Ungewöhnliche Kirchenmusik:Jazz trifft Kirchenmusik

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Faszinierendes Konzert des Duos "Aerophones" in Vaterstetten

Von Peter Kees, Vaterstetten

Die Sonne blinzelt durch die großen langen Fenster. Menschen sitzen mit gefalteten Händen, andächtig. Doch es ist kein Gottesdienst. Als Martin Seeliger (Didgeridoo, Saxofon und Flöten) und Alexander Hermann (Orgel) in der katholischen Pfarrkirche "Zum Kostbaren Blut Christi" in Vaterstetten ihr erstes Stück beenden, herrscht Stille. Niemand wagt zu applaudieren. Fast Meditatives war gerade verklungen.

Das Duo Aerophones hatte den sakralen Raum mit einer zauberhaften Klangwelt gefüllt, mit Musik, die man üblicherweise in keiner Kirche zu hören bekommt. Es begann zart, leise und steigerte sich in lang anhaltendem Crescendo zu kräftiger, voller Tongebung. Forte, Fortissimo ergoss sich in den Raum, ehe die betörende Klangzauberei wieder abnahm und zum leisen Ausgangspunkt zurückdiminuierte. Romantische Klänge an der Orgel, aber auch Cluster, Dissonanzen und harmonische Rückungen waren das Gerüst für ein jazziges Altsaxofon. Das, was Seeliger und Hermann zum Besten gaben, war improvisierte Musik, Noten brauchen die beiden nicht.

In der Kirchenmusik spielt die Improvisation im liturgischen Orgelspiel seit dem 18. Jahrhundert eine große Rolle. Jeder Organist lernt das Improvisieren in der Ausbildung. Dass im Jazz die Improvisationskunst Grundlage ist, braucht ja nicht erwähnt zu werden. Und doch sind Kirchenmusik und Jazz zwei ganz verschiedene Welten. Alexander Hermann hat Orgel, Musikpädagogik und Kirchenmusik an der Hochschule für Musik in München und am Lionel Rogg am Conservatoire de Musique in Genf studiert. Martin Seeliger wurde unter anderem an der Jazzschool Munich und an der University of Massachusetts ausgebildet. Hermann engagiert sich seit langem für aktuelle Strömungen der zeitgenössischen Musik, bei denen Improvisationen eine große Rolle spielen. Auch Seeliger ist offen für Experimentelles. Da haben sich zwei gefunden.

Beim zweiten Stück wechselte der Saxofonist das Instrument, nun kam ein Didgeridoo zum Einsatz. Luftige Klänge waren zu hören, dazu ein abertiefer, wabernder Orgelton. Man wurde in eine exotische Welt entführt, in den Kosmos fremdländischer Kulturen. All das hätte womöglich auch elektronisch erzeugt werden können, doch es war rein analoge Musik, die ihre Zuhörer eindringlich berührte. Man war wie "ver-rückt", konnte sich kaum satthören. Zaghafter Applaus diesmal, immerhin. Und wieder griff Seeliger zum Sax, fast tänzerisch spielten nun die beiden Musiker. Erneut erklang ein großes Crescendo, das zum Ende abebbte, zurückging zum Nullpunkt. Die zwei Instrumente verschmolzen, wenn auch die verschiedenen Saxofone, die zum Einsatz kamen, immer ein wenig solistisch anmuteten, im Unterschied zum Didgeridoo und zur Indischen Flöte, die Seeliger ebenfalls zur Hand nahm. Bestechende Atmosphären zauberte das Duo, Momente, die Raum und Zeit fast aufhoben. Großartig! Was manchmal durchaus dunkel, düster klang, bedrohlich, schien in den Zustand einer Trance zu führen. Einzig etwas schnellere Tempi hätte das Konzert auch mal vertragen. Eine Improvisation in einem Vivace etwa hätte sicher bereichert.

Dabei steht die Orgel in der Kirche auf der Empore, man konnte die Musiker also nicht sehen. Erst zum Schlussapplaus kamen sie herunter, ehe sie wieder verschwanden, um an Didgeridoo und Orgel noch einmal in ihren Zauberkasten zu greifen. Diesmal applaudierte das Publikum kräftig.

© SZ vom 24.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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