Schulkino-Woche:Gestaltungskraft im Großformat

Schulkino-Woche: Eine empfehlenswerte Literaturverfilmung für Schüler von der siebten Klasse an ist "Lauf, Junge, lauf". Sie wird auch im Grafinger Capitol gezeigt.

Eine empfehlenswerte Literaturverfilmung für Schüler von der siebten Klasse an ist "Lauf, Junge, lauf". Sie wird auch im Grafinger Capitol gezeigt.

(Foto: Hagen Keller)

An der bayerischen Schulkino-Woche nimmt erstmals auch ein Lichtspieltheater aus dem Landkreis teil, das Capitol in Grafing. Andreas Rost vom Münchner Kulturreferat wird dort ein Seminar leiten.

Von Anja Blum, Grafing

"Ich wage nichts zu prophezeien", sagt Andreas Rost. "Kann sein, dass es ganz wunderbar läuft, kann aber auch sein, dass das eine Dompteurstunde wird." Rost wird bei der Schulkino-Woche in Grafing, die am 16. März beginnt, die einzige Seminarvorstellung leiten. Es ist das erste Mal, dass das Capitol an der bayernweiten Veranstaltungsreihe teilnimmt. Schon mehrmals hatte sich das Grafinger Lichtspielhaus beworben, jetzt hat es endlich geklappt. "Wir weiten unser Angebot immer mehr aus, so gut es eben geht", sagt Projektleiterin Kathrin Miller vom Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung.

Andreas Rost hat es sich als Filmfachmann - er war Dozent am Institut für Kunstgeschichte der LMU München und Sachgebietsleiter für Film im Münchner Kulturreferat - seit langem zur Aufgabe gemacht, junges Publikum ins Kino zu locken. "Aber das ist hartes Brot", sagt er, denn die Ausbreitung der DVD-Beamer-Technik an den Schulen habe den klassenweisen Kinobesuch weitgehend an den Rand gedrängt. "Das funktioniert nur noch, wenn man zusätzlich etwas anbietet", sagt Rost, am besten einen prominenten Gast. Als er zum Beispiel den Regisseur Wim Wenders für eine Vorstellung von dessen Dokumentation "Salz der Erde" in einem Münchner Kino habe gewinnen können, sei der Saal bis auf den letzten Stuhl voll und die Stimmung hervorragend gewesen. "Aber es gibt auch jene Momente, in denen die Schüler mehr auf ihre Handys als auf die Leinwand schauen oder die Lümmel aus der letzten Reihe jede Diskussion im Keim ersticken", erzählt Rost. Es komme eben immer sehr auf die Zusammensetzung des jungen Publikums an - und auf das Thema der Veranstaltung freilich.

Schul-Kinowoche in Grafing

Als "sehr umfassend" bezeichnet Andreas Rost das übrige Programm der Schulkino-Woche im Grafinger Capitol. Geboten sind Filme für alle Altersstufen: Die Verfilmungen zweier Kinderbuchklassiker - "Das kleine Gespenst" und "Mein Freund Knerten" - erfreuen Grundschüler, "Der blaue Tiger", ein modernes Märchen zum diesjährigen Motto "Zukunftsstadt", ist für die Klassen zwei bis fünf empfohlen. Die Verfilmung des preisgekrönten Kinderbuchs "Rico, Oskar und die Tieferschatten" sowie der Film "Tom und Hacke", der "Die Abenteuer des Tom Sawyer" ins Nachkriegsdeutschland verlegt, können von der dritten Klasse an besucht werden. Um ein Mädchen, das sich für einen Jungen ausgibt, geht es in "Tomboy", empfohlen von der fünften Klasse an. Ebenfalls eine Literaturverfilmung ist "Lauf, Junge, lauf". Erzählt wird darin die Geschichte eines Jungen, der allein aus einem Warschauer Ghetto flüchtet. Dieser Film ist ein Angebot für Schüler von der siebten Klasse an. Für Jugendliche von der neunten bis zur zwölften Jahrgangsstufe stehen der Klassiker "Der Untertan" nach Heinrich Mann aus dem Jahr 1951 und "Nächster Halt: Fruitvale Station" auf dem Programm. Der Film erzählt die auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte eines jungen Farbigen, der rassistischen Polizisten zum Opfer fällt. Die bayernweite Schulkino-Woche findet statt von 16. bis 20. März, unter anderem im Grafinger Capitol. Informationen und Anmeldung im Internet unter www.schulkinowoche.bayern.de. Anmeldeschluss ist am Sonntag, 1. März. abl

Dieses müsse zunächst einmal die Lehrer überzeugen. "Dafür ist es wichtig, dass es an den Lehrplan anknüpft", sagt Rost - aber auch die Kinder oder Jugendlichen ansprechen. Hinzu kommt, dass es sich im Sinne Rosts um einen "guten Film" handeln sollte, also um ein "Kunstwerk von guter Machart". Das sei sein persönlicher Anspruch, sagt der Filmhistoriker. "Bei vielen Leuten steht beim Film nur der Stoff im Vordergrund, dabei gibt es auch bei dieser Kunstform sehr viele Feinheiten wie Farbdramaturgie, Ausleuchtung, Musik, die Darstellung der Charaktere und vieles mehr. Dass der Film Unterhaltung bietet, heißt nicht, dass hier keine Gestaltungskraft waltet", ist Rost überzeugt. Er jedenfalls halte es bei der Filmrezeption mit Emil Staiger: "Wir sollten begreifen, was uns ergreift."

Im Zuge der Schulkino-Woche im Grafinger Capitol, das heuer erstmals an der bayernweiten Veranstaltungsreihe teilnimmt, stellt Rost den Dokumentarfilm "Taste the Waste" vor, der für Schüler von der achten bis zur zwölften Klasse empfohlen ist. "Dieser Film versucht, der jungen Generation eine Vorstellung von den verschwenderischen Formen des Wirtschaftens in den sogenannten Überflussgesellschaften Europas und Nordamerikas zu geben", erklärt Rost, eine angesichts des Hungers in weiten Teilen der Welt beschämende Erkenntnis. Dabei arbeite Regisseur Valentin Thurn jedoch nicht mit einer Stimme aus dem Off, sondern lasse die Statements der unterschiedlichen Protagonisten - zumindest verbal - unkommentiert. "Er arbeitet nur mit Zwischentiteln, die die ganzen Absurditäten des Themas aber sehr drastisch verdeutlichen", so Rost. Einer davon laute: "Jedes Jahr werden in der EU 90 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Geladen in Lastwagen wäre das eine Kolonne einmal rund um den Äquator."

Doch der Film wolle mehr, als bloß Klage über die Missstände globalen Wirtschaftens zu führen. Er versuche, die Prinzipien aufzudecken, aufgrund derer die Abfallberge erzeugt werden. "Sie gehen nämlich nicht nur auf anspruchsvolle Konsumenten zurück, sondern auch auf Regulierungen und Normen, die EU-Bürokraten, der Handel und Marketing-Experten festlegen: Kartoffeln müssen eine bestimmte Größen haben, Tomaten einen gewissen Farbton und Gurken einen vertretbaren Krümmungsgrad", sagt der Seminarleiter. Darüber hinaus zeige die Dokumentation Lösungswege auf, zeige, wie vereinzelt Unternehmer und vermehrt Bürger die Verschwendung kreativ bekämpfen. Wie aus altem Brot Pellets werden, wie auf New Yorker Flachdächern Bienenstöcke und Gemüsebeete entstehen, wie hierzulande aus Lebensmitteln Gas für Fernwärme erzeugt wird oder Turiner Bürger mit unverkäuflichen Waren tausende Bedürftige kostenlos versorgen. "Der Film bietet Diskussions- und Unterrichtsstoff im Überfluss", resümiert Rost.

Die einzelnen Vorführungen werden jedoch nicht von einem Experten wie Rost begleitet, sondern lediglich von den jeweiligen Lehrern. "Insofern kommt es immer darauf an, wie diese den Kinobesuch gestalten", sagt der Filmhistoriker. Denn einen echten Gewinn für die Schüler gäbe es nur durch eine sorgsame Vor- und Nachbereitung des Filmerlebnisses. "Davor sollte man nicht zu viel verraten, aber die Neugier wecken und schon mal auf das Thema hinführen", empfiehlt Rost. Sonst könnte passieren, was er selbst bei einer Vorstellung des Films "Die weiße Rose" erlebt habe: "Da fragte der Regisseur, wer etwas mit dem 20. Juli 1944 anfangen könne - dem Tag des Stauffenberg-Attentats - und erntete betretenes Schweigen. Das war natürlich völlig deprimierend." Daher sei es wichtig, das Gesehene zu besprechen. "Was ist hängen geblieben und warum? Welche Erfahrungen haben die Schüler mit dem jeweiligen Thema gemacht?" Solche Fragen solle man stellen, rät Rost. Die Veranstalter der Schulkino-Woche, die im Auftrag des Kultusministeriums handeln, lassen die Pädagogen allerdings nicht gänzlich allein mit der Aufgabe, die Filmvorstellungen zu moderieren. Zum einen werden Lehrerfortbildungen angeboten, in denen die Pädagogen erfahren, wie sie Filme im Unterricht einsetzen können. Außerdem gibt es zu jedem Film der Schulkino-Woche Begleitmaterial. "Darin finden sich Diskussionsansätze, Arbeitsblätter und manchmal auch exemplarische Szenenanalysen", erklärt Rost.

Als Vorbereitung auf die Dokumentation "Taste the Waste" wird zum Beispiel empfohlen, den Schülern folgende Aufgabe zu stellen: Sie sollen darauf achten, wie viele Lebensmittel sie innerhalb einer Woche wegwerfen, und die Gründe dafür schriftlich festhalten. Nach dem Kinoausflug könnte die Klasse ein Konzept für eine Kampagne entwerfen, die über die Vernichtung genießbarer Waren informiert oder die Wertschätzung von Lebensmitteln fördern soll. Sollte das umgesetzt werden, hätte die Schulkino-Woche ihr Ziel erreicht: Durch das Projekt sollen sich Schüler "Wissen auf unterhaltsame Art und Weise aneignen und gleichzeitig Film- und Medienkompetenz erwerben".

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