Sonderkonzert in Zorneding:Einzigartiger Tanz

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Sonderkonzert mit dem "Vision String Quartet": Die Optik einer Turnhalle ist für Klassik sehr gewöhnungsbedürftig, ein über den Musikern schwebende Basketballkorb wirkt wie ein Ufo. Andererseits ist die Akustik in der Sportstätte außergewöhnlich gut. (Foto: Christian Endt)

Das "Vision String Quartet" erregt mit seiner inspirierten Interpretation von Schumann und Ravel beim Kulturverein Zorneding-Baldham alle Sinne

Von Ulrich Pfaffenberger, Zorneding

Der leidenschaftliche, ja, stellenweise, lautstarke Applaus, der den Boden in der Turnhalle der Grundschule Zorneding am Samstag erzittern ließ, galt keiner sportlichen Höchstleistung. Vielmehr richtete er sich an vier junge Männer in schwarzen Anzügen, die als Vision String Quartet gerade eine gute Stunde lang eine Vorstellung aufs Parkett gelegt hatten, wie sie vorher wohl kaum jemand im Publikum schon erlebt hatte. Eine Vorstellung mit so hohem Suchtfaktor, dass sich Streichquartette, die künftig in diesem Zyklus auftreten, richtig etwas einfallen lassen müssen, um sich dauerhaft ins Gedächtnis zu spielen.

Den Beifall haben sich aber auch ein musikalisches Bildungssystem und die darin mit Leidenschaft Lehrenden verdient, die diesen Musikern den Weg zu solchen Auftritten gewiesen haben. Drei der vier Streicher verbindet die Ausbildung an der Hochschule für Musik Theater und Medien in Hannover. Als Alumni sind sie des Lobes voll für das, was ihnen dort eröffnet und vermittelt wurde, und wenn es ein umgekehrtes Zeugnis von Schülern für ihre Schule gibt, dann hat der Auftritt in Zorneding eine Eins mit Stern vergeben.

Der Blick auf den Programmzettel für dieses Sonderkonzert, vom Kulturverein Zorneding-Baldham als Dankeschön für die Treue und Großzügigkeit der Stammgäste veranstaltet, verriet Anregendes aus dem Kanon der Stücke, "die man gehört haben muss": Robert Schumanns Streichquartett A-Dur op 41,3 und Maurice Ravels Streichquartett F-Dur op. 35. Zwei Werke, die es nicht zulassen, dass man die Noten auf dem Papier nachexerziert. Vielleicht mag man sie als musikalische Poesie unter Sturm und Drang einordnen, vielleicht als Spiel mit und Verstoß gegen die Normen des bürgerlichen Musiksalons, vielleicht als romantischen Expressionismus mit stark individueller Note. Doch wofür auch immer man sich entscheidet: Man wird den Zweifel nicht los, ob eine solche Katalogisierung nicht doch nur eine Annäherung bietet, aber keine Orientierung. Den Musikern, die sich beider Werke annehmen, bietet sich reichlich Gelegenheit, die Bandbreite ihrer Spielkunst und ihrer Deutungsfähigkeit zu zeigen, bis hin zu den Passagen, in denen sie die Trennung zwischen Variation und Improvisation scheinbar auflösen.

Das Ensemble wird angesichts dessen beim Auftritt in Zorneding seinem Namen "Vision String" in mehrfacher Hinsicht gerecht. Vor allem, weil es sich für eine so eigene Sicht der Dinge entscheidet, dass sich alle vorgenannten Kategorien in Luft auflösen. Es ist eine ganz eigene, vorbildfreie und von Überzeugung getragene Interpretation beider Werke, nach der sich im Zuhörer die Erkenntnis verfestigt: Es gibt den Schumann und den Ravel in der Interpretation von Vision String nur einmal im Leben. Diese Erkenntnis verfestigt sich aus dem Hörbaren, aber viel mehr noch aus dem Sichtbaren, aus der Vision: Wie sich Jakob Encke und Daniel Stoll (Violine), Leonard Disselhorst (Cello) und Sander Stuart (Viola) mit der Musik, mit den Ideen der Musik und im Spiel ihrer Instrumente bewegen, ist von so tiefer, bezwingender Verbundenheit, dass manche Passage einen energiereichen Bogen zwischen Seh- und Hörnerv entfacht, der nur noch mit Emotion wahrnehmbar ist, nicht mehr mit dem Verstand. Wäre dieses Quartett ein Ballett, es tanzte in einem Zustand von schierer Schwerelosigkeit. Es tanzt ihn übrigens im Stehen - beim Blick ins Archiv eine Standardhaltung, keine Corona-Folge - und es tanzt ihn blind, frei vom Notenpapier, getragen vom Vertrauen und Verstehen der jeweiligen Mitspieler. Es ist für alle in der Turnhalle der reine Genuss.

Wie das Quartett den zweiten Satz bei Schumann aus abgründiger Tiefe ins Licht holt, wie Cello und Viola im dritten Satz die Blütenblätter der tiefgründigen Melodie zu sanfter Entfaltung bringen und wie der vierte Satz in einen kristallklaren, funkelnden Jubelschrei mündet: Das hat ganz, ganz große Klasse; da sind die vier Streicher ihren gezählten Lebensjahren um Dekaden an innerer Ausdrucksstärke voraus. Ähnliches gilt für die Art und Weise, wie sie sich der meditativen, besinnenden Passagen in Ravels zweitem Satz annehmen, innerlich brennend, äußerlich farbenfroh in vielstimmigem Einklang. Das gelingt so gut, dass sich Konzertmeister Encke am Ende ein fröhliches Grinsen nicht verkneifen kann, voller Freude über das gelungene Spiel. Einen Satz später können nicht einmal die von draußen hereintönenden Klänge der Alarmsirene und der ausrückenden Feuerwehr das Quartett irritieren. Im Gegenteil scheint man zu spüren, dass es aufgelegt wäre, darüber eine kurze Improvisation einzuflechten.

Mit einer kurzen Zugabe, der Eigenkomposition "Samba", ausschließlich im Pizzicato gespielt, geben die Vision Strings ihrem Zornedinger Publikum die innere Sicherheit mit auf den Heimweg, dass in diesem Ensemble noch viel, viel mehr steckt, das anhörenswert ist. Gut, dass dieses Ensemble nun schon einmal beim Kammermusikzyklus in Zorneding war. Hoffentlich kommt es wieder.

© SZ vom 10.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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