SZ-Serie "Kraftakt", Teil 3:Alle fünf Jahre eine neue Station

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Sarah Lindman ist 18 Jahre alt und befindet sich im dritten Ausbildungsjahr zur Krankenpflegerin. Ihren Beruf liebt sie, doch sie fürchtet auch, irgendwann im hektischen Klinikalltag abzustumpfen

Von Theresa Parstorfer, Ebersberg

Das Kühlhaus im Ebersberger Krankenhaus war für Sarah Lindman am Anfang das Schlimmste. Nicht, weil dort die Leichen aufbewahrt werden, sondern, weil es sich im Keller befindet. Weil deshalb der kalte Körper eines verstorbenen Patienten "durch das ganze Krankenhaus und an allen vorbei bis nach ganz unten geschoben werden muss", sagt Lindman. Das habe sie am wenigsten erwartet. "Das ist schon irgendwie krass", sagt sie nachdenklich.

Lindman, die eigentlich anders heißt, ist 18 Jahre alt und befindet sich im dritten Ausbildungsjahr zur Gesundheits- und Krankenpflegerin. Mit 16, gleich nach dem Realschulabschluss, ist sie von Mühldorf nach Ebersberg ins Schwesternwohnheim gezogen. Bisher ist sie sehr zufrieden mit der Ausbildung. "Natürlich ist das von Station zu Station unterschiedlich, aber alles in allem ist es ein gutes Krankenhaus." Lindman hatte sich für Ebersberg entschieden, "weil mir das Ausbildungskonzept in Mühldorf nicht so zugesagt hat", sagt sie. Dort hätte es keinen Blockunterricht gegeben. Außerdem ist Mühldorf ihre Heimatstadt. Problematisch könne es werden, wenn man Patienten auch privat kennt. "Das wäre mir einfach zu unangenehm gewesen", sagt sie. Krankenpflegerin wollte sie hingegen schon lange werden. Will es auch nach wie vor. "Das ist das Einzige, das ist mir vorstellen konnte", sagt sie.

Von ihrer Mutter, die Arzthelferin ist, wusste Lindman schon, dass die Arbeit in der Klinik anstrengend, psychisch belastend, nervenaufreibend, verhältnismäßig schlecht bezahlt und gesellschaftlich kaum angesehen ist. Abgeschreckt hat sie das nicht. "Meine Mutter hat selber gesagt, dass sie glaubt, in einer Arztpraxis würde es mir auf Dauer zu langweilig werden", sagt Lindman und lächelt leicht. Sie ist eine überraschend ernste junge Frau. Ihre Worte sind so sorgfältig gewählt wie ihr Lidstrich perfekt gezogen und der Dutt ordentlich gebunden ist. Unaufgeregt berichtet sie von einem Praktikum im Betreuungszentrum in Au am Inn während der Schulzeit und wie sie danach gewusst hat, dass auch Heilerziehungspflegerin nicht das Richtige für sie war. "Das ist noch härter als im Krankenhaus", sagt sie. Körperlich wie emotional. Außerdem sei die Ausbildung mit im Schnitt sieben Jahren sehr lang.

Der Berufswunsch Krankenpflegerin steht also nach wie vor fest. Und das, obwohl sie mittlerweile weiß, dass der Körper sich niemals an Nachtschichten gewöhnt, dass die Arbeitsbelastung so immens sein kann, dass auf manchen Stationen ein Pfleger für 15 Patienten zuständig ist und Krankenhäuser überall und an allem sparen müssen. Das einzige, das Lindman tatsächlich anders machen würde, wenn sie noch einmal 16 wäre, ist, nicht gleich nach dem Schulabschluss mit der Ausbildung anzufangen. "Ich würde vielleicht noch irgendwas dazwischen machen, weil die Ausbildung schon einiges an Reife erfordert", sagt sie. Mit 16 sei man fast noch ein Kind.

Von den ungefähr 30 Mitschülern, die vor drei Jahren mit Lindman in Ebersberg angefangen haben, werden gerade mal 19 im Juli die Abschlussprüfungen antreten. "Die Leute haben aus unterschiedlichen Gründen aufgehört. Nicht allen war es unbedingt zu hart, aber manchen schon", sagt Lindman. Sie selbst habe da Glück. "Ich kann die schlimmen Fälle ganz gut wegdrücken", sagt sie. Oder darüber reden, mit ihren Freunden und ihrer Familie.

Am liebsten würde sie sogar auf der Intensivstation arbeiten, später vielleicht auch in der Psychiatrie. "Aber da ist das Wissen schon sehr speziell, sodass ich lieber erst einmal das anwenden würde, was ich in der Ausbildung gelernt habe", sagt sie. Angst vor den tragischen Schicksalen, die sie auf beiden dieser Stationen zu sehen bekommnen wird, hat sie keine. Wenn sie vor etwas Angst hat, dann davor, "abzustumpfen". So wie sie das bei älteren Kollegen durchaus schon beobachtet hat. "Es gibt manche, die machen das nach 40 Jahren immer noch mit vollem Herzblut, während andere genervt und total unfreundlich zu den Patienten sind. Ich hoffe, dass ich niemals so sein werde", sagt sie.

Besonders gefreut hat sie deshalb beispielsweise, als ein älterer Herr zu ihr gesagt hat, sie sei seine Lieblingskrankenschwester gewesen, weil sie sich mehr Zeit für ihn genommen hatte, als dies vielleicht nötig gewesen wäre. Alle fünf Jahre eine neue Station oder ein neues Krankenhaus kennenzulernen, das könnte der befürchteten Abstumpfung vielleicht vorbeugen, überlegt Lindman.

Im Sommer geht es nun erst einmal darum, sich zum ersten Mal überhaupt auf eine Stelle zu bewerben. Sorgen macht sich die 18-Jährige deswegen kaum. "Pflegenotstand", das hört sie oft in der Ausbildung. "Unsere Lehrer sagen, dass wir auf alle Fälle einen Job bekommen werden", sagt sie. Gleichzeitig ist der "Pflegenotstand" aber mitverantwortlich für die Bedingungen, unter denen Lindman und ihre Mitschüler werden arbeiten müssen. In dieser Hinsicht würde sie sich ein bisschen mehr Verständnis von Seiten der Ärzte wünschen. "Es ist schlimm, dass sich manche Chefärzte gar nicht vorstellen können, wie es ist, der Kleinste in einer Befehlskette zu sein, dessen Arbeit und Einsatz kaum gewürdigt wird", sagt sie.

Darüber hinaus wünschte sie sich so etwas wie ein "Abschiedszimmer" auf jeder Station . Sodass gerade verstorbene Patienten nicht stundenlang in einem Mehrbettzimmer liegen müssen, um dann durch das ganze Krankenhaus in den Keller und ins Kühlhaus gerollt zu werden.

© SZ vom 27.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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