SZ-Serie "A Ruah is", Folge 10 und Schluss:Aus Zweckgemeinschaft wird Liebe

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Im eisigen Nebel stehen jetzt die Zwillingsbäume, von Fernsicht kann keine Rede sein. Und doch vermittelt der Platz Frieden und Geborgenheit. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Vom Wegkreuz auf der Endmoräne zwischen Gelting und Unterspann kann man weit in die Ferne schauen. Zwei Bäume streben hier in inniger Verbundenheit in die Höhe und bilden ein gemeinsames Laubdach

Von Alexandra Leuthner, Pliening

Angeblich sieht man von hier oben aus sogar die Frauentürme - wenn die Sonne warm, die Luft klar ist und der Föhn von Süden ins Voralpenland herunter weht. Nachprüfen lässt sich das freilich nicht an einem winterlichen Nebeltag wie diesem. Und vielleicht müsste man dafür ja auch hinaufklettern in die Wipfel der beiden Bäume, deren Stämme in harmonischen Windungen miteinander in die Höhe wachsen.

Doch ist da noch der Christus davor, der seit einer gefühlten Unendlichkeit hier seinem einsamen Job nachgeht. Vermutlich hat er den einen oder anderen Annäherungsversuch schon abwehren müssen in der Vergangenheit. Irgendetwas, vielleicht war es auch nur der nagende Zahn der Zeit, hat ihn eine Hand gekostet, so dass jetzt nur durchs hölzerne Fleisch der linken Hand ein Nagel getrieben ist. Die aber ist mit Sicherheit schon einmal ersetzt worden, zumindest fehlt ihr die feine Schnitzart und auch das rechte Größenverhältnis zum Rest des geschundenen Körpers.

Seit 1944 steht das Wegkreuz auf der Höhe der Endmoräne zwischen Gelting und Unterspann, einer der wenigen Stellen im nördlichen Landkreis, die sich über das flache Land erheben - könnte also schon sein, dass das mit den Frauentürmen stimmt, wer weiß. Zumindest ist aber gewiss, dass die Liebespaare, die sich an lauen Sommerabenden auf der Bank an der Westseite des rund um Kreuz und Bäume verlaufenden Zauns treffen, von hier aus die ersten Hochhäuser der Landeshauptstadt sehen können. Wenn sie dafür denn Augen haben.

Ob es der schöne Blick in die Ferne war, der die Familie Huber veranlasst hat, das Wegkreuz hier aufzustellen, ist nicht überliefert. Sagt zumindest Richard Kneißl, ehemaliger Schulrektor der Plieninger Grundschule. Seine Schüler haben vor mehr als 20 Jahren eine Dokumentation der Plieninger Wegkreuze angelegt und haben im Zuge der Recherchen vergeblich beim Hof der Familie Huber in Unterspann nachgefragt. "Wegkreuze sind aber oft in Erinnerung an einen Verstorbenen oder aus Familientradition aufgestellt worden", erzählt Kneißl, "es gibt in Pliening Kreuze, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen." So habe an der Stelle des heutigen Prostkreuzes - abgeleitet vom Namen des Huberhofs - schon um 1900 ein Kreuz gestanden, an dessen Stelle das jetzige Kreuz errichtet wurde. Das auf der Rückseite des Holzes eingeritzte Datum 1944 lässt den Schluss zu, dass an einen im Weltkrieg Gefallenen erinnert werden sollte.

Die beiden Bäume, die über Kreuz, Zaun und Bank in die Höhe wachsen, seien mit Sicherheit nachträglich gepflanzt worden, erklärt Kneißl weiter. "Auch das war gute Tradition, dass man zwei Bäume über einem Feldkreuz pflanzt." Warum es zwei verschiedene Bäume sind, eine Kastanie und eine Hainbuche, könnte auf eine Laune der Natur zurückzuführen sein. Die Buche wurzelt gerne von selbst da, wo ihre Samen hinfliegen. Möglicherweise habe sie eine zweite Kastanie verdrängt, weil sie die stärkere war, mutmaßt der Bund Naturschutzvorsitzende in Pliening, Franz Höcherl.

Wie auch immer, die Jahre haben aus der Zweckgemeinschaft eine Liebesbeziehung gemacht. Die Stämme der zwei Bäume streben in scheinbar inniger Verbundenheit nebeneinander in die Höhe und bilden in der warmen Jahreszeit ein dichtes Dach aus zwei unterschiedlichen Grüntönen über der Stelle. In diesen Wintertagen überzieht oft dichter Raureif die knorrigen Äste der Kastanie, verzaubert die hängen gebliebenen Winterknospen der Buche in die filigranen Luftschiffe von Elfen, die scheinbar nur darauf warten, sich aus ihrer Erstarrung zu lösen, sobald die Sonne wieder wärmt.

Jetzt wärmt hier gar nichts. Die eingefrorenen Blättchen zittern ebenso im kalten Wind wie die reifüberzogenen Spinnweben, die am Gewand des Christus hängen, sogar an seiner Nase. Die Figur der Maria, die ihm zur Gesellschaft gegeben wurde, hat die Arme vor dem Körper zusammen geschlagen. Bei all der Unwirtlichkeit aber ist der Ort besonders in diesen Tagen des Wahnsinns in der Welt doch wunderschön. Wenn die Traktoren der rundum liegenden Höfe Winterpause haben, dann ist um ihn vollendete Stille.

© SZ vom 28.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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