Solidarische Landwirtschaft Grafing:Gemeinsam anpacken

Lesezeit: 3 min

Die Initiative Solidarische Landwirtschaft in Grafing gibt es seit Anfang dieses Jahres. Ihre Mitglieder machen sich bereits ans Werk - und trotzen bei der Arbeit auf dem Feld Wind und Regen

Von Tobias Schweitzer

Es ist kurz vor zehn in der Früh in Grafing. Der Himmel ist bewölkt, Regentropfen tröpfeln auf die Scheiben der vorbeifahrenden Autos. Die Grafinger scheint es an diesem durchwachsenen Märztag nicht nach draußen zu ziehen. Nur vereinzelt sieht man Menschen, verpackt in Mütze, Schal und Maske, die ihre Einkäufe erledigen. Zumindest am Kerschbaumerhof an der Wasserburger Straße wird sich das jedoch gleich ändern. Hier findet gleich der "Mit-Mach-Tag" des Fördervereins der erst zu Beginn des Jahres gegründeten Initiative Solidarische Landwirtschaft, kurz SoLaWi, statt. "Das wird jetzt der Test, ob sie es auch wirklich ernst meinen", sagt Sabine Grimm angesichts des durchwachsenen Wetters und lacht. Sie ist eine der Mitgründerinnen des SoLaWi-Projekts, engagiert sich außerdem in der Ernährungsinitiative Grafing und ist heute mit dem Einpflanzen der Himbeeren betraut.

Von der Ernährungsinitiative und dem Bündnis "Transition Grafing" nahm das Projekt auch seinen Anfang, erzählen Valentin Winhart und Frauke Pietzner, die beide dem Vorstand des Fördervereins angehören. Schon länger habe man sich dort ein SoLaWi-Projekt auch für Grafing gewünscht. Nach mehreren Radtouren zu verschiedenen Höfen in der Region im vergangenen Sommer sei die Wahl dann schließlich auf den Kerschbaumerhof gefallen. Der Kontakt mit der Familie Veicht, die heute in fünfter Generation auf dem seit 1847 bestehenden Hof lebt, sei schnell hergestellt gewesen. Der Hof war also da, was einzig noch fehlte waren Personen, die bereit waren, sich dem Projekt anzunehmen. Die waren jedoch ebenfalls schnell gefunden: "Die kurzfristige Umstellung des Arbeits- und Lebensalltag der Menschen durch die Corona-Pandemie war für uns in diesem Fall ausnahmsweise ganz hilfreich. Viele hatten mehr Zeit als sonst", sagt Frauke Pietzner.

Fleißige Helfer kümmern sich um die Außenanlage der Initiative der Solidarischen Landwirtschaft in Grafing in der Verlängerung der Grafinger Forellenstraße. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Langsam füllt sich auch der Hof und die ersten Helfer kommen an. Regenjacke und Spaten werden mitgebracht. Natürlich gilt auch hier, wie überall sonst: Abstand und Vorsicht. Für die Corona-Bürokratie ist an diesem Tag Barbara Kerner zuständig. Denn auch wenn das Ganze bei Wind und Wetter draußen stattfindet und sich auf dem Feld die nötigen Abstände gut einhalten lassen: Kontaktdaten werden trotzdem erfasst und die Haushalte so aufgeteilt, dass sich nicht allzu viel vermischt. Auch Kerner ist seit dem ersten Gründungstreffen in der Volkshochschule mit von der Partie. "Das Konzept hat mich direkt begeistert, dass einem wieder klar wird, was man selbst tun muss, damit etwas auf den Teller gelangt", erzählt sie während die ankommenden Helfer sich auf dem Hof verteilen.

Nun, was verbirgt sich aber denn genauer hinter dem Konzept? Zwei Aspekte stehen im Mittelpunkt der Idee. Zum einen die Vorfinanzierung durch die Beteiligten. Ob es die Kosten für den Gärtner, die Pflanzen oder das Arbeitsmaterial sind, alles muss ein Jahr im Voraus grob berechnet und von den Mitgliedern finanziert werden. Zum anderen erhalten diese dann im Gegenzug die Erzeugnisse der Ernte und garantieren damit deren tatsächliche Abnahme. Je nachdem wie die Ernte ausfällt, kann der Gemüseanteil dann mehr oder weniger sein. Solidarisch geteilt werden somit die anfallenden Kosten, das immer vorhandene Risiko und die endgültige Ernte. Ein besonderes Schmankerl der Grafinger Ausgabe stellt die zusätzliche Ausrichtung auf Permakultur dar. Dabei versucht man die Prozesse und Muster, die sich in der Natur finden, im eigenen landwirtschaftlichen Handeln zu übernehmen: mit der Natur statt gegen die Natur.

Auch die Hügelbeete am Hof werden umgegraben. Mitglieder der Initiative bekommen ihren Anteil an der Ernte und müssen dafür nicht in den Supermarkt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Für die Mitglieder des Fördervereins gibt es insgesamt vier Möglichkeiten sich zu beteiligen. Ganz klassisch kann man Gemüse beziehen und dabei zwischen dem großen oder dem kleinen Gemüseanteil wählen. Alternativ kann man auch seine finanzielle Unterstützung ohne den Bezug des Gemüses zusichern oder eine Fördermitgliedschaft beantragen. Eine Verpflichtung bei Veranstaltungen wie diesen mitzumachen erwächst daraus nicht: "Die Leute machen das gern", so Koordinatorin Pietzner.

Tatsächlich braucht es diese Verpflichtung gar nicht. Tobias Mückenberger aus Aßling hat sogar seinen jüngsten Sohn mitgebracht, der auch schon tatkräftig mit anpacken will. Er bezieht Gemüse von der Solidarischen Landwirtschaft und ist über private Kontakte zu den beiden Koordinatoren Winhart und Pietzner auf das neu entstehende Projekt aufmerksam geworden. Mittlerweile hat sich ein Teil der Gruppe vom Hof zu den Hügelbeeten bewegt. Hier sollen heute Himbeerpflanzen und Topinambur eingepflanzt werden, erklärt Sabine Grimm. Topina - was? "T o p i n a m b u r", wiederholt sie langsamer und lacht. Die kartoffelähnliche Knolle ist nicht jedem auf Anhieb ein Begriff, geschmacklich erinnert sie wohl an Süßkartoffeln oder Artischockenböden.

Mitgründerin Sabine Grimm nimmt sich einen Rechen und arbeitet am Mandalabeet vor. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Valentin Winhart und Frauke Pietzner zeigen sich zufrieden über die Entwicklung, die das Projekt langsam nimmt. Die Mitgliederstruktur des Vereins sei bunt durchmischt: WGs, Familien, Rentner und Einzelpersonen finden sich hier zusammen. Schließlich biete die Solidarische Landwirtschaft auch viele Anknüpfungspunkte: für Menschen mit Interesse an Landwirtschaft, an Nachhaltigkeitsfragen oder einfach mit Freude sich draußen gärtnernd zu betätigen. "Bei uns muss man nicht warten, dass Entscheidungen von oben zugunsten des Klimas oder Nachhaltigkeit ausfallen. Man kann einfach mitmachen und was gegen die eigene Ohnmächtigkeit unternehmen." Und tatsächlich: den Mitmachdrang ihrer Mitglieder scheinen auch Wind und Regen nicht schmälern zu können.

© SZ vom 03.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: