SZ-Serie Kraftakt, Folge 7:Der junge Altenpfleger

Lesezeit: 4 min

Florian Zwerenz hört sich gerne die Geschichten der alten Menschen an, um die er sich kümmert. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Florian Zwerenz ist 17 und arbeitet schon seit mehr als zwei Jahren im Zornedinger Seniorendomizil. Mit seiner einfühlsamen und zurückhaltenden Art kommt er bei den Kollegen und Bewohnern gut an

Von Johanna Feckl, Zorneding

Florian Zwerenz fällt auf. Er steht neben einer Seniorin. Sie sitzt an einem Tisch und blickt zu ihm auf. Ein paar Worte gehen zwischen ihnen hin und her, Zwerenz lächelt die Frau an, greift nach dem leeren Teller vor ihr und räumt ihn ab. Es gibt noch einige weitere Personen in dem Raum, die dasselbe tun wie Zwerenz: Mit alten Menschen freundlich plaudern, während sie Geschirr abdecken, Teller, Messer und Gabel sortieren und das übrig gebliebene Essen verstauen. Sie alle tragen die gleiche Garderobe wie Zwerenz: Es ist eine weiße und unaufdringliche Einheitskleidung, wie sie für Pflegepersonal typisch ist. Florian Zwerenz tut nichts Außergewöhnliches. Er kleidet sich nicht außergewöhnlich. Aber trotzdem sticht er aus dieser Szene heraus. Denn die anderen Menschen in Weiß sind an diesem frühen Freitagmittag allesamt weiblich - Zwerenz' Kolleginnen. Und noch etwas: Sie sind älter - meistens sogar sehr deutlich. Zwerenz ist 17 Jahre alt und im ersten Ausbildungsjahr zur Altenpflegefachkraft.

Als Zwerenz das erste Mal in seinen heutigen Ausbildungsbetrieb, das Seniorendomizil Haus Bartholomäus in Zorneding, hineinspazierte, war er noch einmal zwei Jahre jünger. Nach seinem qualifizierten Mittelschulabschluss hatte er schon die Zusage für eine Ausbildungsstelle in einem anderen Bereich, "aber ich wollte das einfach nicht machen", erinnert er sich. Eine Ausbildung in einem sozialen Beruf entsprach viel mehr dem, was ihm zusagte. Dass es die Altenpflege geworden ist, passierte dann einfach so. Nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) und der erfolgreich abgeschlossenen einjährigen Ausbildung zum Altenpflegehelfer ist er nun im ersten Azubijahr zur Altenpflegefachkraft.

Eigentlich hätte er schon in das zweite Ausbildungsjahr einsteigen können; seine vorangegangene Ausbildung zum Altenpflegehelfer erlaubt das. "Aber die Berufsschule hatte keinen Platz mehr für das zweite Jahr", sagt Zwerenz. Er wiegelt ab: Wenn man sich den Altersdurchschnitt in der Altenpflege ansieht, sei er sehr jung. Schon okay also, dass er das erste Ausbildungsjahr sozusagen wiederhole.

Am Anfang sei die Skepsis ihm gegenüber groß gewesen, sagt Zwerenz. Von den Kolleginnen und Kollegen. Von den Familienangehörigen der Heimbewohner. Von seinen Freunden und Bekannten. Wegen seines jungen Alters. "Da musste ich erst einmal zeigen, dass ich das kann und dass ich mich auch nicht dafür schäme, was ich tue." Manchmal hat ihn das frustriert. Sich immer erst beweisen zu müssen. Viel mehr, als alle anderen. Weil er viel jünger ist, als alle anderen. "Aber ich kann das ja auch nachvollziehen", gesteht der junge Mann offen ein. Er selbst würde sich wahrscheinlich auch nicht anders verhalten. "Und mittlerweile habe ich, glaube ich, alle Zweifel aus dem Weg geräumt. Wenn ein demenzkranker Bewohner dich mit Namen kennt, dann zeigt das ja, dass du irgendetwas richtig machst."

Auch die Sprüche einiger seiner Freunde - "bäh, immer nur Ärsche abwischen, mach das bloß nicht!" - sind weniger geworden. Auf solche Kommentare ist er ohnehin nie eingegangen. Klar muss er in seinem Beruf tatsächlich erwachsenen Menschen Windeln wechseln, "aber das ist es ja nicht gewesen", sagt Zwerenz. Seine Stimme wirkt eindringlich und überzeugt, während er den Kopf schüttelt. "Das sind fünf Minuten. Man hat doch in jedem Beruf Dinge, die weniger schön sind, und andere Dinge, die umso schöner sind." Schön sind für Zwerenz zum Beispiel viele der Geschichten, die er von Bewohnerinnen und Bewohnern erfährt. "Ein Mann erzählte mir mal, dass er in der Kaserne in Baldham geschlafen hat, während nebenan hunderte Amerikaner den Sieg vom Zweiten Weltkrieg gefeiert haben - und er schläft da einfach gemütlich in seiner Pritsche!" Zwerenz lacht. Noch heute amüsiert ihn diese Anekdote.

Natürlich hat das Geschichtenerzählen auch eine Kehrseite: Ein anderer Bewohner vertraute ihm an, dass er seit 40 Jahren mit seinem eigenen Kind nicht mehr gesprochen hätte. "Und dann hörst du dir das an und kannst nichts machen, obwohl du gerne möchtest." Zwerenz versucht, solche Schicksale nicht in seinen Gedanken mit nach Hause zunehmen. Abstand bewahren. Das sei wichtig. Manchmal falle ihm das leichter, manchmal schwerer. So starb vor kurzem eine Bewohnerin, mit der er sich besonders gut verstanden hatte. "Diese Frau habe ich seit über zwei Jahren gepflegt. Das trifft dich dann schon. Da verdrückst du dann vielleicht auch mal eine Träne."

An den Umgang mit Sterben und Tod hat sich Zwerenz langsam herangetastet. Er erinnert sich noch genau an die erste Konfrontation mit dem Thema bei seiner Arbeit. "Das war an meinem dritten Tag." Damals wollte er die Verstorbene nicht sehen. Mittlerweile ist sein Umgang mit Todesfällen sehr differenziert. "Es gibt auch schöne Tote. Das sind die, die einfach eingeschlafen sind."

Sätze wie diese sind es, die so gar nicht passen mögen zu dem großen jungen Mann, wie er da so sitzt vor seinem Glas Wasser und von seinem Beruf erzählt. Er trägt Jeans mit modischen Löchern, Used Look nennt sich so etwas, und Kapuzenpulli, seinen Rollerhelm hat er auf dem Stuhl neben sich abgelegt. Bald muss er los - Spätschicht. Die Sätze scheinen deshalb nicht zu passen, weil Zwerenz eigentlich noch viel zu jung ist, um solche Lebensweisheiten zu sagen. Aber es ist etwas in der Art, wie Zwerenz spricht - schnell, gewählt und direkt -, die klarmacht, dass er seine Worte genau so meint, wie er sie sagt. Er sticht hervor.

"Ein alter Mensch schämt sich extrem, wenn er sich in die Hose macht. Aber wir werden alle irgendwann in einer solchen Situation sein." Und noch viel wichtiger ist für Zwerenz folgendes: "Diese Generation hat unser Land nach dem Krieg wieder aufgebaut. Da kann man ja ein bisschen etwas zurückgeben." Zu dem Idealismus kommen für den jungen Mann auch triviale Dinge hinzu, weshalb er seinen Beruf mag. "Ich glaube nicht, dass ich in einer anderen Ausbildung mehr verdienen könnte." Fast 900 Euro hat der 17-Jährige nach Abzügen von seinem Ausbildungsgehalt übrig. Von diesem Geld kann er sich mittlerweile sogar eine kleine Wohnung in der Nähe seiner Arbeitsstätte leisten. "Das ist doch alles ziemlich cool."

© SZ vom 27.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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