Selbstverteidigung für Senioren:Statt Enkeltrick eins auf die Zwölf

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Im evangelischen Gemeindezentrum üben Senioren, wie sie sich im Notfall gegen Angreifer zur Wehr setzen können. (Foto: Christian Endt)

Die Wing Tsun-Lehrer Ralf und Stefan Müller bringen den Mitgliedern einer Senioren-Gruppe bei, wie sie sich gegen Betrüger und Angreifer wehren können

Von Christian Bauer, Ebersberg

Ältere Menschen, die sich gegenseitig anbrüllen und mit Gehstöcken auf Kissen einprügeln - so geht es bei den "Lebensfreude-Treffen", die monatlich im Evangelischen Gemeindehaus Ebersberg stattfinden, normalerweise nicht zu. Bei der jüngsten Zusammenkunft aber war der Nachmittag nach Kaffee, Kuchen und Ratschen noch nicht vorbei. Stattdessen gab es einen Crashkurs zum Thema Selbstverteidigung - etwas, womit Senioren für gewöhnlich eher wenig zu tun haben. Das ist Wing Tsun-Lehrer Ralf Müller aus Poing durchaus bewusst. Mit seinem Sohn und Co-Trainer Stefan war er in Ebersberg, um die Senioren aus dem alltäglichen "Trott rauszuschmeißen".

Zunächst sprachen die Trainer Szenarien an, bei denen Senioren häufig Opfer werden. Wie aber kann man verhindern, dem Enkeltrick auf den Leim zu gehen? Wie hält man die Gefahr, überfallen und ausgeraubt zu werden, möglichst gering? Die Müllers präsentieren Lösungen, etwa dass man nicht immer zur gleichen Zeit und am besten auch nicht allein zur Bank geht. Und wenn jemand vor der Tür steht und um ein Glas Wasser bittet? Dann ist Müller zufolge die beste Vorgehensweise: "Glas holen, Tür auf, Glas raus, Tür zu."

Zudem kennt Müller einen einfachen Trick, um festzustellen, ob von einem Fremden Gefahr droht: Denjenigen laut anschreien und fragen, was er wolle. Sollte er sich als harmlos erweisen und zurückweichen, könne man immer noch sagen, man habe vergessen, seine Tabletten zu nehmen", sagte Müller augenzwinkernd. "Es ist egal, man sieht ihn nie wieder."

Um die Hemmungen zu verlieren, jemanden anzuschreien, sollten die Senioren das miteinander üben. Während es den einen schwerfiel, laut zu werden, hatten die anderen sichtlich Freude daran. Falls man aber tatsächlich attackiert werde, gelte es zuerst herauszufinden: "Will er mein Geld, oder will er was von mir?" Müller empfiehlt, zwei Geldbeutel bei sich zu tragen. Den mit weniger Inhalte könne man dann von sich werfen, um festzustellen, ob der Täter auf das Geld aus ist, oder auf körperliche Konfrontation.

Sollte Letzteres der Fall sein, müsse man sich verteidigen oder es wenigstens versuchen. "An so einem Nachmittag wie heute werden wir keine Kampfkunstexperten", stellte Müller klar. "Aber jetzt kommt die gute Nachricht: Sie dürfen alles." Denn wenn eine ältere Person angegriffen werde, gehe es "nicht um Ästhetik, sondern darum, dass Sie gesund nach Hause kommen". Es gibt also nichts, was nicht eingesetzt werden darf: ob Knie, Regenschirm, Gehstock, oder Handtasche. Müller machte vor, wie man den Angreifer mithilfe des Spazierstocks auf Abstand hält: diagonale Bewegungen, dabei rückwärts gehen, und im Optimalfall die Hände des Gegners treffen. Wenn erst einmal ein paar Knochen gebrochen seien, würden die meisten Aggressoren ziemlich schnell aufgeben. Jeder der Senioren durfte das Gelernte an Müller und seinem Sohn ausprobieren - die sich durch dicke Handschuhe schützten.

Auf die Frage, was zu tun sei, wenn der Angreifer schon zu nah ist, antwortete Müller: "Sie haben alle ein Notfallpaket dabei: Fünf Finger, auf zwei Augen. Einer davon trifft schon." Ja, das sei brutal, doch was er hier auf humorvolle Art unterrichte, sei in der Realität nun einmal kein Spaß. Eine eskalierte Situation "schön" zu lösen sei leider nicht möglich, so Müller.

Um den Rentnern zu demonstrieren, dass sie durchaus noch einiges an Kraft besitzen, ließ Müller sie mit den Stöcken auf Kissen einschlagen. In der Tat entfachte er damit Ehrgeiz, besonders bei den zwei Männern unter den 17 Senioren. "Brauchst du das Kissen noch?", fragte einer von ihnen augenzwinkernd.

Müller ging mit einer Mischung aus Humor und Ernsthaftigkeit an die Sache heran. Dass er das erste Mal Senioren unterrichtete, war ihm nicht anzumerken. Die Idee dazu sei bei einer Gewaltpräventionsmesse der Hilfsorganisation Weißer Ring aufgekommen. Man habe erkannt, dass ältere und jüngere Menschen sich im Hinblick auf Selbstverteidigung nur im Bereich Beweglichkeit unterscheiden.

Wie Müller einräumte, reiche ein Nachmittag natürlich nicht aus, um jemandem wirklich beizubringen, sich zur Wehr zu setzen. Vielmehr gehe es darum, auf das Thema aufmerksam zu machen. Ein wichtiger Schritt sei, verschiedene Gefahrensituationen im Vorhinein im Kopf durchzuspielen. Denn, wie Müller den Anwesenden einschärfte: "Selbstverteidigung beginnt zuhause."

© SZ vom 22.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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