Der Körper fühlt sich nicht mehr so an wie er sollte. Mal abgesehen davon, dass dort, wo die Taille einmal saß, jetzt die Hosen kneifen, dass der früher halbwegs straffe Bauch in gemütlichen Rundungen liegt und die aufrechte Haltung nur noch ein Traum aus vergangenen Tagen ist - schließlich hat man jetzt fast immer so ein kleines Wesen auf dem Arm, vor der Brust oder auf der Hüfte. Die Schulter hängt, der Schritt ist schlurfend.
Doch sind das nur die äußerlichen Folgen einer Schwangerschaft, denen Anne Schabow mit ihrem Lauf-Kurs für Mamas entgegen wirken möchte. Auch innen im Körper einer jungen Mutter ist vieles neu, wenn der neun Monate lang Heimat für einen anderen, wenn auch kleinen Menschen war. Das geht über den instabil gewordenen Beckenboden hinaus. Das Gleichgewichtsgefühl ist verändert - das mechanische und auch das seelische. Geradeaus gehen ist plötzlich nicht mehr selbstverständlich, und die Psyche in ihrem neuen Normalzustand gleicht einer Dauerrunde im Wiesnfahrgeschäft Taumler: immer im Kreis, und dabei rauf und runter.
Anne Schabow kennt das alles aus eigener Erfahrung. Ihr Sohn ist sechs Jahre alt, und gleich, wenn der Kurs am Ufer des Klostersees unter dem schönen und doppeldeutigen Titel "LaufMamaLauf" vorbei ist, muss sie los, um ihren Nachwuchs beim Papa im Büro abzuholen. Keine Betreuung zur Hand, doch das ist ganz normal. "Mütter sind immer am Rennen", sagt sie und lacht, "aber wir wollen sie jetzt auch zum Laufen bringen."
Wobei die sportliche Betätigung, die Schabow jeden Dienstag- und Donnerstagvormittag am Egglburger und Klostersee in Ebersberg und am Montag zusätzlich in Wasserburg anbietet, für die jungen Mütter gerade kein zusätzlicher Stress sein, sondern ihnen einen sanften Weg zurück zeigen soll, zu ihrem Körper und zu sich selbst. Dass die Sprösslinge dabei sind, gehört zum Konzept: Die Mamas sollen nicht erst nach einem Babysitter suchen müssen, bevor sie Sport machen dürfen, und auch den Kindern tut die Luft gut. Die Mamas laufen bei jedem Wetter, das ganze Jahr über.
An diesem Donnerstagvormittag haben sie Glück, die Regenwolken haben sich verzogen. Die sieben jungen Frauen, die auf dem Seecafé-Parkplatz bei ihren Aufwärmübungen im raschen Rhythmus immer von einem Fuß auf den anderen treten und dabei die Arme schwenken, finden ihre Begleitmusik im leisen Krähen von Martin. Vier Monate ist er alt und muss sich ebenfalls mit Neuerungen in seinem Körper auseinandersetzen: Am Vortag hat sein erster Zahn die Spitze hervorgeschoben. Das kann so einen winzigen Kerl schon mal an seine Grenzen bringen. Nichtsdestotrotz arbeitet Mama Carina fleißig an ihrem Bewegungsapparat, auch wenn es hier und da ein bisschen knackst, wie sie klagt. "Ein bisschen Tempo aufbauen jetzt", ruft Anne Schabow. Schließlich sollen die Muskeln ja warm sein, wenn die Gruppe anfängt zu laufen, wobei Laufen relativ ist. Sie pflegen eine Art von Belgischen Kreisel auf ihrem Weg um den Klostersee. In schnellem Gehtempo schieben sie ihre Kinderwägen über den Weg, während die Hinterste immer wieder nach vorne laufen und die Spitze übernehmen muss. Auf Geschwindigkeit kommt es bei der Mama-Formation aber nicht an. Wie schnell der Kinderwagen geschoben wird, hängt von Fitness und Wollen der Mutter ab. Auch das gehört zum Konzept: Mitmachen kann jede junge Mutter, ob sportlich oder nicht. Frischluft tanken, mit Gleichgesinnten austauschen, raus aus den eigenen vier Wänden, darum geht es. Zwischen drei und vier Monate nach der Geburt fangen die meisten mit dem Training an. "Vorher nehme ich sie gar nicht", erklärt die Kursleiterin. Da ist der Beckenboden noch nicht ausreichend gefestigt - der braucht allerdings auch jetzt noch Ansporn und Pflege.
Für Schabow, die nach ihrer Ausbildung zur Fitnesstrainerin eine Schulung in Postpartalem Gruppentraining (postpartal bedeutet: nach der Geburt; Anm. d. Red.) absolviert hat und zusätzlich noch als Cardiofitnesstrainerin qualifiziert ist, ist es selbstverständlich, auf diese Dinge zu achten. "Ihr denkt daran", ruft sie, "immer den Beckenboden unter Spannung halten", während die Mamas gegen den Zug von starken Gummibändern um die Knöchelgelenke ihre Oberschenkelmuskeln straffen und dabei mit geradem Rücken die Kehrseite weit heraus strecken. Das sollen sie auch - "und dabei schön den Bauchnabel nach innen ziehen". Was alle brav tun, bis auf Afra, deren Sohn Quirin mit einem energischen "da" Aufmerksamkeit fordert und das Gummiband zurückgibt, das sie ihm zum Spielen überlassen hat. Die beiden sind schon im September eingestiegen, und Afra ist inzwischen auch bei "Mamamachtmehr". Das Cardiofitnesstraining am Dienstagabend richtet sich an Mütter, deren Kinder schon etwas älter sind.
Zum Stadtlauf 2015 hat Trainerin Schabow ihre Sportgruppen in Ebersberg und Wasserburg eröffnet. Die gelernte Betriebswirtin hat sich nach der Geburt ihres Sohns auf die Suche nach einer Beschäftigung im Outdoorfitnessbereich gemacht und ist auf LaufMamaLauf gestoßen. "Ein Glück", sagt sie, "wäre ich in meinem alten Beruf geblieben, würde ich heute wohl überhaupt keinen Sport mehr machen." Ähnliches dachten auch die beiden Gründerinnen der Berliner Unternehmensgesellschaft LaufMamaLauf, beide Mütter von Söhnen, die ihr Franchise-Konzept inzwischen über ganz Deutschland und einige Städte in Österreich und der Schweiz ausgeweitet haben.
"Daheim würde ich das nie machen", sagt eine der Mamas leicht keuchend beim abschließenden Work-out auf den Holzstufen im Badebereich des Klostersees, während sie in Bauchlage versucht, die Beine aus der Hüfte nach hinten oben zu bewegen. Schabow geht von einer zu anderen, korrigiert hier, feuert dort ein bisschen an. Und während Tims Mama mit ihrem Gleichgewicht kämpft, nutzt Quirin die Gelegenheit, der kleinen Hannah den Schnuller zu klauen. Quinn klettert seiner Mama auf die Hüfte und macht es ihr noch ein bisschen schwerer, den Körper in Seitenlage hochzustemmen. Die letzte Übung bringt noch einmal Bauchdecken ins Zittern, dann ist es geschafft. Ein Cappuccino im Seecafé, das extra für den Kurs früher aufmacht, ist der verdiente Abschluss des Vormittagsprogramms. "Man hat ja nach der Geburt ein komisches Verhältnis zu seinem Körper, und der Sport tut so gut", sagt Stefanie. "Und dass es an der frischen Luft ist", fügt Afra hinzu, bevor sie ihrem Quirin hinterher läuft, der versucht, sich mit einem Stift abzusetzen. Dafür liegt Martin jetzt zufrieden auf seiner Decke in der Sonne und hat seinen Zahn ganz vergessen.