SZ-Serie: Im Schilde geführt, Folge 9:Es war die Gams, nicht der Steinbock

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Das Posthorn findet sich am Gasthof wieder. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Auch wenn der Name zur Gemeinde so schön gepasst hätte:Der Fehler im Steinhöringer Wappen und wie er passiert ist

Von Michaela Pelz, Steinhöring

Der Steinbock ist ein durchaus eindrucksvoller Geselle: Exemplare gibt es, die sind hundert Kilo schwer und haben Hörner von fast einem Meter Länge. Dabei beeindruckt er außerdem durch recht hohe Trittsicherheit. Auch die Gams kraxelt gern, ist aber deutlich kleiner und ihr gebogenes Horn, genannt Krucke, ist erkennbar kürzer. Zwar teilen die Tiere den selben Lebensraum, doch wirklich nahe stehen sie sich dem Vernehmen nach nicht. Und doch haben Steinbock und Gämse im Landkreis Ebersberg, genauer gesagt in Steinhöring, mehr miteinander zu tun als man denkt. Im Wappen der Gemeinde wurden die beiden Tiere nämlich verwechselt.

Wie das kam, weiß Thomas Grundmann von Holly. Seit im Jahr 1976 am Steinhöringer Sportplatz ein Reihengräberfeld aus der Zeit der Merowinger gefunden wurde, hat den damals 15-Jährigen das Interesse an Geschichte nicht mehr losgelassen. Schon Ende der 80er begann der Sparkassenbetriebswirt, in alten Aufzeichnungen und Fachliteratur, die er sich damals noch per Fernleihe beschaffte, über die ortsansässigen Familien zu forschen. 1999 verfasste er anlässlich der 1175-Jahr-Feier die 111-seitige "Gemeindechronik Steinhöring". Aus diesem Grund kennt der Initiator des Heimatvereins auch die Familie Delling ganz genau.

Eine Wandplakette in der Kirche St. Gallus. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Schon 1687 wurde dem gerade für treue und nützliche Dienste in den Adelsstand erhobenen Jeremias von Delling die Niedergerichtsbarkeit übertragen. Auf dem so genannten Schlossberg, der tatsächlich eher einem Hügel glich, erbaute er Schloss Hub. Das gibt es heute nicht mehr, wohl aber den damals dazugehörigen Hof, von dessen aktuellen Besitzern, Familie Rieger, noch zu reden sein wird.

Der bereits erwähnte Jeremias, damals noch ein schlichter "Dellinger", war eine schillernde Figur. Geboren 1623, wurde er als 30-Jähriger Beamter der Wittelsbacher. Als Organisator und Finanzmanager war er dabei nicht nur in München tätig, sondern musste seinen jeweiligen Herrn, den Kurfürsten, auch bis ins hohe Alter auf teils weite Reisen begleiten. 168 an der Zahl sollen es gewesen sein. Dennoch fand er die Zeit, sich vier Mal zu verehelichen und insgesamt 23 Kinder zu zeugen. Erasmus, der jüngste Sohn, der ihm im Alter von 75 Jahren geboren wurde, ging als späterer Bürgermeister von München in die Geschichte ein.

An die Symbole dieser für den Ort ausgesprochen bedeutsamen Familie wollte sich die Gemeinde Steinhöring nun anlehnen, als sie sich - wie so viele - in den späten Sechzigern ein Wappen zulegen sollte. Also wurde mit den Heraldikern eine Begehung auf dem Hof der Riegers durchgeführt, wo es noch Gegenstände aus dem Nachlass der von Dellings gab. Thomas Grundmann von Holly erinnert sich schmunzelnd an die Geschichte, die ihm Berta Rieger in den Neunzigern erzählt hat und die so auch heute vom Sohn der mittlerweile Verstorbenen bestätigt wird: "Die hohen Herren aus München studierten wohl den Kachelofen und waren sich schnell über das Wappentier einig: Ein Steinbock. Frau Rieger wollte noch was sagen, aber da waren sie auch schon wieder weg."

Zum Beweis des Irrtums holt Grundmann von Holly das Genealogische Handbuch des Adels. Der himmelblaue Band öffnet sich auf Seite 446/447 fast schon von selbst und da steht bei der Beschreibung des Familienwappens: ". . . eine springende nat. Gemse . . .".

Wer einen zusätzlichen Beweis braucht, findet ihn auf dem Steinhöringer Friedhof. Rechts neben dem Eingang an der Südseite der Kirche St. Gallus ist das Wappen auf einer Säule klar erkennbar, darunter die Schrift: "Hier ruhet die hochwohlgeborene Frau Anna Maria von Delling auf Hueb. . ." Nur wenige Schritte weiter befinden sich die Grabstellen einer zweiten, für den Ort ebenso wichtigen Familie. 151 Jahre lang waren die Höfters nämlich Halter der Poststation. Bis zur Eröffnung der Bahnlinie Wasserburg im Jahr 1905 war Steinhöring auf Grund dessen von zentraler Bedeutung für alle, die von München über Wasserburg nach Salzburg wollten. Daher auch das Posthorn als zweites Wappenbestandteil.

Anfang des 16. Jahrhunderts wird die "Taferne" in Steinhöring erstmals erwähnt. Später werden die damit verbundenen Verpflichtungen präzisiert: Laut Vertrag vom 23.03.1582 soll der damaligen Halter Hans Koch für "je zwei Pferde und nüchterne Knechte (Postillione)" sorgen.

Ein Votivbild in der Kirche. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Übrigens, sogar Wolfgang Amadeus Mozart muss dort einmal vorbeigekommen sein, zumindest schreibt er in seinem Brief vom 8. November 1780: "Und die Sitze! hart wie Stein! Von Wasserburg aus glaubte ich in der Tat meinen Hintern nicht ganz nach München bringen zu können: er war ganz schwielig und vermutlich feuerrot. Zwei ganze Posten fuhr ich die Hände auf den Polster gestützt und den Hintern in Lüften haltend."

Spätere Postkutschen- und andere Reisende müssen den schmerzenden Extremitäten wohl in Steinhöring Ruhe gegönnt haben und das offenbar recht zahlreich. Denn nur so erklärt sich die Größe des Besitzes, der am Ende der Ära Höfter komplett verkauft wird, nachdem der Erbe 1916 bei Verdun gefallen ist. Brauerei, Brennerei und Stallungen der stolzen Poststation, die einst das Ortsbild prägten, werden heute anderweitig genutzt. Allein das Wirtshaus gibt es noch, den "Gasthof zur Post". An seine einstige Bestimmung erinnert aber nur noch ein einsamer Briefkasten auf der gegenüberliegenden Straßenseite vor einem Schreibwarenladen mit Postschalter.

Schloss Hub wiederum lebt weiter auf einer Votivtafel in der Kirche St. Gallus. Gestiftet wurde sie, nachdem kurz vor der Schlacht von Hohenlinden am 3.12.1800 mit Hilfe von tausenden französischen Soldaten das komplette Abbrennen des Ortes in letzter Minute verhindert werden konnte.

Und der Steinbock? Ihm wird ja eine gewisse Sturheit nachgesagt - oder vielleicht besser "Beharrlichkeit", wenn es um etwas geht, das ihm wichtig ist. Diese Eigenschaft zeichnet offenbar glücklicherweise auch die Steinhöringer aus - historisch korrektes Wappentier hin oder her. Für diesen Beweis muss man nicht bis ins Mittelalter zurückgehen, da reicht ein Blick auf die jüngsten Ereignisse rund um den Einrichtungsverbund Steinhöring.

© SZ vom 12.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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