Sommer im Freibad:Ein Meister für alles

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Auf der Brücke, die über das Becken führt, steht Gerd Weber und behält den Überblick. Bevor die ersten Badegäste kommen, hat der Schwimmmeister schon die Wasserproben entnommen und die Becken gereinigt. (Foto: Christian Endt)

Wasserproben entnehmen, Menschen retten, Frieden stiften: Gerd Weber arbeitet seit 40 Jahren als Schwimmmeister im Freibad Grafing und liebt seinen Beruf. Doch nach dem Sommer hört der 62-Jährige auf

Von Franziska Langhammer, Grafing

Wenn man die Augen zumacht, fühlt man sich fast wie am Meer: Gleichmäßig rauscht das Wasser, Kinderlachen ist zu hören, die Sonne brennt. Obwohl es erst zehn Uhr vormittags ist, zeigt die Tafel am Bademeisterhäuschen schon 26 Grad an. Entsprechend gut besucht ist das Freibad Grafing: Ältere Herrschaften ziehen stoisch ihre Runden und werden ab und an von ungeduldigen Sportschwimmern überholt; nebenan planscht ein Vater mit seinem Kind, das in seinen riesigen Schwimmflügeln fast verschwindet. Auf der Brücke, die über das Becken führt, steht Gerd Weber und behält den Überblick.

Seit halb sieben Uhr morgens ist er im Dienst. Bevor die ersten Badegäste eintrudeln, hat Weber unter anderem schon Wasserproben entnommen, die Becken abgesaugt, die Duschinseln gereinigt. Nun steht er unter dem Sonnenschirm und schaut. Während des Gesprächs lässt er immer wieder seinen Blick über die Becken streifen, konzentriert und unaufgeregt. "Ich schaue nicht auf die Köpfe der Leute, ich schaue aufs Wasser", erklärt er. Die Schwimmer, die den Kopf über Wasser haben, hätten keine Hilfe nötig; für ihn zählt, was sich unter Wasser abspielt. Auch wenn er in seinem Job keine Routine aufkommen lassen darf, merkt man schnell, dass Gerd Weber, 62, Erfahrung hat in dem, was er tut. Er ist Bademeister im Freibad Grafing, und das seit 40 Jahren.

Weber stammt ursprünglich aus Holzkirchen, wo sein Stiefvater als Eismeister im Eisstadion arbeitete. Als im Grafinger Eisstadion eine Stelle frei wurde, warb man den Stiefvater an mit dem Angebot, im Sommer im Freibad arbeiten zu können. Gerd Weber war damals 21; sein Stiefvater fragte sich: Und was macht mein Bub? "Und so bin ich da reingeschlittert", erzählt Weber. Sein erster Arbeitstag war der 1. März 1978. Zuerst machte er seinen Rettungsschwimmer, eine der Grundvoraussetzungen für diesen Beruf. In einem Schnellkurs zeigten ihm die Ebersberger Bademeister: Wie läuft so eine Anlage überhaupt? Ab September 1978 dann besuchte Weber die Schwimmmeister-Schule in Lindau, wo Lehrlinge aus ganz Bayern eine dreijährige Ausbildung durchlaufen. "Da habe ich meinen Abschluss gemacht, und seitdem arbeite ich hier in Grafing", sagt Weber. Nach Ende der Sommersaison war er in den vergangenen zehn Jahren immer als Bademeister im Hallenbad Ebersberg unterwegs.

Während er erzählt, kommen immer wieder Badegäste vorbei; manche grüßen fast ehrfürchtig. Ein Mann mittleren Alters fragt, ob Weber ihm die Zeit auf 25 Meter abnehmen kann, und wirkt dabei ein bisschen wie ein Schuljunge. Weber ist hier ein Autorität; sich durchsetzen zu können sei wichtig in seinem Beruf, sagt er. Gerade zu den Jugendlichen hätten er und seine Kollegen zwar einen guten Draht, aber manchmal seien Quertreiber dabei, die man zurechtweisen müsse. Beim Sprungturm beispielsweise gebe es die Regel, dass immer nur einer auf dem Brett stehen dürfe. "Wenn dann auf einmal zwei oben stehen oder auf der Wiese einen Saustall hinterlassen, können wir auch grantig werden", sagt Weber. Ein gutes Team sei das A und O bei seiner Arbeit: "Wir müssen uns aufeinander verlassen können."

Das Freizeit- und Spaßgelände, welches das Freibad Grafing für die meisten Gäste darstellt, sieht Gerd Weber mit anderen Augen. Er zeigt auf die Wellenrutsche am Ende des Beckens und sagt: "Das ist keine Rutsche, das ist ein Sportgerät." Erst ab sechs Jahren dürfen Kinder dort ohne Begleitung herunterrutschen. "An der Wellenform kann man so aus dem Gleichgewicht geraten, dass man mit dem Hinterkopf schon mal blöd aufkommen kann", sagt Weber. Seit einem Vorfall in Haar, wo dasselbe Modell Rutsche im Einsatz ist, darf man nicht mehr auf dem Bauch herunterrutschen. Vor einigen Jahren war dort ein Jugendlicher, der bäuchlings hinuntergeschlittert war, so unglücklich aufgekommen, dass er heute im Rollstuhl sitzt. "Und dann gibt es doch immer wieder so Helden, die meinen, sie müssten im Stehen herunterrutschen", sagt Weber.

Bademeister sein ist beileibe kein gemütlicher Job. "Manche denken, man steht nur rum und schaut sich die schönen Frauen an", sagt Weber, "was man vorher und nachher alles macht, das sieht kein Mensch." So ist der Bademeister nicht nur für das, was im Wasser passiert, verantwortlich; er ist auch für die Instandhaltung der gesamten Anlage zuständig: vom Sauberhalten der Liegeflächen, Duschen, Wiesen bis hin zur Leerung der Abfalleimer. Dreimal täglich werden Wasserproben entnommen, um die Chlor- und pH-Werte zu überprüfen. "Du bist Psychologe, Lehrer, Mediziner, und am Ende auch Polizist", fasst Weber zusammen. So müsse er etwa auch zur Tat schreiten, wenn ein Diebstahl auf dem Freibad-Gelände geschehe.

Außerdem kann die Verantwortung für die Freibadbesucher schon mal an die eigenen psychischen Grenzen führen. Anstrengend wird es zum Beispiel, wenn - wie vergangenen Sonntag - fast 3000 Besucher ins Freibad Grafing kommen. In solchen Fällen sind dann vier Angestellte für die Sicherheit der Gäste zuständig. "Wenn knapp 300 Leute gleichzeitig im Wasser sind, ist das schon manchmal Stress", sagt Weber, "man muss sich konzentrieren und hat dabei einen ziemlich hohen Lärmpegel im Hintergrund". Abends sei er dann froh, wenn die Leute wieder gesund aus dem Wasser draußen wären.

In seiner langen Zeit als Bademeister hat er zwar viel gesehen, aber zum Glück ist nie etwas Schlimmes passiert. Platzwunden, Bienenstiche, allergische Reaktionen gehören für Weber zum Tagesgeschäft. Aber manche Geschichten, sagt Weber, die vergesse man nie. In den Achtzigern habe er nach seiner Schicht mit ein paar Kollegen auf der Wiese neben dem Schwimmbecken Volleyball gespielt. Der Ball war in Richtung Becken geflogen, und Weber, der den Ball holen wollte, entdeckte eine kleines Kind am gegenüberliegenden Beckenrand. Es sprang einfach in das tiefe Wasser. Als das Kind wieder heraus klettern wollte, reichte es mit der Hand nicht bis zum Rand, es ging immer wieder unter. Weber sprang ins Wasser und zog das Kind heraus. Auch heute noch, wenn er davon erzählt, schüttelt er den Kopf darüber.

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich vieles geändert, sagt Weber rückblickend: die Leute, die Technik, das Wetter. Heute seien die Menschen viel fordernder: "Viele meinen, wir sind ihre Dienstleister." So könne es schon mal vorkommen, dass Weber Gäste darauf anspricht, ihren Müll von der Wiese zu räumen, und dann als Antwort bekommt: "Ich hab ja Eintritt bezahlt." Seit der Sanierung des Freibads Grafing 2007/2008 werden viele Betriebsabläufe computergesteuert. Außerdem sind die früher gefliesten Becken heute alle aus Edelstahl, was sowohl die Reinigung als auch die Wartung erleichtert. "Die neue Technik macht einiges körperlich einfacher", sagt Weber.

Am deutlichsten empfindet er jedoch den Wandel des Wetters. "Früher konnte man nach der Natur gehen", formuliert er es. Wenn die Ameisen aus der Wiese an die Oberfläche kamen oder in Richtung Maschinenhäuschen marschierten, wusste man früher: Das Wetter schlägt um. Heute kann man danach nicht mehr gehen, so Weber; der Klimawandel ist auch hier, im Freibad Grafing, angekommen.

Im September, wenn die Freibadsaison endet, hört auch Gerd Weber als Bademeister auf. Für die Zeit danach hat er noch keine konkreten Pläne. Auf jeden Fall will er noch ein bisschen weiter arbeiten, wenn auch nicht als Bademeister. "Von 100 auf Null herunterfahren, das geht nicht", sagt er. Ein Nachfolger ist noch nicht gefunden; wie viele andere Städte hat auch Grafing Probleme damit, Nachwuchs-Bademeister zu finden. "Dabei", sagt Weber und hebt nebenbei die Hand zum Gruß, als zwei ältere Damen vorbeischwimmen, "ist das ein wirklich schöner Beruf."

© SZ vom 07.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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