Späte Berufung:Feine britische Unterhaltung

Lesezeit: 3 min

Hat auf und hinter der Bühne viel erlebt: Autorin Agnes Sauermann bei ihrer Lesung in der Stadtbücherei Grafing. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Agnes Sauermann liest in Grafing aus ihrem Krimi "Theatersterben", erschienen im Kirchseeoner Dinter Verlag. Das Buch beruht auf den Erfahrungen der Autorin, die auf eine jahrzehntelange Bühnenkarriere zurückblickt

Von Michaela Pelz, Grafing

Eine schmale Frau von schwer zu schätzendem Alter raucht vor dem Seiteneingang der Stadtbücherei Grafing hastig noch eine Zigarette. Ein Hauch von Lampenfieber liegt in der Luft. Als Agnes Sauermann sich dann auf die leicht erhöhte Bühne begibt, ist davon allerdings nichts mehr zu spüren. Weder lässt sie sich von der Dame aus der Ruhe bringen, die bedauernd ein Buch ins Regal zurückstellt, nachdem ihr bedeutet wurde, dass man heute nichts ausleihen kann, noch von der ob des Biergartenwetters eher überschaubaren Anzahl von Besuchern. Die allerdings lauschen mit großem Interesse, wie die Münchner Autorin mit kraftvoller Stimme den Figurenkosmos ihres Erstlings zum Leben erweckt, in dem es um die Aufklärung mehrerer Verbrechen im Theatermilieu geht.

Da ist zunächst Maud, die Besitzerin eines Theaters im Londoner Westend, früher selbst Schauspielerin, die nun in ihrem kleinen, ein wenig altmodischen Haus dem Nachwuchs ein Sprungbrett bieten will. Wer ihr erst Avancen und dann ein Angebot der ganz besonderen Art macht, ist ein etwas zwielichtiger Geschäftsmann, der nicht nur Maud, sondern vor allem ihr Theater höchst attraktiv findet. Für viel Geld will er sich einkaufen, fordert dafür aber einen radikalen Programmwechsel, hin zu gehobener, "spritziger" Unterhaltung. Das weist Maud so empört wie entschieden zurück - und spätestens als Agnes Sauermann diese Passage mit großer Leidenschaftlichkeit vorträgt, wird deutlich, dass sie sich für ihren Krimi keine Informationen angelesen hat, sondern sehr gut weiß, wovon hier die Rede ist. Denn die gebürtige Berlinerin ist gelernte Schauspielerin, kennt gerade diese kleinen, mit Herzblut betriebenen Spielstätten nur zu gut, denen es immer schwerer gemacht wird, sich finanziell über Wasser zu halten.

Im anschließenden Gespräch enthüllt Sauermann, dass eines davon - "ein Schwabinger Studiotheater, das es heute nicht mehr gibt" - Pate stand für das "Theater im Westend" des Buches: "Es war November in München, Mitte der 90er Jahre, und ich war arbeitslos, wie das in diesem Beruf immer wieder der Fall ist ..." Motiviert und inspiriert schrieb die Schauspielerin damals also etwa 35 Seiten - und ließ das Ganze dann liegen. Sehr lange liegen. Erst vor etwa zweieinhalb Jahren schaute sie sich ihre Notizen noch einmal genauer an und beschloss, dass diese Geschichte vor ihrem Tod zu Ende gebracht werden müsse.

Intensive Schreibphasen, bei denen alles erst mit Bleistift geschrieben, dann sorgfältig korrigiert und schließlich in eine mechanische Schreibmaschine getippt wurde, wechselten sich ab mit zahlreichen Pausen, und das Manuskript wuchs und wuchs - auch dank der kontinuierlichen Rückmeldung der zur Erstleserin erkorenen Nachbarin im Parterre.

Über eine Lektorin wurde schließlich der Kirchseeoner Dinter Verlag gefunden, der das Buch unbedingt veröffentlichen wollte. Verleger Konrad Nagl war dabei vor allem fasziniert von der Lebensgeschichte seiner zukünftigen Autorin, die in der Nachkriegszeit mit Eltern und Großeltern in einer winzigen Anderthalb-Zimmer-Wohnung im Berliner Wedding aufwuchs und gegen alle Widerstände ihren Berufswunsch durchzusetzen vermochte. So machte Agnes Sauermann tagsüber eine kaufmännische Lehre in einem Scherzartikelgeschäft, besuchte abends die Schauspielschule und erkellnerte sich nachts das benötigte Schulgeld in einer Lesben-Bar. Nach Jahrzehnten einer wechselvollen Karriere vor und hinter den Kulissen - unter anderem als Souffleuse, Regisseurin und Schauspiellehrerin - ist die Film- und Fernseh-Actrice nun also auch noch zur Autorin geworden.

Auf die Frage, ob es Pläne gibt, das Ganze zu dramatisieren, gibt Sauermann lachend zur Antwort: "Der Traum ist natürlich, dass man den Krimi verfilmt und damit sehr viel Geld verdient." Das Drehbuch allerdings solle lieber ein anderer schreiben. Genügend Dialoge gäbe es, wie auch ein mit viel Humor beschriebenes Ermittlerduo, dem man anmerkt, dass Sauermann "Inspector Barnaby"-Fan ist. Die Tatsache, dass in "Theatersterben" zwar gemordet wird, die Darstellung aber nicht "zu grausam" ist, schätzen sowohl das anwesende Publikum wie auch die Leiterin der Grafinger Bücherei, Ursula Schneider, die "sonst eigentlich keine Krimis liest".

Als man am Ende fragt, ob die Autorin ihr Geburtsjahr verrät, entgegnet sie stolz: "1946. Ich bin 73 Jahre alt. Sie dürfen also gern schreiben, dass ich mit 70 Jahren Autorin wurde!"

© SZ vom 06.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: