Sommerkonzerte in Pliening:Hippie macht happy

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"Das Hippie Kammerorchester" fügt sich nahtlos in die familiäre Atmosphäre des Ottersberger Kulturstadls ein. (Foto: Christian Endt)

Beim "Come together" im Ottersberger Kulturstadl bekommen Liebe und Frieden dank eines Münchner "Kammerorchesters" musikalische Flügel

Von Ulrich Pfaffenberger, Ottersberg

"Allons enfants de la Patrie..." Wie viel tausend Mal ist diese Melodie wohl am Sonntag erklungen? Auch zum Auftakt der Vorstellung im Ottersberger Kulturstadl ertönten die forschen Akkorde der "Marseillaise", allerdings nicht aus Anlass des französischen Nationalfeiertags. Sondern als Beginn einer anderen, weltbewegenden Hymne, geschrieben und vertont von vier Briten: Mit "All you need is love" eröffnete das Hippie Kammerorchester aus München sein Konzert bei Rudi Zapfs sommerlichen Stadlkulturtagen - stilgerecht in bunte Klamotten gewandet und programmatisch von der ersten Minute an: Wo "Come together" drübersteht, muss Liebe drinstecken.

Der eine oder andere im gut gefüllten Stadl mag sich angesichts (und ange-ohrs) der beiden kraft- und kunstvoll klampfenden Männer im Hippie-Quartett an die gute, alte Lagerfeuer- und Strandpartyzeit erinnert haben, in denen jenen die Herzen zuflogen, die den Soundtrack zum entspannten Genießen des Miteinanders lieferten. Lange bevor man derlei "Chillen" nannte, die eigentliche Bedeutung "sich abregen" aber noch fürs Gemeinschaftsgefühl galt, weniger für die individuelle Befindlichkeit. Zusammen singen - die Mitglieder der diversen Chöre, die diese Form des sozialen Miteinanders regelmäßig pflegen, kennen die überwiegend friedlich-beglückenden Konsequenzen dieser Form von "social media". Auch am Sonntagabend ließen es sich die Zuhörer, mehrheitlich in einer leicht angegrauten Lebensphase angekommen, nicht nehmen, in die Melodien ihrer Jugend einzustimmen, einer Epoche, in der "die Technik noch Knöpfe hatte und die Menschen Haare, lange Haare am ganzen Körper", wie es Sängerin Ruth von Chelius auf den Punkt brachte.

Sie und Julia von Miller, beide bekannt aus dem Ensemble String of Pearls, waren die prägenden Stimmen des Konzerts, ein musikalisches Ergebnis der vor 50 Jahren aufblühenden Emanzipation: Wie selbstverständlich einerseits ein männlicher Gesangspart von Frauen übernommen werden kann, ließen ihre Interpretation eines weiteren Beatles-Songs, "Ticket to ride", ebenso mitreißend spüren wie Michael Jacksons "Black or White" oder Simon and Garfunkels "Mrs. Robinson". Umgekehrt nahm sich Hans von Chelius die Freiheit, hingebungsvoll Louise Hoffstens "Padded Bra" zu intonieren und gemeinsam mit dem zweiten Gitarristen und Sänger Calle Dürr auch bei Balladen von Joni Mitchell und Tina Turner Stimme zu zeigen. Die Vier sind hervorragend aufeinander eingespielt, ihre Arrangements gut ausbalanciert zwischen Cover-Version und eigenem Ausdruck. Gelegentliche Bühnenroutine im Ablauf überspielen sie locker mit ihrer Ausstrahlung, ihre Beziehung mit dem Publikum ist Dialog, nicht Animation. In die familiäre Atmosphäre von Ottersberg fügen sie sich nahtlos ein und man fragt sich: Warum waren die eigentlich bisher noch nie da?

Wer sich wundert, wo bei so viel Pop und Folk die versprochene "Kammermusik" bleibt, der sei daran erinnert, dass diese nicht unbedingt epochal, sondern auch stilistisch zu betrachten ist. Mehr noch als zu Zeiten des Barock, wo sie der Abgrenzung zur Kirchenmusik diente und die Aufführung in weltlichen "Kammern" bezeichnete, überwiegend also in den Häusern der Herrschenden, dominiert nun ihr demokratischer Unterton im Gefolge von Woodstock & Co. Unter freiem Himmel, in Ottersberg halbwegs verwirklicht, auf jeden Fall aber mit offenen Türen für alle, ist es der Musik von Cat Stevens oder Fleetwood Mac, von Joan Baez oder den Doobie Brothers ein Leichtes, die gemauerten in Herz-Kammern zu verwandeln. Glaubwürdig nachwirkend setzen sie eine Infusion mit der Botschaft vom "ever-loving light", wie sie im "Midnight Special" besungen wird.

Auch wenn in den Moderationen die Erinnerung an die Aufbruchstimmung der End-1960er den Ton angab, ja, Julia von Miller sogar dem Erfinder des zivilen Ungehorsams, Henry David Thoreau, die Reverenz erwies: Die Stimmung im Stadl war nicht revolutionär und aufrührerisch. Die Einladung zum "Come together" hatte weniger den Sturm auf die Barrikaden zum Ziel als das Sit-in auf der Peace Wies'. Das Publikum sank dort gemütlich nieder, ließ sich von den Melodien der Hippie Kammermusik umarmen und tauschte einen leidenschaftlichen Applaus gegen drei bewegende Mitmach-Zugaben: "Isn't it a pity", "Hey, Jude" und "Mercedes Benz" - genau die richtige Mischung für einen beschwingten Heimweg und eine friedliche Nacht. Love and Peace!

© SZ vom 16.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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