SPD-Vaterstetten:Durchwachsene Bilanz

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Franz Maget und Mareike Transfeld beleuchteten die Entwicklungen in den verschiedenen Ländern. (Foto: Christian Endt)

Beim 30. Friedensgespräch geht es um den Arabischen Frühling

Von Stella Vogl, Vaterstetten

Anfangs wurden die Themen noch philosophischer formuliert, inzwischen sollen globale Probleme konkret benannt und diskutiert werden: Die Rede ist von den Vaterstettener Friedensgesprächen. Der damalige SPD-Bürgermeister Peter Dingler hatte sie vor 30 Jahren ins Leben gerufen, um vor dem Hintergrund von Kaltem Krieg und Aufrüstung auch mal "über den kommunalen Tellerrand hinauszublicken", wie er selbst es formulierte. Dass es die Veranstaltungsreihe mittlerweile so lange gibt, "da sind wir auch wirklich bisschen stolz darauf", sagte Dritter Bürgermeister Günter Lenz (SPD) bei der diesjährigen Veranstaltung im Vaterstettener Carecon-Seniorenwohnheim.

Der Fokus lag diesmal auf einem Thema, das vor zehn Jahren viele aufrüttelte und bis heute auf ganz unterschiedliche Weise Spuren hinterlassen hat: dem arabischen Frühling. Authentische Einblicke und Hintergründe dazu lieferten auf dem Podium Franz Maget und Mareike Transfeld. Der frühere SPD-Politiker und Oppositionschef im Landtag ist heute als Sozialreferent für die deutsche Botschaft in Tunis tätig; Transfeld ist Forschungsleiterin am Yemen Polling Center. Beide zeichneten ein eindrückliches Bild von den Ereignissen, mit denen der arabische Frühling begann, und den Entwicklungen seit 2010.

"Der Diktator muss weg": Rufe wie dieser schallten durch Tunesien, nachdem ein junger Mann dort auf dramatische Weise Suizid begangen hatte, weil er für sich keine Perspektiven in seinem Heimatland sah. Der Zorn richtete sich gegen den tunesischen Herrscher Ben Ali und dessen Regime, das Maget als "ein bisserl DDR light" beschrieb und in dem Korruption und Vetternwirtschaft dominierten. Anders als in anderen arabischen Ländern war der Aufstand erfolgreich: Ben Ali trat schließlich zurück und ergriff die Flucht. "Tunesien ist heute, so glaube ich sagen zu dürfen, die einzige Demokratie in der arabischen Welt", sagte Maget und fügte hinzu: "Die gesellschaftlichen Verhältnisse in Tunesien sind heute freier."

Im Vergleich dazu fiel die Bilanz für Ägypten deutlich pessimistischer aus. "Das ist keine Demokratie, sondern das pure Gegenteil", sagte Maget. Zur repressiven Militärregierung komme hinzu, dass das Land am Nil "einen Sack voller Probleme" habe, die nicht nur politischen Ursprungs seien. Auch die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wasser sowie die Versteppung des Landes mache Ägypten zu schaffen. Präsident Abdelfattah al-Sisi regiere, so Maget, das Land "mit eiserner Faust". Das werde zu Gegenreaktionen führen, so seine Prognose.

Transfeld kommentierte die Unterschiede zwischen den arabischen Ländern: "Es gab unterschiedliche Quellen der Proteste. Und die führen zu unterschiedlichen Verläufen." Denn während in Ägypten anfangs insbesondere gegen die Polizeigewalt protestiert worden sei, sei es im Jemen ursprünglich um eine Verfassungsänderung gegangen. Heute sei der Staat am unteren Zipfel der arabischen Halbinsel von Huthi-Rebellen, Exilregierung und kleineren Splittergruppen umkämpft.

Es erscheine heute beinahe unvorstellbar, dass vor sieben Jahre die ersten Proteste von einer Frau und späteren Friedensnobelpreisträgerin, Tawakkol Karman angeführt wurden, sagte Transfeld. Denn inzwischen entwickelten sich die Dinge wieder in eine ganz andere Richtung. So würden Frauen an Universitäten inzwischen von Milizen nach Hause geschickt und auch ansonsten sei eine "Rückkehr zu der Restriktion" bemerkbar. Immer wieder kamen Transfeld und Maget auch auf Saudi-Arabien zu sprechen. Der Geldhahn werde strategisch aufgedreht, um die Vormachtstellung und die eigenen Interessen zu festigen.

Altbürgermeister Dingler, der als dritter Gast an der Diskussion teilnahm, sprach die Rolle der USA und Europas an - beispielsweise in Bezug auf Waffenlieferungen. "Was kann Europa da tun?", fragte er. Dass es hier keine einfachen Antworten gibt, machten beide Referenten deutlich. Maget sagte, er wünsche sich eine verstärkte "wirtschaftliche Kooperation mit den Ländern und Kräften, mit denen man etwas Positives bewirken kann" und appelliert dafür, lieber Bildung zu fördern, statt Waffen zu liefern.

Das Publikum verfolgte nicht nur mit höchster Aufmerksamkeit das Gespräch, sondern diskutierte am Ende der gut besuchten Veranstaltung leidenschaftlich mit, so leidenschaftlich, dass der von Lenz festgesetzte Zeitrahmen von drei Minuten pro Wortmeldung hin und wieder in Vergessenheit geriet. Das Interesse an politischen Weltgeschehen ist nach wie vor präsent in der Gemeinde - daher erschien es auch kaum voreilig, als Lenz die Diskussion mit einem "Auf Wiedersehen zum 31. Friedensgespräch im nächsten Jahr" beendete.

© SZ vom 14.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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