Provisorien bleiben:Dann halt nicht

Lesezeit: 3 min

Wegen eines zu engen Zeitplans und wohl auch aus Rücksicht vor dem nahenden Wahltermin verzichtet man in Vaterstetten auf rund 1,1 Millionen Euro für den Straßenbau

Von Wieland Bögel, Vaterstetten

Die Großgemeinde ist wahrlich nicht mit Geld gesegnet, seit Jahren versucht man mit unterschiedlichem Erfolg Einnahmen zu generieren. Dennoch hat der Gemeinderat nun ohne Gegenstimmen beschlossen, auf knapp 1,1 Millionen Euro zu verzichten. Das Geld hätte in den Ausbau von vier Straßen fließen und von deren Anliegern bezahlt werden sollen. Dass es dazu nun nicht kommt hat mit zwei Terminen zu tun.

Einer davon ist der 31. März 2021. Bis zu diesem Zeitpunkt dürfen Kommunen provisorisch hergestellte Straßen, die offiziell zu richtigen Straßen ausgebaut wurden, bei deren Anliegern abrechnen. Im Februar 2016 hatte die Staatsregierung dieses Zeitlimit eingeführt, Hintergrund war, dass in manchen Kommunen Straßen teilweise seit den 1960er Jahren existieren, ohne dass jemals Erschließungsbeiträge erhoben worden waren. Diese sind laut Kommunalabgabengesetz beim Neubau von Infrastruktur von deren Nutzern oder Verursachern einzufordern, in der Regel betragen sie 90 Prozent der Baukosten. Grundsätzlich verfallen die Ansprüche der Kommunen nach 25 Jahren, bei älteren Straßen gilt noch eine Übergangsfrist, eben bis Ende März übernächsten Jahres.

Dass die Staatsregierung vor drei Jahren gewissermaßen ein Verfallsdatum eingeführt hat, lag daran, dass man damals ein einheitliches System für die Beitragserhebung einführen wollte. Parallel dazu gab es nämlich einige Verwaltungsgerichts-Urteile wonach Kommunen grundsätzlich verpflichtet seien, beim Ausbau von Straßen die Anlieger zur Kasse zu bitten. Einige Gemeinden, darunter auch Vaterstetten, hatten sich jahrelang geweigert, eine sogenannte Straßenausbaubeitragssatzung zu erheben. Doch kurz nachdem sie es hätten tun müssen, kam die Landtagswahl, bei der die Freien Wähler mit der Abschaffung der Straßenausbaubeiträge punkten wollten - woraufhin die CSU das Wahlkampfthema kurzerhand beseitigte indem sie die Beiträge beseitigte.

Nicht jedoch jene für die Ersterschließung. Diese müssen die Kommunen weiterhin erheben - wenn eben auch mit den seit 2016 geltenden Fristen. Weshalb man sich in Vaterstetten seit 2018 bemühte, die Straßen zu finden, die offiziell noch keine sind und deren Abrechnung bis zum Stichtag erfolgen muss. Ende 2018 hieß es aus dem Bauamt noch, bis zu zehn Prozent aller Straßen im Gemeindegebiet - mehr als 30 Stück - könnten betroffen sein. Später kamen dann noch zehn in die engere Auswahl. Anfang 2019 waren es dann noch fünf: Der westliche Teil des Sonnenlandwegs in Neufarn, sowie die Andreas-Herz-Straße, der Brombeer-, Dorffeld- und Dompfaffweg in der Kerngemeinde. Nachdem sich bei ersterem herausgestellt hatte, dass ein vernünftiger Ausbau nur auf der ganzen Länge möglich sei und die dafür nötigen Grundstücke nicht verfügbar waren, blieben noch vier Straßen

Über deren Ausbau oder das Unterbleiben desselben ging es nun in der Sitzung - die streckenweise einer Wahlkampfveranstaltung glich. Benedikt Weber (CSU) votierte länglich für einen Verzicht des Ausbaus samt Anwohnerbeteiligung. Unter anderem deshalb, weil die Bürger der betroffenen Straßen einen solchen Ausbau nicht wünschten. Eine Erfahrung, die Weber übrigens sehr intensiv machen durfte: Anfang des Jahres war er nämlich mit einigen Anwohnern über diese Frage heftig aneinandergeraten - weil er diese von der Notwendigkeit des Ausbaus hatte überzeugen wollen. Herbert Uhl (FW), der von Anfang an gegen eine Anwohnerbeteiligung votiert hatte, kommentierte dies mit den Worten "ich freue mich über den Sinneswandel bei der CSU". Beide Redner machen außerdem die Staatsregierung letztlich für das Problem verantwortlich - wenn auch verständlicherweise jeder die Hauptschuld beim Koalitionspartner der anderen Partei sah.

Doch auch die übrigen Fraktionen hielten einen Ausbau mit Anliegerbeteiligung nicht für sinnvoll. Auch weil zuvor Bauamtsleiterin Brigitte Littke Zweifel geäußert hatte, ob die Gemeinde am Ende wirklich abrechnen kann. Denn sollte sich der Ausbau verzögern, könnten die Rechnungen nicht mehr vor dem 31. März 2021 gestellt werden und die Gemeinde bliebe auf den Kosten - nach aktueller Berechnung genau 1 097 439,78 Euro - sitzen. "Das Risiko ist zu groß" befand Stefan Ruoff (Grüne), da solle man die Straßen lieber nicht ausbauen. Einen solchen "halten wir auch nicht für sinnvoll" sagte Sepp Mittermeier (SPD), gab aber zu bedenken, dass man irgendwann durchaus an den Straßen etwas tun müsse: "Irgendwo muss das Geld dafür ja herkommen - dann eben aus Steuern."

Kritik gab es aber auch daran, dass die Gemeinde jahrelang die Straßen nicht abgerechnet hat. "Wir sollten künftig tunlichst darauf verzichten, Straßen provisorisch herzustellen und anschließend nicht abzurechnen", sagte Weber. "Da sollten sich diejenigen an die Nase fassen, die hier lange Zeit die absolute Mehrheit hatten", entgegnete Uhl. Manfred Schmidt (AfD/FBU) wiederum sah "eine Nachlässigkeit der Verwaltung" als Ursache für die versäumten Abrechnungen. Dass diese nun nicht nachgeholt würden, liegt für Schmidt an dem zweiten wichtigen Termin in der Sache: "Die Anlieger können hier durchaus die Gnade der bevorstehenden Kommunalwahl genießen."

Die Schmidt selbst ihnen aber durchaus nicht verweigern will: Einstimmig beschloss das Gremium, den Ausbau der verbliebenen vier Straßen auch abzusagen.

© SZ vom 11.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: