Vaterstetten:Die Geburt des Tons aus der Stille

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Sternstunde der Kammermusik in Vaterstetten: Das Juillard-Quartett begeisterte das Publikum mit interpretatorischer Intensität. (Foto: privat)

Große Musik von großen Interpreten: New Yorker Juillard String Quartett beendet die Saison der Vaterstettener Rathauskonzerte

Von Claus Regnault, Vaterstetten

Ein großer Abend und Höhepunkt der Vaterstettener Rathauskonzerte war das Gastspiel des Juilliard String Quartetts aus New York City, in der Besetzung Joseph Lin, Violine, Ronald Copes, Violine, Roger Tapping, Viola, Joel Krosnick, Violoncello. 1946 gegründet, und alsbald eines der maßstäblichen Streichquartette der Musikwelt, hat es sich immer wieder durch Neubesetzung des einen oder anderen Pults bei gleichbleibender Qualität erneuert.

Was das Publikum an diesem Abend erlebte, war demgemäß große Quartettkunst, demonstriert an Schlüsselwerken der Quartettliteratur. Es begann mit Anton Weberns "Fünf Sätze für Streichquartett op.5", setzte sich fort mit Alban Bergs "Streichquartett op.3", beides Werke dieser Komponisten aus ihrer Lehrzeit bei Arnold Schönberg, komponiert von Webern 1909, von Berg 1911. Nach der Pause dann Franz Schuberts überwältigendes Streichquartett in d-Moll "Der Tod und das Mädchen". Und - weil das Publikum von Schubert außer Rand und Band geraten war - das Adagio aus Beethovens letztem Streichquartett F-Dur op.135, ein überwältigend stimmiger Abschluss des Programms. An der Wahl dieser Zugabe zeigten sich Ernsthaftigkeit und Größe dieser Musiker!

Der Saal des Seniorenwohnparks war gut, aber nicht voll besetzt. Da war wohl die Furcht vor dem modernen Konzertteil entscheidend, denn tatsächlich sind die beiden Stücke von Webern und Berg, obwohl vor mehr als hundert Jahren in die Welt gesetzt, noch immer die fordernden Anfänge neuer Musik. Weberns fünfsätziges Werk ist Musik, die weitgehend die Grenze zur Atonalität überschreitet, aber in einer derart subtilen Weise aus der Stille kommend in die Stille zurückkehrt, dass der gutwillige (und musikalische) Hörer die Geburt des Tons aus der Stille erleben kann. Weberns Musik ist leise, das Vibrato der Streicher verhalten, sie ereignet sich "in zarter Bewegung", bruchstückhafte, spätromantische Kantilenen tauchen nur noch wie Erinnerungen auf. Bergs zweisätziges Quartett artikuliert sich deutlicher in seiner Herkunft aus der Spätromantik, ist ein permanenter melodischer Fluss von starker Emotionalität, eine Vorwegnahme und schon voll etablierte Musiksprache seines späteren Opernschaffens. Das Erstaunliche an beiden Werken ist ihr früher Eigencharakter, die frühe Eigensprache aus einer Zeit, in der beide Komponisten noch Schönbergs Schüler waren.

Wie oft ist man im Konzertsaal schon Schuberts "Der Tod und das Mädchen" begegnet, aber wohl selten in einer derart leidenschaftlichen, die Tragik dieses Stücks bewusst machenden Interpretation, wie sie die Juilliards geboten haben! An der interpretatorischen Intensität zeigte sich die Ebenbürtigkeit der vier Instrumentalisten, mit der sie ein zum Routine-Repertoire gehörendes Werk wie neu in der ganzen Gewalt seiner tragischen Aussage erstehen ließen. Wenn es unter den vier Musikern einen gab, dessen gefühlsstarkes Spiel besonders nahe ging, war es der Jüngste, der Primgeiger Lin, von Geburt Taiwanese, bei dem nur verwundert, dass er nicht in Wien geboren ist.

Bei der Beethoven-Zugabe schließlich sei der Ausdruck erlaubt, dass man das Gefühl hatte, hier öffne sich der Himmel. Dieses Adagio "Lento assai, cantante e tranquillo" wirkte wie eine Antwort des späten Beethoven auf den frühen Webern.

Ein großartiger Abend also, für den man dem Organisator der Rathauskonzerte, Kurt Schneeweis, nicht genug danken kann. Ihm ist die einmalige Sensation gelungen, ein solches Spitzenquartett aus New York in die Metropole Vaterstetten zu holen.

© SZ vom 25.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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