach nicht, das Langzeitgedächtnis funktioniert ja häufig noch", sagt der 31-Jährige. Bewusst berücksichtigt er also bei seiner Auswahl neben Klassikern wie Schillers "Lied von der Glocke" oder Heines "Loreley", auch weniger bekannte Gedichte. Letztere eignen sich dazu, sie im Wechsel zu sprechen - bei der Aktion im Senioren-Wohnpark kommen hier die Schüler zum Einsatz. "Es ist Unsinn, sagt die Vernunft", setzt eine 16-jährige Schülerin an, und Ruppel und die Senioren antworten chorisch: "Es ist, was es ist, sagt die Liebe."

Aufgelockert durch das gemeinsame Rezitieren, melden sich die Senioren nach einiger Zeit gerne zu Wort: "Das ist meine Heimat", ruft beispielsweise eine Dame, als Ruppel die "Loreley" rezitiert. "Ah, das ist schon eine besonders schöne Gegend", entgegnet er locker. Unverkrampft ist sein Umgang mit den Heimbewohnern sowie mit den Mittelschülern, was dazu führt, dass die Stimmung entspannt ist. Als einer der Schüler, ein Gedicht vortragend, fragt: "Was macht, dass ich so glücklich bin?", antwortet eine Dame strahlend: "Ihr netter Kollege!"

"Ich bin kein Ehrenamtlicher", betont der 31-Jährige, "mit den Federn will ich mich nicht schmücken." Doch dass es nicht nur ums Geld geht, ist offensichtlich: Wenn er in die Knie geht vor den Senioren, deren Hände ergreift und geduldig wartet, bis sie reagieren. Ob der Körperkontakt Teil des Konzeptes ist? "Klar, viele der Leute können eigentlich nur in dem Moment, in dem sie ganz direkt angesprochen werden, an der Situation teilhaben", erklärt Ruppel. "Weckworte" sei ein inklusives Projekt, bei dem es darum gehe, dass alle Spaß daran haben. "Es geht dabei auch nicht nur um die Senioren", fügt er hinzu, "genau so wichtig sind die Pflegekräfte und die Angehörigen."

Demenz sei ein Thema, "auf das unsere Gesellschaft massiv zuläuft", bestätigt auch Claudia Pfrang vom KBW. Wichtig sei deshalb, die Aufmerksamkeit der Gesellschaft darauf zu lenken und gerade jungen Leuten, einen Zugang zu der Krankheit zu eröffnen. "Was man dann daraus macht, bleibt ja jedem Einzelnen überlassen", sagt sie. Von dem Kontakt zwischen den Generationen profitieren jedenfalls alle, so Pfrang, woran Ruppel anknüpft: "Ich bin mir sicher, dass hier im Raum gerade das beste Rezept für Schweinebraten und gegen Liebeskummer versteckt war." Wie lustig Senioren sein können, erfuhr der 16-jährige Olaf de Vries: Die ältere Dame neben dem Schüler brachte ihn dazu, Tränen zu lachen. "Sie hat halt einen Witz nach dem anderen gemacht, das war einfach lustig", erzählt der 16-Jährige. Getragener geht es zu, als die Teilnehmer sich an den Händen fassend gemeinsam Eichendorffs "Mondnacht" rezitieren. "Das war schön", seufzen danach zwei Damen. Und lächeln wie Schulmädchen.

© SZ vom 19.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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