Umjubelte Premiere:Happy End in Vaterstetten

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Spielfreude pur: Rudi Zapf mit seinen Freunden, Geigerin Sunny Howard, Gitarristin Ingrid Westermeier und Bassist Leonhard Schilde. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Rudi Zapf, Virtuose aus Pliening, tritt das erste Mal bei den Rathauskonzerten auf. Mit seinen Freunden bietet er ein abwechslungsreiches Programm mit Stücken aus aller Welt dar

Von Anja Blum, Vaterstetten

Der Abend beginnt mit einem Rätsel: Seit 40 Jahren gibt es die Rathauskonzerte Vaterstetten, seit 40 Jahren steht Rudi Zapf aus Pliening auf der Bühne. Hier ein Intendant, Kurt Schneeweis, der nicht nur klassische Perlen auffädelt, sondern seine Reihe auch immer wieder mit bunten Preziosen anreichert. Dort ein Künstler, der sein Instrument, das Hackbrett, beherrscht wie kaum ein anderer und in der Musik keinerlei Grenzen akzeptiert. Dazwischen: gerade mal 14 Kilometer. Weshalb es trotzdem vier Jahrzehnte gedauert hat, bis die beiden Institutionen zusammenfanden? Diese Frage bleibt leider unbeantwortet. Doch das lässt sich leicht verschmerzen, darf das Publikum doch das Happy End der Geschichte erleben: ein Rathauskonzert erster Güte, so virtuos wie beseelt.

Zum verspäteten Neujahrskonzert mit Rudi Zapf & Freunden ist in den Seniorenwohnpark Vaterstetten geladen, und die Zuhörer kommen reichlich, kein Stuhl im Saal bleibt frei. Kein Wunder, denn dem Plieninger Musiker eilt ein einmaliger Ruf voraus: Obwohl Zapf mit Hackbrett und Knopfakkordeon unterwegs ist, haben seine Konzerte leidlich wenig mit volkstümlicher Stubnmusi zu tun. Vielmehr führt er mit seinen Instrumenten rund um die Welt und entlockt ihnen dabei ungeahnte Klangqualitäten. Auch die musikalischen Neujahrsgrüße in Vaterstetten sind ein bunter, internationaler Strauß: Hier treffen Stücke aus Irland, Österreich, Russland, Brasilien oder Japan aufeinander, man hört Walzer, Csárdás, Milonga und Klezmer, das meiste davon arrangiert Zapf freilich gemäß seiner Bedürfnisse um. Denn der Tausendsassa wechselt ständig zwischen Hackbrett, Knopfharmonika und Vibrandoneon, eine Art Blas-Akkordeon, das mit einem sängerischen Sound besticht. Fast clownesk wirkt Zapf an diesem Instrument, spitzbübisch lächelnd, ein Anblick, der seine unbändige Spielfreude einmal mehr deutlich macht.

Einen Programmzettel gibt es für dieses Rathauskonzert nicht, Zapf führt höchstselbst mit viel Humor und kenntnisreich durch den Abend, denn er weiß um die Bedeutung des persönlichen Kontakts zum Publikum. Eine professionelle Moderation ist das zwar nicht - Zapf kommuniziert besser mit Noten denn mit Worten - doch gerade deswegen sind ihm die Sympathien gewiss. Hier steht ein Mann auf der Bühne, der die Musik mit jeder Faser liebt - bis an die Grenze zur Schrulligkeit. Voller Begeisterung spricht er über den kompositorischen Aufbau von Walzern, lässt Melodien erraten und erklärt dem etwas überfordert wirkenden Publikum, wie es leichter auf das "und" klatschen kann. Sein Aufruf, bei einem träumerischen Stück aus Dänemark doch bitte seine Töne zu zählen - für die richtige Antwort gebe es "alle CDs" - ist freilich Koketterie: Bis zu 666 Anschläge pro Minute schafft Zapf angeblich.

Doch nicht nur seine Schnelligkeit ist absolut bemerkenswert, sondern auch sein unkonventioneller Umgang mit dem Hackbrett. Bei einem temporeichen Dschingis-Khan-Song imitiert er mit seinen Schlegeln Hufgetrappel, beim Flamenco-Walzer verwandeln sie sich kurzerhand in "Hackagnetten". Mal spielt Zapf gedämpft, mal lässt er den Hall wirken, mal ergeht er sich in schier brutalen Tonwiederholungen, dann wieder wirbelt er wie im Rausch über die Saiten, mal klingt sein Spiel erdig, mal silbrig. Besonders akzentuierte Töne zieht Zapf wie an unsichtbaren Fäden aus dem Instrument. Außerdem ist sein Hackbrett eine Spezialanfertigung, entwickelt gemeinsam mit einem Physiker: Die Saiten sind exakt im Drittel geteilt, so dass man sie auch außerhalb der Stege bespielen kann, hier erklingen die Töne eineinhalb Oktaven höher. Als der Meister dies vorführt, platzt plötzlich einer der Ballons, die den Saal für den Neujahrsempfang schmücken - zu viel der Schwingung? "Dass die das nicht aushalten, hab ich mir schon gedacht", sagt Zapf und lacht.

Doch Zapf steht freilich nicht alleine auf der Bühne, sondern hat drei Musiker mitgebracht, die einwandfrei neben ihm bestehen können: Geigerin Sunny Howard, Gitarristin Ingrid Westermeier und Bassist Leonhard Schilde. Zusammen bilden diese vier Freunde ein kleines, aber klangstarkes und -reiches Orchester: Geige und Hackbrett beziehungsweise Akkordeon führen und begleiten abwechselnd, Gitarre und Bass bilden ein verlässliches Fundament. Da wird genial gezupft, geschlagen und gestrichen, vor allem Howard erweist sich als feurige Teufelsgeigerin, wie es sich für ein Genre wie dieses gehört - kein Wunder, sie ist mit einem Iren verheiratet. Hier geht es nicht um den schönen klassischen Ton, diese Geige darf, ja muss pfeifen, kratzen, fauchen. Und diese vier Musiker verstehen sich im wahrsten Sinne des Wortes blind, es ist kaum Blickkontakt nötig, um auf den Punkt zu sein. Gemeinsam bespielen sie die ganze Klaviatur der Temperamente: Ihre Musik ist abwechselnd leichtfüßig, schwelgerisch, getragen, festlich, drängend, beschwingt, schwermütig und fröhlich, oft finden sich Gegensätze in einem Stück.

Besonders beeindruckend sind jene Kompositionen, die mit ihrer Lautmalerei das Kino im Kopf entfachen, eine "Jurtenmusi" aus Kasachstand zum Beispiel oder eine buddhistische Meditation. Eine ostinate Gitarre, sparsamer Bass, Unisonopassagen von Hackbrett und Geige: Hier reißt die Monotonie wundervolle Assoziationsräume auf, von Weite, von Wind, von der Nichtigkeit des Menschseins.

Die allerletzte Zugabe nach reichlich begeistertem Beifall sind drei kleine Canzoni della Strada, Liedchen aus Italien, mit denen die vier Musiker den ein oder anderen Zuhörer sicher fröhlich pfeifend auf den Heimweg schicken. Rudi Zapf in Vaterstetten - das könnte, nein sollte der Beginn einer schönen Freundschaft sein.

© SZ vom 15.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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