Prozess vor dem Amtsgericht:Trinken, reden, zahlen

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Geldstrafe für Rentnerin, die in alkoholisiertem Zustand mit der Notrufzentrale über Fußball fachsimpeln wollte

Von Wieland Bögel, Ebersberg

In nicht mehr ganz nüchternem Zustand über Sport fachzusimpeln gilt gemeinhin als sozial verträgliche Freizeitgestaltung - es sei denn, der Gesprächspartner ist die Notrufzentrale. Genau dort aber soll eine 60-Jährige aus dem südlichen Landkreis gleich mehrmals angerufen haben, unter anderem, weil sie mit jemandem über Fußball reden wollte. Wegen Missbrauchs von Notrufen wurde sie daraufhin vom Amtsgericht per Strafbefehl zur Zahlung von 1400 Euro verurteilt, wogegen die Rentnerin allerdings Einspruch einlegte.

Vor Gericht, wo sie ohne Verteidiger erschienen war, plädierte sie auf Unzurechnungsfähigkeit. Sie sei zu dem Zeitpunkt nämlich "völlig verwirrt" gewesen. Ursache dafür, so die Angeklagte weiter, sei eine Kombination aus Schädel-Hirn-Trauma und erheblicher Alkoholisierung gewesen. Wobei wiederum letztere auch für ersteres verantwortlich war.

Denn wenige Tage vor den Fußball-Gesprächen hatte die 60-Jährige bereits schon einmal beim Polizeinotruf angerufen. Sie sei verprügelt worden und verletzt, behauptete sie, später stellte sich aber heraus, dass kein Angreifer sondern ein Promillewert von 3,3 die Dame von den Füßen geholt hatte.

Bereits diesen Anruf wertete die Staatsanwaltschaft als Missbrauch von Notrufen, genau wie die zwei beziehungsweise drei Versuche ein paar Tage später, bei der Erdinger Rettungsleitstelle und der Ebersberger Polizei einen Gesprächspartner für Fußballthemen zu finden.

Sie könne sich das gar nicht erklären, wunderte sich die 60-Jährige nun vor Gericht: "Ich interessiere mich für Fußball überhaupt nicht." Vielleicht, so die Angeklagte weiter, habe sie versucht, die Telefonseelsorge zu erreichen, "ich habe mich nicht mehr ausgekannt". Grund dafür war wohl der Sturz ein paar Tage zuvor, deswegen sei sie auch im Krankenhaus gewesen, wo tatsächlich ein Schädel-Hirn-Trauma diagnostiziert wurde - ebenso ein chronisches Alkoholproblem.

Dieses stritt die Angeklagte auch gar nicht ab und legte sogar ein weiteres Attest vor, das ihr neben Alkoholismus noch andere psychische Beeinträchtigungen, wie etwa Depressionen und eine Belastungsstörung bescheinigte. Und genau wegen ihres labilen Zustandes sei es eben zu den besagten Anrufen gekommen, versuchte die 60-Jährige das Gericht zu überzeugen. Sie habe sich nach dem Sturz selbst aus der Klinik entlassen und trotz der Gehirnerschütterung und damit einhergehender Kopfschmerzen und Übelkeit zuhause weitergetrunken. Tatsächlich habe sie weder an den Sturz noch an die Tage danach sehr viele Erinnerungen.

Um diese etwas aufzufrischen, kam die Angeklagte erneut zu Wort - nämlich in Form der aufgezeichneten Notrufe. Welche anzuhören ihr sichtlich unangenehm war, sie hielt sich die Ohren zu und wollte sogar den Saal verlassen. Ob dies geschah, weil ihr die Sache peinlich war, oder aus Kalkül, blieb unklar.

Für Richterin Vera Hörauf indes sprachen die Aufnahmen eher gegen eine Unzurechnungsfähigkeit der Rentnerin. Schließlich konnte sie etwa ihre Postleitzahl nennen, ihre Adresse und darüber witzeln, dass der Straßenname so ähnlich klinge wie ihr Nachname. Auch war die Angeklagte trotz der 3,3 Promille noch ziemlich deutlich zu verstehen.

Die Richterin erklärte der Angeklagten, dass ein Gutachter - den es bräuchte, um die Unzurechnungsfähigkeit festzustellen - vielleicht ebenfalls zu diesem Schluss kommen könnte. Dann müsste die 60-Jährige nicht nur die Geldstrafe, sondern auch den Experten bezahlen, "das sind 3000 Euro oder mehr". In dem Fall könne man sie gleich ins Gefängnis stecken, "ich kann doch nichts bezahlen," so die Rentnerin. Aufgrund ihres niedrigen Einkommens könne man die Geldstrafe halbieren, bot Hörauf an, außerdem könne die Angeklagte die 700 Euro in Raten zahlen.

Nach kurzer Bedenkzeit willigte die 60-Jährige zwar schließlich ein - nicht aber, ohne ihre Unzufriedenheit über die Bestrafung kund zu tun: "Ich finde das nicht gerecht, ich war doch nicht klar, warum legen die nicht einfach auf?"

© SZ vom 17.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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