Prozess in Ebersberg:Ach du dicker Hund

Lesezeit: 4 min

Die mögliche Gefährdung eines Haustiers führt zu einem handfesten Nachbarschaftsstreit und zu einem Gerichtstermin

Von Wieland Bögel, Ebersberg

"Dem Hunde, wenn er gut erzogen, ist selbst ein weiser Mann gewogen", dichtete einst Johann Wolfgang von Goethe. Von seinem Freund und Dichterkollegen Friedrich Schiller stammt der Satz: "Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt." Dass beide irgendwie richtig lagen, zeigt ein kurioser Fall, der nun am Ebersberger Amtsgericht verhandelt wurde. Es ging um einen eskalierten Nachbarschaftsstreit, mit ausgelöst offenbar von der Sorge um das Wohlergehen eines Vierbeiners.

Dieser, so weit waren sich die Prozessbeteiligten einig, war an einem frühen Oktobermorgen des vorvergangenen Jahres mit seinem Herrchen im nördlichen Landkreis unterwegs. Ein Teil der Wegstrecke führte über die Einfahrt zu einer Tiefgarage, in welcher der Hundebesitzer sein Fahrrad abgestellt hatte und sich der Parkplatz seines damaligen Nachbarn befindet, der sich just zu dem Zeitpunkt auf den Weg in die Arbeit gemacht hatte und anschickte, aus der Garage auszufahren.

Was danach geschah, dazu gehen die Schilderungen weit auseinander. Laut dem Nachbarn habe plötzlich jemand - den er zunächst gar nicht erkennen konnte - mit voller Wucht gegen seine Scheibe geschlagen. Der 72-Jährige sei daraufhin ausgestiegen und habe seinen Nachbarn gesehen. Der habe ihn angeschnauzt, ob er vorhabe seinen Hund zu überfahren. "Da habe ich ihn gefragt, ob er spinnt", so der Senior vor Gericht und sei wieder eingestiegen. Doch bevor er losfahren konnte, sei mit einem Ruck die Tür aufgerissen worden und der Hundebesitzer habe ihn an der Gurgel gepackt. Was durchaus schmerzhaft gewesen sei, weshalb er nach seiner Schicht als Busfahrer zunächst zur Polizei ging, um Anzeige zu erstatten und dann zum Arzt, um sich ein Attest geben zu lassen. Dieses vermerkt auch oberflächliche Verletzungen am Hals.

Für das Amtsgericht klang die Aussage des 72-Jährigen plausibel, weshalb dessen 40-jähriger Kontrahent per Strafbefehl zu 50 Tagessätzen zu je 40 Euro verurteilt wurde. Wogegen dieser allerdings Einspruch einlegte, weshalb der Fall nun in einer Hauptverhandlung behandelt wurde.

Denn, so schilderte es der Angeklagte wortreich, er habe seinem Nachbarn nichts getan. Vielmehr seien er und sein Hund von diesem in der Auffahrt beinahe über den Haufen gefahren worden. Als sie etwa in der Mitte der Rampe waren, habe er das Tor aufgehen sehen und quietschende Reifen von innerhalb der Garage gehört. Da sein Hund mit immerhin schon 16 Jahren nicht mehr der Schnellste war, habe er den Fahrer stoppen wollen, bevor er aus der Garage auf die Rampe fahren konnte. Dazu habe er gegen die Scheibe des Autos geklopft, allerdings nicht geschlagen, wie es der Zeuge behauptete. Und er habe den anderen tatsächlich gefragt, ob er vorhabe den Hund zu überfahren. Der 72-Jährige habe daraufhin laut geschimpft und ihn wohl auch beleidigt, allerdings könne er sich an den Wortlaut nicht mehr erinnern.

Er sei dann gegangen und habe den Hund auf den Arm genommen, um ihn wegzutragen, so der Angeklagte weiter. Da sei der andere ausgestiegen und auf ihn zugestürmt. Um ihn auf Abstand zu halten, habe er den freien Arm vor sich ausgestreckt und der Senior sei gegen seine Hand gelaufen, allerdings nicht mit dem Hals sondern mit der Brust. Danach seien beide auseinandergegangen. Am gleichen Tag, so schilderte der Angeklagte, habe der 72-Jährige auch noch seine Lebensgefährtin aggressiv belästigt, als sie gerade den gemeinsamen Sohn in die Kita bringen wollte.

Ja, er habe mit der Frau seines Nachbarn kurz geredet, so der Zeuge, allerdings habe er sie zufällig getroffen und lediglich auf den Vorfall am Morgen angesprochen. Aggressiv geworden sei er allerdings nicht, ganz im Gegensatz zum Angeklagten, der ihm an dem Tag noch bis zu seiner Wohnung nachgerannt sei und gerufen habe "das hast du verdient."

Dass zwischen den beiden Männern vieles im Argen liegt, war in der Verhandlung unschwer zu erkennen. Beide waren sichtlich bemüht, ihren Kontrahenten in möglichst schlechtem Licht dastehen zu lassen. Der Zeuge berichtete vom Streit des Angeklagten mit einer anderen Nachbarin, der Angeklagte beschuldigte den Zeugen, ein in der Nachbarschaft gefürchteter Verkehrsrowdy zu sein.

Die Staatsanwaltschaft berücksichtigte diese Vorgeschichte zwar zugunsten des Angeklagten, es sei durchaus wahrscheinlich, dass dieser von seinem Nachbarn beschimpft worden sei, sah ansonsten allerdings wenig Grund an desen Aussagen zu zweifeln. Er habe detailreich die Vorgänge geschildert und außerdem ein Attest vorgelegt, das seine Geschichte stützt. Der Verteidiger beantragte dagegen Freispruch. Zwar habe der Zeuge "das Kerngeschehen", also den Vorwurf, an der Gurgel gepackt worden zu sein, ausführlich geschildert, an vieles andere könne er sich allerdings nicht mehr erinnern, etwa mit welcher Hand der Angeklagte zugepackt haben soll. Auch der Angeklagte sagte zur Version seines Kontrahenten: "Es passt alles nicht."

Richterin Vera Hörauf folgte indes der Auffassung der Staatsanwaltschaft und stufte den Zeugen als glaubwürdig ein. Insgesamt sei die Geschichte schlüssig, das Attest passe genau zu den geschilderten Vorgängen und die Behauptung des Angeklagten, der Zeuge sei ihm in die Hand gelaufen, "die hört man oft bei Körperverletzungsdelikten". Während im Strafbefehl davon ausgegangen wird, dass der Angeklagte die Tat einräumt, was einen gewissen Rabatt gibt, habe er nun den Vorfall bestritten. Darum lautete das Urteil auf 60 statt 50 Tagessätze, allerdings wurde deren Höhe von 40 auf 35 Euro reduziert.

Rechtskräftig ist das Urteil noch nicht, und gemessen an der Lautstärke und Vehemenz mit der der Angeklagte noch bei der Verkündung dagegen protestierte, wird sich wohl bald die nächste Instanz mit dem Nachbarschaftsstreit um die Hundewohlgefährdung beschäftigen müssen. Zumindest Wiederholungsgefahr besteht indes nicht: Denn die beiden sind seit kurz nach dem Vorfall keine Nachbarn mehr und der Hund ist mittlerweile an Altersschwäche gestorben.

© SZ vom 26.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: