Vaterstetten:Flug durch die Geschichte

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Viel verändert hat sich in den vergangenen Jahren in Parsdorf, hier ein Bild von 2010. (Foto: Gemeindearchiv Vaterstetten/oh)

Im Vaterstettener Rathaus sind Luftbilder zu sehen, die ein Jahrhundert Ortsentwicklung dokumentieren

Von Wieland Bögel, Vaterstetten

Eine Bahnstrecke, ganz vereinzelt ein paar Höfe und Häuser sowie sehr viel Wald. Dieses Bild bot sich dem Piloten eines Flugzeuges, das im Winter des Jahres 1916 im Dienste der Kartographie von München Richtung Osten flog. Nahe einem unscheinbaren Haltepunkt - für einen richtigen Bahnhof reichte es nicht - klickte die Kamera. Knapp ein Jahrhundert später brachten die Kartographen von derselben Stelle ein komplett anderes Foto mit: Vom Wald entlang der Bahnlinie ist nicht mehr viel übrig, aus Feldwegen sind Straßen, aus der kleinen Station ein richtiger Bahnhof geworden. Und an die Stelle der locker verstreuten Höfe und Häuschen sind dichte Reihen von Wohnhäusern in allen Größen getreten. Beide Fotos sind Teil der neuen Luftbilder-Ausstellung des Gemeindearchivs Vaterstetten, die noch bis Ende April im Rathaus zu sehen ist.

Diese sei etwas ganz besonderes, freute sich Bürgermeister Georg Reitsberger bei der Eröffnung. Denn sie "zeigt Veränderungen, über die wir uns freuen, und auch die, über die wir uns ärgern." Beides, Freude und Ärger, brachte etwa das neue Parsdorfer Gewerbegebiet - seine Entwicklung mit Vorher und Nachher ist ausführlich in der Ausstellung dokumentiert. Denn für Vaterstettens Archivarin Ulrike Flitner ist gerade Parsdorf ein gutes Beispiel für die Veränderung in Vaterstetten.

Zu der Zeit, als der unbekannte Kartograph vor 100 Jahren die Gemeinde überflog, war Parsdorf nicht nur deutlich größer als Vaterstetten, sondern durch seine Lage an der Poststrecke auch bedeutender. Das war noch bis weit in die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts so. Vaterstetten blieb als Wohnort lange unattraktiv, mit einer kurzen Ausnahme in der Nachkriegszeit, als Flüchtlinge in der Gemeinde untergebracht wurden. Aber nicht für lange, wie Flitner erklärt, denn da es so weit draußen vor der Stadt München kaum Arbeit gab, zogen die meisten schnell wieder fort. Die einzigen Neubürger in dieser Zeit waren reiche Münchner, die über ein Auto verfügten mit dem sie ihre Wochenendhäuschen auf dem Land erreichen konnten. Mit der Folge, dass schon in den frühen 1950er Jahren ein Thema diskutiert wurde, das den meisten sehr aktuell vorkommt: die Vergreisung Vaterstettens - ebenfalls dokumentiert in der Ausstellung anhand eines alten Zeitungsartikels.

Die großen Veränderungen begannen mit dem Bau der S-Bahnlinie im Jahr 1972. Plötzlich waren Vaterstetten und Neubaldham auch für Leute attraktiv, die in München arbeiteten, sagte Flitner. Denn die Preise waren noch viel geringer als in den Vororten der Großstadt. Diese Entwicklung zeigt sich an den ausgestellten Luftbildern sehr deutlich: Fotos, deren Aufnahmen nur wenige Jahre auseinanderliegen, zeigen einen veränderten Ort. In der Ausstellung sind dazu Bilder von den 1960er Jahren bis heute zu sehen, die das Wachstum vor allem rund um die beiden S-Bahnstationen bis heute dokumentieren.

Und zunächst ist dieses Wachstum auch nur auf die Ortsteile an der Bahnlinie beschränkt; der Norden der Gemeinde behält noch lange seinen dörflichen Charakter. Während in Vaterstetten und Baldham von Foto zu Foto neue Häuser zu entdecken sind, muss man schon genau hinschauen, um etwa auf den Luftbildern von Purfing, Hergolding und Neufarn Veränderungen zu finden. Auch im einstigen Hauptort Parsdorf passierte lange Zeit wenig: "Hier beginnt das Wachstum mit der Eröffnung der A 94", sagte Flitner, also im Jahr 1990. Und es sei ein anderes Wachstum als in den Ortsteilen an der Bahn: "Immer mehr Gewerbe zieht hin, inzwischen kommen die Münchner zum Shoppen nach Parsdorf." Auf das Ortsbild hat dies natürlich auch Auswirkungen: "Der Ort würde inzwischen zwei Mal ins Gewerbegebiet hineinpassen", so Flitner.

Dass diese Entwicklung weitergehen wird, davon ist die Archivarin überzeugt: "Wir sind in Bewegung; wenn wir in zehn Jahren eine Luftbilderausstellung machen, wird die ganz anders aussehen." Damit künftige Ausstellungen möglich sind, bittet Flitner um Mithilfe. Wer alte Fotos der Gemeinde - auch solche, die vom Boden aus aufgenommen wurden - zu Hause hat, kann diese im Archiv vorbeibringen. Und sofort wieder mitnehmen: "Wir scannen die Bilder nur ein, die Originale gehen zurück an die Besitzer."

Die Ausstellung "Luftbilder - Eine Gemeinde verändert sich" im Vaterstettener Rathaus ist noch bis einschließlich Montag, 25. April, montags bis freitags 8 bis 12 Uhr und donnerstags zusätzlich von 14 bis 18 Uhr zu sehen. Das Gemeindearchiv ist telefonisch unter (08106) 210 88 56 oder per E-Mail an ulrike.flitner@vaterstetten.de zu erreichen.

© SZ vom 07.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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