Trend auch im Landkreis spürbar:Wenn die Patienten immer jünger werden

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Willi Daniels fiel vor 20 Jahren plötzlich um. Zum Tag des Schlaganfalls erzählt der 68-Jährige, wie er Betroffenen hilft

Von Daniela Gorgs, Ebersberg

Einen Schlaganfall kriegen nur ganz alte Leute. So ab 29. Mit diesem Spruch auf ihrer Homepage räumt die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe mit dem Irrglauben auf, dass diese Erkrankung einzig Großeltern trifft. Sicher, etwa Dreiviertel aller Schlaganfälle trifft Menschen, die älter sind als 70 Jahre. Fakt ist aber auch, dass immer mehr junge Menschen und sogar Kinder betroffen sind. Zum Tag des Schlaganfalls, an diesem Donnerstag, 10. Mai, zeigt ein Blick in die Statistik, dass die Erkrankung jedes Alter treffen kann. Darauf weist auch die Kaufmännische Krankenkasse KKH hin: Im Jahr 2016 erlitten 7630 ihrer Versicherten einen Schlaganfall, davon waren mehr als 1000 unter 54. "Selbst Kinder, Jugendliche und junge Menschen bis 34 Jahren bleiben nicht verschont: 120 erlitten in dieser Gruppe in 2016 einen Schlaganfall", berichtet Patric Stamm vom Serviceteam in München. Laut einer Datenerhebung der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe sind fünf bis zehn Prozent der Erkrankten unter 50 Jahren. Das sind in Deutschland etwa 9000 bis 14 000 Männer und Frauen.

Der Steinhöringer Willi Daniels, der im Alter von 48 Jahren einen Schlaganfall erlitt, gehört zu der Gruppe der juvenilen Schlaganfälle. In einer Silvesternacht vor 20 Jahren blies er einen Luftballon auf - und fiel um. In einer Klinik in Nordrhein-Westfalen erkannte man die Diagnose nicht gleich und schickte ihn mit großen Sprachproblemen und Störungen in der Feinmotorik nach Hause. Seine Rehabilitation nahm Daniels selbst in die Hand. Auf Drängen seiner Frau mischte er sich unter Leute, suchte das Gespräch und lernte mühsam wieder sprechen und schreiben.

Die Diagnose mit Kernspintomografie sei im Vergleich zu den Achtzigerjahren heute auf einem "hohen Niveau", sagt Klaus Pürner, Oberarzt der Schlaganfallstation "Tempis" an der Kreisklinik Ebersberg. Auch die Kooperation mit den Schlaganfallzentren in München-Harlaching und Regensburg per Telemedizin liefert den Ärzten in Ebersberg rasche Diagnostik. "Der Zeitfaktor spielt eine entscheidende Rolle in der Behandlung des Schlaganfalls", sagt Pürner. Die Kreisklinik dokumentiert seit 2003 die Zahl der Schlaganfälle. Bislang, so Pürner, betrug der Anteil der juvenilen Fälle drei bis vier Prozent. Im vergangenen Jahr stieg der Anteil plötzlich auf 5,1 Prozent. Und doch würde Oberarzt Pürner noch nicht von einem Trend sprechen. Wohl aber habe er den Eindruck, dass die Patienten jünger werden.

Risikofaktoren eines Schlaganfalls sind laut Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe Bluthochdruck, Diabetes und Stoffwechselstörungen. Bei jüngeren Menschen aber seien oftmals kleine Verletzungen an der Gefäßinnenwand einer Halsarterie dafür verantwortlich. Es bildet sich ein Wandhämatom, das zu einer Engstelle führt, im schlimmsten Fall zu einem Gefäßverschluss. Grundsätzlich, so die Stiftung, seien Schlaganfälle bei jungen Menschen komplexer und daher schwieriger zu diagnostizieren. So war es auch bei Willi Daniels.

Die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe überredete ihn damals, eine Selbsthilfegruppe im Landkreis zu gründen. Dort war ihm das Durchschnittsalter von 70 Jahren zu hoch. Daniels gründete eine Schlaganfall-Gruppe auf Facebook. Zirka 5800 Mitglieder tauschen in diesem sozialen Netzwerk Erfahrungen aus. Wie Daniels beobachtet, suchen hauptsächlich junge Menschen Hilfe. "Jeder möchte sein Handicap rasch wieder loswerden", sagt der 68-Jährige. Betroffene suchen in der geschützten Gruppe Unterstützung. Sie wollen wissen, wie es anderen gelingt, beruflich wieder Fuß zu fassen. Welches Medikament präventiv vor einem möglichen nächsten Schlaganfall schützt, welcher Sport sinnvoll ist. Und vor allem, wie man die Angst überwindet, wieder unter Menschen zu gehen, um ein normales soziales Leben führen zu können.

Willi Daniels weiß aus eigener Erfahrung, dass man sich nach einem Schlaganfall zunächst mit allem überfordert fühlt. Der Austausch im Netzwerk sei unglaublich wichtig für die Betroffenen. Für die erfolgreiche Gründung und Administration dieser Facebookgruppe wurde Daniels im Jahr 2014 mit dem Motivationspreis Deutschland ausgezeichnet. 2001 bereits erhielt er den Ehrenamtspreis der Deutschen Schlaganfall-Hilfe für sein Projekt "Handy als mobile Notruf-Säule". Daniels organisierte über die Spende eines großen Mobilfunkunternehmens 1000 Handys für Betroffene, um ihnen die Sicherheit zu geben, im Notfall einen Notruf absetzen zu können. Jetzt, 17 Jahre später, tüftelt der 68-Jährige an einem neuen Projekt, um Erkrankten zu helfen und sie zu motivieren, das Leben wieder mutig anzupacken.

"Im Zeitalter von Bits und Bytes", wie Daniels schmunzelnd erzählt, entwickelt er derzeit eine sogenannte kontaktlose Notfallkarte. Auf dieser Karte sind Name, medizinische Daten und die Telefonnummer beispielsweise eines Angehörigen gespeichert. Durch einen "NFC-Chip" auf der Karte kann ein Ersthelfer mit seinem Smartphone rasch an die Daten der Person gelangen. NFC steht für "Near Field Communication" und ist ein neuer Funkstandard zur drahtlosen Datenübertragung. Und, natürlich hilft Daniels erneut mit, den Schlaganfall-Präventionstag zu organisieren, der am 20. Oktober in Ebersberg stattfindet.

Die Gesundheitsregion plus Ebersberg plant den Fachtag zusammen mit der Kreisklinik und dem Präventionsprojekt Invade. Bewusst habe man sich für das Thema Schlaganfall entschieden, der dritthäufigsten Todesursache in Deutschland, wie Geschäftsstellenleiterin Carolin Sinemus erläutert. Inhalte des Informationstages sind Vorbeugung, Behandlung und Nachsorge.

© SZ vom 09.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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