SZ-Serie: Das erste Jahr:Viel Neues, viel Vertrautes

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Der neue Bürgermeister Uli Proske - hier bei einem Termin im Hallenbad - sieht sich als Teamplayer und ist zufrieden mit seinem ersten Jahr. (Foto: Christian Endt)

Die Wahl vor einem Jahr brachte Ebersberg eine politische Zäsur: Ein Drittel des Stadtrates neu besetzt, ein Bürgermeister, der nach 49 Jahren erstmals nicht der CSU angehört - dennoch bleibt eine Sache wie immer

Von Wieland Bögel, Ebersberg

"Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, muss alles sich ändern." Das bekannte Zitat aus dem Roman "Il Gattopardo - der Leopard" von Giuseppe Tomasi di Lampedusa passt auf vieles - unter anderem auch auf das vergangene Jahr der Ebersberger Stadtpolitik. Denn das ist zwar von so viel Veränderung geprägt gewesen wie selten zuvor - in vielen wichtigen Dingen hat sich aber kaum etwas verändert.

Zunächst zu den Veränderungen. In Ebersberg gibt es eine Zäsur in der Stadtpolitik: Nach beinahe einem halben Jahrhundert verliert die CSU das Bürgermeisteramt und mit nurmehr acht von 24 Sitzen gleich noch endgültig ihre Dominanz im Stadtrat. Zwar hatten die Christsozialen bereits seit 2008 keine eigene Mehrheit mehr, konnten aber ein Bündnis mit den Freien Wählern schließen, die seitdem den Zweiten Bürgermeister stellen durften. Auch das hat sich geändert, 2020 wurden nach langer Zeit die Stellvertreter des Bürgermeisters wieder entsprechend der Fraktionsgrößen vergeben.

Nicht zuletzt haben sich diese auch deutlich verschoben, die SPD mit vier Sitzen tauscht mit den Grünen, die auf fünf Mandate kommen, den Platz der zweitgrößten Fraktion. Die Freien Wähler verlieren ebenfalls einen Sitz und kommen damit auf drei, genau wie die neu ins Stadtparlament eingezogene Gruppierung "Pro Ebersberg", nur bei der FDP ändert sich zunächst nichts, sie bleibt bei einem Sitz, der aber bald in einer gemeinsamen Fraktion mit der CSU aufgeht. Neu ist auch ein großer Teil der Stadtratsmitglieder: Sieben - also nahezu ein Drittel - waren zuvor nicht im Gremium vertreten, davon nahezu die gesamte Fraktion der Grünen und zwei der drei "Pro Ebersberger". Zwei weitere Stadträte sind zwar nicht neu, haben bei der Wahl aber die Fraktionen gewechselt.

Wie es sich unter diesen neuen Bedingungen arbeiten lässt, beschreibt derjenige, für den die Wahl im März 2020 wohl sowohl das Arbeitspensum als auch den Neuigkeitswert am meisten erhöht hat, erstaunlich gelassen: "Die Erfahrung ist äußerst positiv", sagt Ulrich Proske, seit Mai vorigen Jahres Bürgermeister der Kreisstadt. In der Stichwahl hatte er sich gegen Alexander Gressierer von der CSU durchgesetzt, einer Partei gehört Proske nicht an, er wurde aber von der SPD nominiert.

Die nun aber - auch zusammen mit den Grünen - keine eigene Mehrheit im Stadtrat zusammenbringt, was Proske von seinen beiden Amtsvorgängern Walter Brilmayer und Hans Vollhardt unterscheidet. "Es ist nicht mehr so fix wie früher", sagt auch Proske - der zuvor dem Stadtrat nicht angehört hat - selbst, "da hatte die CSU mit den Freien Wählern die Mehrheit, und der Kas war 'bissen." Trotzdem habe sich das Gremium nicht blockiert, trotzdem sind viele Dinge auf den Weg gebracht worden, meist mit großer Mehrheit, oft auch einstimmig.

Etwa die Sanierung des Hallenbades und des Waldsportparks. Die zwei Projekte sind im Stadtrat ohnehin unstrittig, doch bei Themen wie Mehrkosten oder Umplanungen hätte es durchaus Konfliktpotenzial gegeben, wenn man es darauf angelegt hätte. Ebenso beim Haushalt, hier ließ die CSU zwar kurz die Muskeln spielen und die Entscheidung um zwei Wochen vertagen, stimmte dann aber geschlossen und ohne Änderungsanträge dafür. Neu ist allerdings, dass die Mehrheiten deutlich mehr von Sachfragen abhängen als früher: Bei der Frage, wie viele Parkplätze man beim neuen Hölzerbräu-Wohngebiet braucht, konnten die Christsozialen eine Mehrheit für mehr Stellplätze zustande bringen mit Freien Wählern und Pro Ebersberg - bei der Auflockerung des Wohngebietes Friedenseiche VIII stimmten letztere indes mit Rot und Grün. Beide Male lief die Sache ohne größere Gefühlsausbrüche ab.

Die gab es in öffentlicher Sitzung genau ein Mal, seit der neue Stadtrat und der neue Bürgermeister im Amt sind: Beim Thema Seebrücke - Sicherer Hafen. Die CSU erklärte die Kommune für die Flüchtlingsaufnahme für unzuständig, Unterstützung kam von den Freien Wählern. Und obwohl die anderen drei Fraktionen den Antrag unterstützten, fiel er in der entscheidenden Abstimmung durch - weil ein Stadtratsmitglied erkrankt war, was zeigt, wie knapp die Mehrheiten in diesem Gremium seit einem Jahr sind.

Dass es bei einer Eklat-artigen Sitzung blieb, zeigt aber auch, dass eine Sache so geblieben ist, wie es war: Die Ebersberger Stadtpolitik schätzt letztlich den Konsens, auch wenn etwas mehr diskutiert und sogar gelegentlich etwas gestritten wird. Oder, wie es Elisabeth Platzer, mit 25 Jahren im Gremium das dienstälteste Mitglied der SPD-Fraktion, formuliert: "Es ist lebhafter geworden, aber die Arbeit ist sehr sachlich und sachorientiert geblieben." Ganz ähnlich klingt das bei Florian Brilmayer, stellvertretender Ortsvorsitzender der CSU und seit 2002 im Stadtrat: "Ich glaube, ich spreche für alle, wenn ich sage: Man ist im Stadtrat, um konstruktive Sacharbeit zu machen und nicht, um zu streiten."

Wobei das eine das andere nicht immer ausschließt, wie Susanne Schmidberger sagt, die mit 13 Jahren Amtszeit die längste Stadtratserfahrung der Grünen-Fraktion mitbringt. Der Ton sei manchmal schon etwas rauer als in den früheren Wahlperioden - aber dass nun mehr diskutiert werde, sei eine Verbesserung. Schließlich, so betont Schmidberger, sei die "Stimmung nach wie vor konstruktiv". Und noch etwas habe sich aus ihrer Sicht zum Positiven verändert: "Es war früher schwieriger, mit Anträgen Erfolg zu haben." Mit den Mehrheiten hat sich auch dies geändert, bestätigt Gerd Otter, bis 2020 bei den Freien Wählern und nun für Pro Ebersberg im Gremium: "Es werden deutlich mehr Anträge gestellt, von allen Fraktionen."

Was aber, genau wie die ausgiebigeren Diskussionen, der Arbeit im Stadtrat gut getan haben. Und auch nicht zu einer destruktiven Stimmung geführt hätten, wie Otter sagt. Man sei in Ebersberg in einem einig: "Dass es um die Sache geht und um ordentliche Umgangsformen - wenn es anders wäre, würde ich mich zurückziehen." Auch Platzer sieht die neue Diskussionsfreudigkeit und Zusammensetzung im Stadtrat positiv: "Schön, dass es etwas bunter geworden ist."

Toni Ried, langjähriger Stellvertreter des früheren Bürgermeisters Walter Brilmayer und seit 37 Jahren für die Freien Wähler im Gremium kann der neuen Situation ebenfalls etwas abgewinnen: "Zerstrittenheit nutzt keinem - aber eine lebhafte Diskussion ist gut." Dazu wolle er auf jeden Fall beitragen, sagt Ried: "Wenn mir etwas nicht passt, sage ich es auch, ich halte nichts vom Jasagertum." Aber eben ohne zu streiten, "das dient niemandem". Was aber auch niemand im Gremium anders sehe, dass man bisher gut zurecht gekommen sei, "das liegt an allen."

Wozu vielleicht auch beigetragen habe, dass die Veränderung unterm Strich nicht allzu groß gewesen sei, vermutet Brilmayer. Natürlich sei der Verlust des Bürgermeisteramtes nach 48 Jahren für die CSU "eine Zäsur" gewesen - "aber eigentlich hat sich gar nicht so viel verändert." Manchmal wünsche er sich vom Bürgermeister zwar eine etwas straffere Sitzungsleitung, aber inhaltlich sei der neue Stadtrat dem alten sehr ähnlich: "Eine Kehrtwende in allen Themen gab es nicht."

© SZ vom 23.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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