Rathauskonzert in Grafing:Emotionaler Tiefgang

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Das befreundete "Diogenes Quartett" aus München spielt dem Grafinger Kulturverein ein hochkarätiges Geburtstagsständchen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

"Diogenes Quartett" begeistert beim Jubiläum des Grafinger Kulturvereins das zahlreiche Publikum

Von Peter Kees, Grafing

Die Titel "Von fernen Ländern und Menschen", "Curiose Geschichte", "Hasche Mann", "Bittendes Kind" und "Glückes genug" mögen so manche Klavierschüler kennen. Es sind Überschriften zu fünf der dreizehn Stücke aus dem Klavierzyklus "Kinderszenen" von Robert Schumann. Vergangenen Sonntag waren diese in einer Fassung für Streichquartett im Grafinger Rathaus zu hören, Ende des 19. Jahrhunderts von dem französischen Komponisten Benjamin Godard für diese Besetzung arrangiert. Doch das war nur die Einleitung zu einem so mächtigen wie aufregenden Konzertabend, dem Jubiläumskonzert zum 25-jährigen Bestehen des Grafinger Kulturvereins.

Auf dem Podium saß das Diogenes Quartett aus München, nach der Pause um den Pianisten Andreas Kirpal, Bruder des Primarius, ergänzt. 1988 wurde das Quartett gegründet, jenen Namen wählte man, weil Stefan und Gundula Kirpal, beide Geige, die Bratschistin Alba González i Becerra und der Cellist Stephen Ristau mit einem der Mitinhaber eines gleichnamigen Schweizer Verlages befreundet sind, dessen Name sich wiederum auf den legendären antiken Philosophen bezieht, der in der Tonne lebte und Askese betrieb.

Von Askese jedoch war an diesem Abend keine Spur. Ganz im Gegenteil. Und das lag schon an der Programmauswahl: Ludwig van Beethovens Streichquartett op. 127, Es Dur, folgte den Schumannschen Impressionen. Nach der Pause wurde Antonin Dvořáks Klavierquintett op. 81 in A-Dur gespielt. Beide Stücke hatte sich der Vereinsvorsitzende Friedhelm Haenisch ausgesucht, es sind zwei seiner Lieblingskompositionen. Der große Sitzungssaal des Grafinger Rathaus war bis auf den letzten Platz besetzt, sogar Grafings Bürgermeisterin Angelika Obermayr saß im Publikum.

Das Beethoven-Quartett - das erste seiner späten Streichquartette, uraufgeführt am 6. März 1825 in Wien - begann mit einem imposanten gemeinsamen Atem der vier Musiker. Gewaltig und hochemotional wurde musiziert. Eindringlich und voller Leidenschaft der erste Satz "Maestoso Allegro". Der Primarius führte sein Ensemble mit einem intensiven und zugleich süßlichen Ton und saugte die Noten förmlich aus seinem Instrument. Die anderen folgten mit ein wenig trockenerer Tongebung. Gleichwohl entspann sich ein kraftvoller Zauber in Grafings Rathaussaal. Zärtliche Momente, heroische Klänge, wilde Dramatik waren geboten. Düsternis, fast schwebende Klänge im zweiten Satz "Adagio, ma non troppo". Auch hier: emotionaler Tiefgang vom Feisten, wie auch im "Scherzando vivace" sowie im Finalsatz mit seinem schmissigen Schluss. Dass das alles nichts, aber auch gar nichts mit Askese zu tun hat, war offensichtlich. Beethoven hat mehr als drei Jahre an dem Quartett gearbeitet, die Komposition immer wieder zur Seite gelegt, um an seiner Neunten Sinfonie zu schreiben. Der Geist des Humanisten auch hier unüberhörbar.

Mindestens so emotional wurde auch das Dvořáks Klavierquintett mit Andreas Kripal am Klavier interpretiert. Hier zeigte sich übrigens die Kraft auch der anderen Spieler. Ob im Cellosolo gleich zu Beginn oder bei den vielen Bratschen-Soli - satte Töne waren überall. Dvořák begann das Quintett im August 1887 zu komponieren, bereits im Januar 1888 wurde es in Prag uraufgeführt. Natürlich klingt in dieser Musik viel slawische Volkstümlichkeit mit, was die beiden Mittelsätze "Dumka" und "Furiant" schon in ihren Überschriften verraten - Dumka ist ein osteuropäischer Liedtyp mit schwermütigem Charakter und Furiant ein schneller böhmischer Volkstanz. So fühlt man sich, etwa im Wetteifern der beiden Geigen, gerne an ländliche Momente erinnert, blickt aber auch in die tiefe Seele des östlichen Mitteleuropas. Ein gewisser süßlicher Schmerz paart sich hier mit romantischem Pathos.

Die Grafinger Darbietung dieses Werkes lud unbedingt zum Mitschwelgen ein. Mitreißend und fesselnd wurde hier musiziert, man sah den Gesichtern im Publikum die Begeisterung förmlich an. Und so wurde denn auch eine Zugabe erklatscht: Den langsame Satz aus Mozarts Klavierkonzert A-Dur KV 414 in einer Fassung für Klavier und Streichquartett gab's noch zu hören. Bravo!

© SZ vom 12.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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