Prozess vor dem Landgericht:Das Ende einer Reise

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Ein 23-Jähriger muss sich wegen Bedrohung, Sachbeschädigung, Körperverletzung und schwerer Brandstiftung verantworten

Von Andreas Junkmann, Zorneding/München

"Meine Freunde im Gefängnis sagen, die Sache ist schwer", lässt der junge Mann von einem Dolmetscher übersetzen. "Da haben Ihre Freunde auf jeden Fall recht", antwortet Richter Martin Hofmann. Wie schwer die Sache für den 23-Jährigen tatsächlich ist, das wird beim Prozessauftakt vor dem Münchener Landgericht deutlich, vor dem sich der Syrer seit Montag zu verantworten hat. Die Liste der ihm vorgeworfenen Straftaten reicht von Sachbeschädigung über Bedrohung und tätlichem Angriff auf Polizeibeamte bis hin zu versuchter besonders schwerer Brandstiftung und vorsätzlicher Körperverletzung.

Der Angeklagte ist Anfang 2016 als Flüchtling nach Deutschland gekommen. Nach mehreren Stationen in Ostbayern, landete er schließlich im Landkreis Ebersberg. Dort war er in verschiedenen Unterkünften untergebracht - und immer wieder ist es zu Reibereien zwischen ihm und anderen Bewohnern gekommen, wie aus der Polizeiakte hervorgeht. Der erste einer ganzen Reihe von Vorfällen, die den jungen Mann auf die Anklagebank gebracht haben, passierte Ende März 2018 in einer Unterkunft in Aßling. Der Mann habe mit einem Stuhl eine Fensterscheibe eingeworfen, nachdem ihm sein Bretterverschlag zur Taubenzucht verboten worden war, so die Beschuldigung der Staatsanwaltschaft.

Weiter ging es in einer Nacht Mitte Mai, als Polizisten die Bewohner der Unterkunft zu einer Sachbeschädigung befragen wollten. Dabei soll sich der Angeklagte nicht nur unkooperativ verhalten, sondern auch die beiden Beamten beleidigt und schließlich sogar angegriffen haben. Erst auf der Polizeistation stellte sich heraus, dass der heute 23-Jährige dabei die ganze Zeit über auch noch eine Rasierklinge im Mund hatte.

Während die Anklageschrift verlesen wird, wirkt der Beschuldigte ruhig, runzelt ab und an die Stirn und blickt den Staatsanwalt mit gesenktem Kopf aus den Augenwinkeln an. Auch, als dieser zur letzten und womöglich schwerwiegendsten Straftat kommt: einem Brand, den der Angeklagte in der Unterkunft in Zorneding gelegt hat, wohin er nach den Zwischenfällen in Aßling verlegt worden war. Hier soll er die Matratze in seinem Zimmer angezündet und die Rauchmelder von der Decke gerissen haben. Vier Personen erlitten eine leichte Rauchvergiftung, ehe die Feuerwehr den Brand löschen konnte. Der entstandene Schaden wird auf etwa 25 000 Euro geschätzt.

Ehe Richter Hofmann in die eigentliche Beweisaufnahme einstieg, wollte er sich zunächst ein Bild des Angeklagten machen, um dessen Lebensumstände besser zu verstehen. "Erzählen Sie uns was von sich damit wir uns ein bisschen kennenlernen", sagte der Vorsitzende. Und so sprach der Angeklagte über seine Jugend in Syrien, wo er mit etwa 14 Jahren die Schule verlassen hatte, um Fußball zu spielen und im Café seines Vaters zu arbeiten. Zusammen mit Eltern, Schwester und Bruder ist er vor dem Krieg in die Türkei geflohen. "Wir haben vor unseren Augen Leute gesehen, die von Bomben zerfetzt worden sind", lässt er übersetzen. Für ihn ging die Reise schließlich alleine nach Deutschland weiter, wo er Arbeit finden wollte, um die Familie in der Türkei finanziell zu unterstützen. Nun sitzt er seit etwa einem Dreivierteljahr in Untersuchungshaft.

Die Vorwürfe räumt der Angeklagte, der inzwischen als Flüchtling in Deutschland anerkannt ist, überwiegend ein. Ja, er habe den Stuhl gegen die Scheibe geworfen, er wollte aber nichts kaputt machen, beteuert er. Auch dass er die Beamten beleidigt habe, gibt der Angeklagte zu. Angegriffen habe er sie jedoch nicht und verletzen wollte er auch keinen. Die Rasierklinge im Mund erklärt der 23-Jährige damit, dass er das immer so mache. Sein Anwalt ergänzte, dass so etwas in diesem Kulturkreis nicht völlig unüblich sei. Auch die Matratze habe er absichtlich in Brand gesteckt, dass er zuvor die Rauchmelder abmontiert habe, bestritt er allerdings.

Sein Verhalten erklärt der Angeklagte mit der Einsamkeit durch die Trennung von seiner Familie - und mit Alkohol und Drogen, beides habe er regelmäßig konsumiert, "um zu vergessen". Welche Strafe er dafür zu erwarten hat, wird sich bei drei weiteren Prozessterminen in den nächsten Wochen zeigen.

© SZ vom 07.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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