Traditionsverein sucht Nachwuchs:Die auch im Regen trommeln

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Der Grafinger Spielmannszug spielt seit seiner Gründung vor 63 Jahren auf der Münchner Wiesn. Im Mittelpunkt steht vor allem das Miteinander

Von Viktoria Spinrad, Grafing

Dagny Seebauer schlief seelenruhig, da hörte sie um fünf Uhr morgens plötzlich ohrenbetäubenden Lärm. War der Krieg ausgebrochen? Sie wand sich aus dem Bett, ging die Treppe runter - und stand vor ihren 25 in Tracht gekleideten Musikerkollegen vom Spielmannszug, dem sie ein Jahr zuvor beigetreten war. Zu ihrem Hochzeitsmorgen stimmten die mit Trommeln, Lyra und Flöten die "Adelheid" für sie an. "Da steht man da im Nachthemd und fragt sich: Wo nehm ich denn jetzt so viele Weißwürste her?", erzählt die 36-Jährige mit den frechen kurzen Haaren 14 Jahre später, ihre vier Kollegen am Tisch lachen laut.

Gemeinsam eine Gaudi erleben - darum geht es Menschen wie Seebauer, die beim 1953 gegründeten Grafinger Spielmannszug mitlaufen und -musizieren. Zum Beispiel, wenn sie mit ihren Kollegen jedes Jahr mit etwa 9 000 Trachtlern, Fahnenschwingern, Musikern, Jägern und Schützen auf der Wiesen einmarschiert. Stefan Pihale lehnt sich vor am Tisch. "Zur Wiesn brauch ich keine Einladung schreiben. Da wissen alle, wo sie zu sein haben", sagt der 45-jährige Vorsitzende mit einem Grinsen. Wenn die 35 Leute starke Truppe Jahr für Jahr in das Augustiner Festzelt einzieht, läuft er vornweg und spielt die Lyra, dieses harfenähnliche Glockenspiel mit Klangplatten aus Metall. Die anderen blasen in Pfeiferl oder hauen auf Trommeln - notfalls auch im strömenden Regen.

Der Spielmannszug bei der Eröffnung des Grafinger Volksfests im Jahr 2014. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

So wie vor vier Jahren, als es beim Trachtenumzug mehr als zwei Stunden und sieben Marsch-Kilometer lang wie aus Eimern kübelte und Seebauers Hände aussahen, als hätte sie stundenlang in der Badewanne gelegen. "Wir waren alle völlig durchtränkt." Doch das war schnell vergessen: Als sie mit ihren Grafinger Freunden endlich ins Zelt einmarschierte, sie die Augustiner-Kapelle aufforderte, zu ihnen auf die Bühne zu kommen. Beide Musikgruppen stimmten gemeinsam den Bozner Bergsteiger-Marsch an. "Da überkommt einen die pure Gänsehaut".

Es gibt solche und solche Spielmannszüge. Die einen proben mehrmals in der Woche, treten an jedem Wochenende auf, lassen sich ihre Qualität auf Wertungsspielen bestätigen. Und dann gibt es Hobbyvereine wie den Grafinger Spielmannszug. "Wir wollen keinen Perfektionismus", sagt Pihale, der Vorsitzende. Links von ihm sitzt Georg Schlechte, der 54-Jährige ist schon als kleiner Taferlbub vorne mitgelaufen. "Diese Perfektion braucht's ned, die Welt is auch nicht immer gleich", sagt auch er. Neben ihm sitzt die 38-jährige Vroni Schlagenhaufer. Sie sagt: "Wir sind einfach stets bemüht. Zu uns kommens, weil's bei uns gemütlich ist."

(v.l.n.r.) Dani Maletzki, Georg Schlechte, Vroni Schlagenhaufer, Stefan Pihale und Dagny Seebauer freuen sich auf ihr Weinfest in der kommenden Woche. (Foto: Christian Endt)

Gemütlich ging es auch bei einem Ausflug ins österreichische Ellbögen zu. Schlagenhaufer und die 38-jährige Dani Maletzki sollten sich mit zwei weiteren ein Zimmer teilten, das allerdings nur Betten für drei hatte. Die vierte im Bunde wollte nett sein, überließ Maletztki und Schlagenhaufer das Doppelbett und machte es sich auf dem Boden gemütlich. Als sie am nächsten Morgen aufwachte, war das Doppelbett unberührt. "Wir waren gar nicht erst ins Bett gegangen. Das werde ich nie vergessen", sagt Maletztki und lacht. "Da legt sie sich extra auf den Boden - und i kimm einfach ned hoam."

Gaudi hin oder her - wofür braucht's das heute noch, mit militärischer Disziplin im Gleichschritt Marschzüge mit Trommeln und Pfeiferl anzuführen? Heute mehr denn je, wenn man die Mitglieder fragt. Zum Beispiel als Gegengewicht zur Ellenbogengesellschaft. "Es darf niemandem egal sein, wie es der Person neben einem geht", sagt Pihale. Miteinander sein, aufeinander achten, solche "soft skills", solchen Kleber der Gesellschaft gelte es zu erhalten. Und das funktioniere bei einer Musikgruppe besonders gut. "Wenn du in einem Musikverein nicht miteinander spielst, kommst zu nichts." Dabei sehen die Mitglieder ihren Verein auch als soziales Sprungbrett für Zugezogene: "Nirgendwo lernst du einfacher Leute kennen als in einem Verein." Nur ist das mit dem musikalischen Nachwuchs so eine Sache. Mit zehn Jahren können Kinder dazustoßen, dann sind die Finger groß genug, um die Löcher der Pfeiferl abzudecken, und stark genug, um die Trommeln zu tragen. Schwierig wird es im Teenageralter, wenn andere Dinge interessant werden und die Jugendlichen Pfeiferl und Trommel links liegen lassen. Trotz eigenem maßgeschneidertem Dirndl. Obwohl sich der Verein mit Mitgliedern zwischen acht und 80 Jahren als Schmiermittel zwischen den Generationen versteht und man hier die Einstellung hat, das man schwer beschäftigten Jugendliche auch mal etwas Luft lassen muss. Und obwohl die Musiker auch mal Stücke wie "Puppets on a String" und "Pippi Langstrumpf" spielen. Das Versprechen: "Es ist eine Gaudi, bei uns dabeizusein", sagt Schlechte. Nicht nur Dagny Seebauer, deren Hochzeitstag in aller Früh mit Pfeiferln und Trommeln begann, kann ein Liedchen davon singen.

Der Spielmannszug lädt zum Südtiroler Weinfest am Samstag, 11. August, ab 18 Uhr in der Rotter Straße. Wer Interesse hat, dem Spielmannszug beizutreten, kann sich an Christin Hochrainer wenden: (0151) 46 68 09 16, ausbildung@sz-grafing.de. Die Ausbildung kostet 15 Euro im Quartal, die Mitgliedschaft ist kostenlos. Videos von Auftritten der Gruppe gibt es auf Youtube unter dem Stichwort "SZ Landkreis Ebersberg".

© SZ vom 04.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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