Vaterstetten:200 000 Euro für den Frieden

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Vaterstetten empfängt Gäste aus der äthiopischen Partnergemeinde Alem Katema, wo derzeit Ausnahmezustand herrscht

Von Annalena Ehrlicher, Vaterstetten

Zum fünften Mal bereits wäre Alexander Bestle, zweiter Vorsitzender des Vaterstettener Vereins "Partnerschaft mit Alem Katema", im November nach Äthiopien geflogen. Workshops wollte er dort begleiten, an einer Schule in Vaterstattens Partnergemeinde Alem Katema, die zirka 180 Kilometer nordöstlich von Addis Abeba liegt. Doch nach heftigen und teils blutig niedergeschlagenen Demonstrationen herrscht seit vergangenen Sonntag der Ausnahmezustand in Äthiopien.

"Nachdem wir vor zwei Monaten schon die für November geplante touristische Reise abgesagt haben, ist letzten Mittwoch die Entscheidung gefallen, dass auch wir nicht fliegen", erzählt Bestle. Viel Planung, "alles für die Tonne", wie er sagt. Und dennoch: Wer will diese Art Risiko tragen? "Nach den Erzählungen von Leuten aus Alem Katema ist die Situation dort halbwegs ruhig", so Bestle. Doch auch in der 20 000-Einwohner-Stadt sei die militärische Präsenz deutlich erhöht, gibt Bestle wieder, was ihm Freunde und Bekannte vor Ort erzählen.

Die Regierung habe Angst, schätzt er, und: "Was da im Untergrund brodelt, weiß man hier einfach nicht." Frustriert klingt er, während er von der ursprünglich für November geplanten Reise spricht. "In Alem Katema kennen und schätzen uns die Leute - da würde ich mir keine Sorgen machen", sagt er. Doch alle größeren Straßen, die aus Addis Abeba hinausführen, seien von den Protesten betroffen. Etwa einen halben Tag braucht man für die 180 Kilometer heute - nur ein Teil der Strecke ist asphaltiert, den Rest legt man auf einer Schotterpiste zurück.

Dennoch ist deutlich zu spüren, wie schwer Bestle die Reisestornierungen gefallen sind. Nicht zuletzt, da der Verein gerade vor zwei Wochen einen Coup gelandet hat: In Kooperation mit der Gemeinde Vaterstetten wurden 200 000 Euro an Fördergeldern für die nächsten drei Jahre zugesagt, wobei die Gemeinde zehn Prozent davon übernimmt. Im Rahmen des Projekts "Nachhaltige Kommunalentwicklung durch Partnerschaftsprojekte" (Nakopa) werden die Gelder in die Berufsschule Alem Katemas investiert - teils zur Anschaffung von Gerätschaften, teils für die Ausbildung von Schülern und Lehrern der Schule.

Der Trip im November hätte dem Ziel gedient, das Internetcafé der Stadt weiter auszubauen, "sowohl mit Hardware, die besser funktioniert, als auch mit Leuten und Tipps", sagt Bestle. Im Raum stehe nun die Frage, wie der Verein die Pläne umsetzen kann, ohne vor Ort zu sein. "Klar ist, dass wir uns dazu verpflichtet haben - nur die Form muss sich jetzt ändern, da die Reise nicht stattfinden kann."

An diesem Mittwoch erwartet der Verein um 19 Uhr zwei Gäste aus Alem Katema im Gasthaus Landlust: Den Bürgermeister der Stadt, Desta Andarge, sowie den ständigen Sekretär des Partnerschaftkomitees, Desalegn Wondimneh. "Da hatten wir jetzt ein anderes Drama, dass uns viel Zeit und Nerven gekostet hat", erzählt der 48-Jährige. Obwohl beide Gäste bereits vor Monaten formal nicht nur durch das Partnerschaftskomitee nach Deutschland eingeladen wurden, sondern auch von der staatlichen Einrichtung zur Entwicklungsförderung "Engagement Global", wurden ihre Visa-Gesuche zunächst mit dem standardisierten Bescheid abgelehnt. "Die deutsche Botschaft in Addis Abeba selektiert momentan sehr genau", sagt Bestle. "Die Sorge vor Familiennachzug nach Deutschland scheint mir sehr groß zu sein", fügt er hinzu. Im Falle von Andarge und Wondimneh konnte die Situation geklärt werden - "mit den beiden werden wir dann wohl mehr über die aktuelle Situation erfahren."

Über diese macht sich Bestle jedoch keine Illusionen: "Die Konflikte, die da jetzt aufgelodert sind, sind so alt - ich sehe da vorerst kein Ende." Dass Kritik an der Regierung nicht offen geäußert wurde, sei, so Bestle, vor allem in den vergangenen Jahren zum Standard geworden. Selbst, dass das Internet innerhalb ganzer Regionen zeitweise abgeschaltet wird, komme vor. Keinerlei Zugeständnisse sehe er von Seiten der Regierung. "Die Demonstranten werden als friedensfeindliche Subjekte diffamiert", sagt er. Ob seine Freunde und Bekannten konkret in die Auseinandersetzungen verwickelt waren? Bestle seufzt. "Für den Moment habe ich noch von keinem gehört, dass er bei den Protesten in Mitleidenschaft gezogen wurde oder im Gefängnis gelandet ist." Zögernd fügt er hinzu: "Andererseits: Würde man das so schnell erfahren?"

© SZ vom 11.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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