Notunterkunft:Flüchtlinge müssen ausziehen

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Die Turnhalle des Vaterstettener Gymnasiums muss nicht geräumt werden, damit die Abiturfeier stattfinden kann - sondern weil sie lediglich als vorübergehende Notunterkunft vorgesehen war

Von Carolin Fries und Alexandra Leuthner, Vaterstetten

Am Donnerstag wurde es Gewissheit: Spätestens am 18. Juni, also Donnerstag der nächsten Woche, werden alle 200 Flüchtlinge die Notunterkunft in der Halle des Vaterstettener Gymnasiums wieder verlassen haben. Das hatte die Regierung von Oberbayern mitgeteilt. Was Schulleitung und Landratsamt zunächst aufatmen lässt, hinterlässt bei manch einem, der das Drama um die Flüchtlinge verfolgt, die Tag für Tag in Deutschland und auch im Landkreis Ebersberg ankommen, erst einmal ein merkwürdiges Gefühl: Jetzt soll in feinem Zwirn und zarter Seide gefeiert werden, wo eben noch Menschen untergekommen sind, die kaum mehr als ihr Leben retten konnten.

Tatsächlich, erklärt Stefanie Geisler, zuständige Abteilungsleiterin im Landratsamt, sei der 22. Juni, also der Montag vor der Abiturfeier, als Deadline vereinbart worden, bis zu der die Unterkunft wieder aufgelöst sein müsse. Die Gymnasialturnhalle sei von Anfang an nur als Notfallunterkunft und damit als Außenstelle der Bayernkaserne vorgesehen gewesen. "Würden wir sie jetzt auf Dauer belegen, müsste der Landkreis zusätzlich eine andere Notfallunterkunft vorweisen." Wann der Landkreis wieder innerhalb kürzester Zeit Platz für so viele Menschen zur Verfügung stellen muss, wie das am 20. Mai passiert ist, wisse sie nicht. "Das kann in einem Monat sein, oder auch in einem halben Jahr." So lange die Turnhalle zu sperren, mache keinen Sinn.

Erleichtert darüber, dass das mit der Hallenfreigabe jetzt so klappt, ist naturgemäß der Direktor des Humboldt-Gymnasiums Rüdiger Modell. Die Entscheidung liege ja nicht bei der Schule, sondern bei Regierung und Landratsamt. Und dabei gehe es auch nicht in erster Linie um die Abiturfeier. Vielmehr müssten die 1600 Schüler der größten Schule im Landkreis seit Wochen ohne gesicherten Sportunterricht auskommen. "Natürlich bin ich froh, die Halle wieder zur Verfügung zu haben." Wäre es anders, würde sich aber für den Sportunterricht schon eine Lösung finden lassen, zumal jetzt in den Sommermonaten, wo der Sport auch draußen stattfinden könne. Auch für die Abiturfeier gebe es zwei Alternativlösungen, auf die die Schule zurückgreifen könnte, "alles andere wäre ja höchst unprofessionell gewesen". Aber das Signal, die Turnhalle jetzt einfach weiter als Notunterkunft zu nutzen, "wird von uns nicht ausgehen".

Das sieht der eine odere andere Schüler durchaus anders. Eine Abiturientin gründete spontan eine WhatsApp-Gruppe zum Thema und erklärte, wo sie ihr Abiturzeugnis überreicht bekomme, sei ihr egal, das müsse nicht unbedingt in der Turnhalle sein. Sie erhielt einige Zustimmung. Die Hilfsbereitschaft von Seiten der Schüler und Abiturienten sei von Anfang an riesig gewesen, erklärt Elternbeiratsvorsitzende Sabine Pillau. Sie habe schon bevor die Asylbewerber überhaupt da waren, so viele Hilfsangebote bekommen, dass sie die Anfragen kaum mehr koordinieren konnte. Und in den Pfingstferien hätten unglaublich viele Abiturienten ihre Freizeit geopfert, um beim Sortieren und Verteilen der Kleiderspenden zu helfen. Es sei jedenfalls auf gar keinen Fall so, dass die Schüler nur ihre Feier im Sinn hätten und ihnen alles andere egal sei. Viel mehr als die Schule seien es ohnehin die Sportvereine, die darunter litten, ohne Halle auskommen zu müssen.

In der kommenden Woche also wird das Technische Hilfswerk Markt Schwaben die 200 Betten in der Sporthalle bereits wieder abbauen und in das angemietete Lager des Landkreises transportieren. Ob man sie dann womöglich wenige Wochen später an gleicher - oder anderer - Stelle wieder aufbaut, spiele für die ehrenamtlichen Helfer keine Rolle. "Das hinterfragen wir nicht", sagt der Ortsbeauftragte Herbert Hönig. Günter Obergrusberger, Leiter der BRK-Bereitschaftsstelle in Ebersberg, sagt: "Die Nutzungsvergabe der Halle obliegt nicht uns. Werden wir angefordert, helfen wir selbstverständlich." Statt einer Turnhalle ein Zelt als Notunterkunft zu nutzen, bleibe für den Landkreis letztes Mittel, erklärt Stefanie Geisler, dennoch sei sie derzeit mit einem Zeltverleiher in Kontakt. Als Standort kämen jene Gemeinden in Frage, wo in diesem Jahr die Volksfeste schon vorbei seien.

© SZ vom 13.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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