Top-Schwimmer aus Zorneding:"2020 hätte mein Jahr werden sollen"

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Max Nowosad hatte geplant, sich auf Tokio vorzubereiten, seine letzte Chance auf Olympia. Dann kam Corona - und ließ den Zornedinger beinahe aufgeben. Warum er nun, unter strengen Auflagen, wieder ins Becken springt

Von Korbinian Eisenberger, Hamburg/Zorneding

Die sportlichen Rückschläge des Schwimmers Max Nowosad lassen sich in 13 Hundertstelsekunde zusammenfassen. Im Jahr 2018 fehlte ihm etwas mehr als eine Zehntelsekunde zur Teilnahme an der Europameisterschaft. Und 2019 war er eine Hundertstelsekunde zu langsam für die Nominierung zur Weltmeisterschaft. In beiden Fällen verlor Nowosad auf der Zielgeraden noch den sicher geglaubten Startplatz für den Deutschen Schwimmverband. Doch mit seinem großen Ziel im Hinterkopf machte der 24-Jährige weiter: Tokio 2020. Seine erste Olympiade. Von Sportpsychologen betreut, "und mit einem guten Trainerteam", sagt er, ging er es an. "Er war voll im Plan und Soll für die Qualifikation", sagt sein Coach. Dann kam Corona.

Max Nowosad aus Zorneding ist einer der fünf besten 200-Meter-Krauler Deutschlands - und hat die vielleicht schwierigsten Wochen seiner Karriere hinter sich. 2020 - das Olympiajahr - "hätte mein Jahr werden sollen", sagt Nowosad. Er vom Landesstützpunk München zum deutschen Olympiastützpunkt nach Hamburg gezogen, zu den besten Trainern der Nation. Sein Leben, über Jahre auf dieses Ziel ausgerichtet - die Lernzeiten fürs Studium, Wochenenden, Schlaf- und Mahlzeiten. Täglich drei Trainingseinheiten, zweimal Becken, einmal Kraftraum - alles streng getaktet. Als die Spiele in Tokio abgesagt wurden, brach Nowosak regelrecht zusammen. Er holte sich Rat von seinen Eltern und Großeltern, die in Pöring und Zorneding wohnen. Den Trainern erklärte er: "Ich weiß nicht, ob ich wieder komme."

Der Athlet kam zurück, doch der Weg war kein leichter für Max Nowosad. Das erzählt er an diesem Donnerstagfrüh durch die Videokamera seines Handys. Er ist auf dem Weg von der Umkleide in die Hamburger Schwimmhalle, wo er nach vier Wochen Pause wieder trainiert. Er sagt: "Als ich das erste Mal in Wasser gesprungen bin, wollte ich sofort wieder raus."

Erst die knappe Niederlage vor der EM, dann die verpasste WM, wo er auf die Hundertstelsekunde zeitgleich mit Marius Zobel im Ziel ankam. Der Bundestrainer entschied sich für den jüngeren Athleten Zobel. Und nun das: keine Niederlage, keine Sache von zwölf Hundertstelsekunden, sondern von zwölf Monaten. Olympia soll stattfinden, voraussichtlich im Sommer 2021. Die Frage ist: Mit oder ohne ihn?

Alles für Tokio: Um sich weiter zu verbessern, wechselte Max Nowosad vor zwei Jahren vom Landesstützpunkt München zum deutschen Olympiastützpunkt nach Hamburg. Mit der Verschiebung der Spiele um ein Jahr stellte sich für den Pöringer die Frage, ob er weiter macht. (Foto: imago/Eibner)

"Moin Tobi." Nowosad tritt mit Videohandy an den Beckenrand, wo sein Trainer Tobias Müller bereitsteht. Zwei Stunden Freistiltraining auf der 50-Meter-Bahn stehen an. Nowosad hat das Privileg, als einer von wenigen auch während der Coronakrise in einem Hallenbecken schwimmen zu dürfen. Das Chlor hilft zum Schutz der Athleten, dennoch sind die Auflagen streng. Es wird nicht wie sonst zu acht oder zwölft und zwei Trainern trainiert. Maximal vier Athleten und ein Coach dürfen gleichzeitig in die Halle. Gerade sind sie drei Schwimmer, sodass immer eine freie Bahn Abstand ist. Nowosad streift sich die Schwimmbrille über die Stoppelhaare. Derzeit muss er ohne die Spezialkamera am Startblock auskommen, weil der Videoanalyst wegen der Infektionsgefahr nicht in die Halle darf. Immerhin: Sie dürfen wieder trainieren. Wobei für Nowosad wichtiger ist: Er will wieder trainieren.

Trainer Tobias Müller spricht von einem "vorbildlichen Athleten": akribisch, fokussiert, professionell. Max Nowosad ist Hochleistungssportler. Und doch ist er kein "Profi", der von seinem Sport leben kann. Wie so viele Leistungssportler, die nicht Fußballer geworden sind. Nowosad studiert in Vollzeit Management, schreibt gerade seine Masterarbeit. Mit seinem Mitbewohner teilt er sich eine Hamburger Genossenschafts-WG, zum günstigen Tarif, sagt er. Geld ist ein großes Thema, daran änderte auch Nowosads Sportstipendium nichts. Seine Eltern in Pöring investieren jedes Jahr eine fünfstellige Summe in die Schwimmkarriere des Sohns, hinzu kommen Privatspenden und - seit Beginn des Olympiajahres - erstmals ein Zuschuss der Deutschen Sporthilfe. "Ich komme gerade so hin."

Nowosad weiß, dass er sehr wahrscheinlich nie um eine olympische Medaille mitschwimmen wird. Er ist keiner der ganz wenigen Stars der Szene und wird es mit bald 25 wohl auch nicht mehr werden. Was treibt so jemanden an? Warum all die Entbehrungen? Warum macht er weiter? Wo er doch kommendes Jahr nach seinem Karriereende Dinge vorhatte, die andere in seinem Alter zelebrieren: Er plante ein Auslandssemester in Sydney, und ein Berufspraktikum in New York.

Max Nowosad, 24, stammt aus Pöring. (Foto: OH)

Und er wollte Zeit für Reisen haben. Kurz nach eins am Nachmittag, Nowosad hat gerade seine Physiotherapieeinheit hinter sich. "Mein Knie muckt seit ein paar Wochen ein bissel rum", sagt er - jetzt vom Schreibtisch seiner Wohnung aus und in bekleidetem Zustand. Er erzählt, dass er einige Male ins Wasser musste, ehe das bekannte Gefühl zurückkehrte. "Ich liebe, dass man da drin nichts hört als sich selbst", sagt er.

Weitermachen oder aufhören? Mit dem Projekt Hamburg, wo er seit zwei Jahren mit einem Videoanalysten zusammenarbeitet, um seine beiden große Schwächen - Startreaktion und Wende - zu optimieren. Nach einigen Wochen Training kam er zum Schluss: "Wenn ich jetzt aufgebe, bleibt das alles unvollendet." Trainer Müller erzählt, dass Nowosad in Topform war, die Ergebnisse in den nationalen Wettkämpfen ließen bis zum Corona-Cut nur einen Schluss zu: Wenn es normal läuft, schafft Nowosad die Olympiaquali.

Jetzt heißt es: warten, trainieren,. Die Form konservieren. Mindestens. Habe ich das Zeug, ein Olympionike zu sein? Diese Frage, sagt er, die möchte er in seinemLeben beantwortet haben. Dass sich die Antwort nun um mindestens ein Jahr verzögert? "Ein Rückschlag", sagt er. Wieder. Damit hat er jetzt Erfahrung. Mit Rückschlägen, aber auch, wie man sich davon erholt.

© SZ vom 16.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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