Rathauskonzert Vaterstetten:Strahlende Balance

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Das "Milander-Quartett" verleiht der Gattung des Klavierquartetts neuen, großen Glanz

Von Ulrich Pfaffenberger, Vaterstetten

Klavierquartette sind ein schöner Anlass, über die Rollenverteilung in der Kammermusik zu reden. Denn dabei lässt sich fast nie letztgültig die Frage beantworten, ob in dieser Spielform das Klavier zu dominieren, sich einzugliedern oder sich unterzuordnen habe. Alles hat etwas für sich. Der erste Teil des Gattungsbegriffs spricht für die Dominanz, der zweite Teil für die Unterordnung - und die Zusammenfassung in einem Wort für die Integration. Beim Rathauskonzert in Vaterstetten zeigte nun das Milander Quartett, dass alle drei Wege nicht nur gangbar, sondern sogar überzeugend zurückzulegen sind. Zur Freude des Publikums und zur Ehre der Komponisten Mozart, Mendelssohn-Bartholdy und Brahms.

Von Anfang an geben Milana Chernyavska (Klavier), Yamei Yu (Violine), Alexander Moshnenko (Viola) und Julian Arp (Violoncello) dem Verdacht nicht einen Millimeter Raum, es könnte sich beim Klavierquartett um eine Formation handeln, bei der einfach nur die zweite Geige gegen ein Piano ausgetauscht wurde. Wie Hanspeter Krellmann in seinem klugen Artikel im Programmheft erläutert, ist durch den Wechsel in der Besetzung ein völlig neuer Werktypus entstanden, der eine andere Spielweise erfordert, ein anderes Quartett-Verständnis und die Bereitschaft, sich auf eine ungewöhnliche Rollenverteilung einzulassen, um das naheliegende klangliche Übergewicht des Klaviers auszubalancieren. Den Milandern dabei zuzuhören, wie sie diese Aufgabe lösten, war beim Konzert im Saal des Seniorenwohnparks das schiere Vergnügen - und so mitreißend in seiner Wirkung, dass am Ende die Bravo-Rufe des begeistern Publikums gar nicht mehr aufhören wollten.

Das Rezept für die gelungene Umsetzung war so anspruchsvoll, wie es im Ergebnis einfach erschien. Bei Mozarts Es-Dur-Quartett (KV 493) gelang den Vieren eine Metamorphose ihrer individuellen Klasse in eine konzentrierte Geschlossenheit von so hoher Dichte, dass sich die Musik zur Nahrung für die Sinne der Anwesenden wandelte, in ihrer Kraft auch körperlich spürbar. Statt der überschüssigen Energie des Stücks freien Lauf zu lassen, transformierten sie es in eine Infusion, die "mit bedächt'ger Schnelle" von denen Besitz ergriff, die sich ihr aussetzten.

Im Kontrast dazu dann die emotionale Aufladung in Mendelssohn Bartholdys f-Moll-Quartett. Nur scheinbar die anfängliche Distanz einer makellosen Spieltechnik, die sich zusehends in überwältigende Nähe wandelt, so sehr lassen die vier Musiker ihre Seelenverwandtschaft mit dem Stück erkennen. Wie Cellist Arp dem ersten Satz unergründliche Tiefen verschafft, wie Yus und Moshnenkos feinsinnige Dialoge immer wieder das Publikum in den Bann ziehen und wie Chernyavska akzentuiert und respektvoll zugleich den wechselnden Emotionen Richtung gibt - das zeugt sowohl von großer Liebe zu diesem Stück wie auch von Mut und Deutungslust im Vertrauen auf die eigene Musikalität. Diese Musik ist größer als "Quartett" - und so spielen die Vier sie auch.

Kaum hatte das Milander-Quartett dafür zur Pause die ersten "Bravos" eingeheimst, trat es den Beweis dafür an, dass noch eine Steigerung möglich ist. Brahms' Klavierquartett No.3 in c-Moll nahmen sie ganz und gar die oft nachgesagte Düsternis und wandelten sie in Berührbarkeit. Dramatik, Wagemut, Modernität - schon der erste Satz war erfüllt mit ausdrucksstarken Elementen, spielerisch so zugespitzt, dass die Grenzen des Erwartbaren gesprengt wurden. Bis ins kleinste Detail stimmte dabei die Balance zwischen Piano und Streichern, gipfelnd in einen Schluss des ersten Satzes, von dem man mit Fug und Recht behaupten kann: "So etwas habe ich noch nie gehört."

Mit jeder Minute, die das Konzert fortschritt, wurde klar: Diese Musik schreit nach einer Antwort dessen, der sie hört. Aber man darf nicht jubeln oder klatschen, bevor der letzte Takt verklungen ist. Denn der jubelnden Euphorie folgt die suchende Melancholie, folgt die irritierte Kraftlosigkeit, folgt die erlösende Aufmunterung. Das fügt Brahms ganz wunderbar ineinander, und die Musiker erweisen sich als würdige Diener der großen Aufgabe, die ihnen anvertraut ist. Die unendlich feinen Nuancen, die sie mit spielerischer Leichtigkeit herausspielen, kontrastieren so intensiv mit der Kraft der Funken, die sie aus den Saiten ihrer Instrumente schlagen, dass schon aus Stein gemeißelt sein müsste, wem hier nicht das Herze bebt. Klavierquartett: Für alle Anwesenden ein Wort, das seit Sonntag mit neuer Kraft strahlt.

© SZ vom 23.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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