Premiere in der Turmstube:Lieblingswörter, Hassobjekte

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Überzeugt beim ersten Poetry Slam in Grafing mit gereimten Botschaften: Darryl Kiermeier. (Foto: Christian Endt)

Darryl Kiermeier gewinnt den ersten Poetry Slam in Grafing

Von Anja Blum, Grafing

Glücklich sieht sich Sebastian Schlagenhaufer in der Turmstube um. Die Kleinkunstbühne der Grafinger Stadthalle ist gut gefüllt, der Chef macht viele neue Gesichter aus. Das Format, das er an diesem Donnerstag das erste Mal anbietet, scheint gut zu funktionieren. Ein Poetry Slam steht auf dem Programm, sechs Dichter aus dem Münchner Raum hat Schlagenhaufer eingeladen - nur nichts dem Zufall überlassen! Da der Grafinger selbst immer wieder bei Slams auftritt, kennt er die Szene gut, weiß, auf wen er zählen kann. Die Teilnehmer sind: Ludwig Müller, Trulla, Verena Richter, Mary Long, Dave Appleson und Darryl Kiermeier. Letzterer wird am Ende knapp als Sieger aus dem Wettstreit hervorgehen. Das beseelte Publikum hat dann einen Abend voller Sprachgewalt, Idealismus, Humor und Selbstdarstellung hinter sich.

Charmant moderiert wird der Contest von Jaromir Konecny mit allerhand Witz und "behmischem Akzent". Da im Publikum einige Menschen ohne Slamerfahrung sitzen, erklärt er die Regeln: Ins Mikro kommt nur Selbstgedichtetes, Verkleidungen und Requisiten sind nicht erlaubt, ein Vortrag darf maximal sieben Minuten dauern. Die Gäste stimmen per Applaus ab - "aber ich bitte um Respekt für alle Poeten, jeder soll mit einem Rest Würde von der Bühne gehen dürfen". Um die Gunst des Publikums gekämpft wird in einem "Duellsystem samt Lucky Loser", das heißt, von den drei Unterlegenen der ersten Runde bekommt einer die Chance, sich im Halbfinale noch mal zu beweisen. Das Maximum, das die beiden Finalisten erreichen, sind also drei Texte.

Nur eine Chance bekommen Ludwig Müller und Verena Richter. Ersterer, ein Österreicher, kann das vergleichsweise junge Publikum mit seinen Schüttelreimen und Betrachtungen über die Wesensunterschiede zwischen Bayern und seinen Landsleuten nicht wirklich überzeugen. Richter wiederum zieht mit ihrer überbordenden, absurden Fantasie durchaus in den Bann - sie philosophiert über schöne, neu erfundene Wörter - kann sich aber gegen Applesons emotionale Achterbahnfahrt beim ersten Date nicht durchsetzen.

Jeweils bis ins Halbfinale schaffen es Trulla und Mary Long, eine Schweizerin. Sie versucht, mit zwei Aufzählungen zu begeistern, zunächst von allerhand kuriosen Fragen - á la "ist mein 48-Stunden-Deo beleidigt, wenn ich früher dusche?" - dann erzählt sie, was sie alles hasst. Wenn der Pfirsichsaft den Arm hinunterläuft etwa, Fremdenfeindlichkeit und Latzhosen. Allein: Sonderlich emotional ist der Vortrag nicht. Ganz im Gegensatz zu Trulla, deren Prosa tief in die untersten Gefühlsschichten vordringt. Sie zelebriert einen ausgeprägten Slammerton mit vielen Tempowechseln. Von der komplizierten Liebe erzählt sie, erst von einer sprachlosen zwischen zwei "Königskindern" verschiedener Kulturen, dann von einem in der Oberflächlichkeit verhafteten Gegenüber. "Wo deine Liebe endet, fängt meine gerade erst an."

Um einiges lockerer gehen es da die beiden Publikumslieblinge an. Der etwas übergewichtige Appleson kehrt seine Komplexe nach außen, schreit auch mal "Fuck!" und hadert mit dem Erwachsensein - "Ich vermisse, dass mir jemand hilft, mich tröstet und das Radl Wurst beim Metzger". Zudem outet er sich als Anhänger der Prokrastination, des Aufschiebens lästiger Aufgaben. Poetisch ist das nicht, aber witzig. Botschaften sowie Reime liefert Darryl Kiermeier. Am stärksten ist seine Hymne an die Freundschaft, fast ein Sprechgesang: "Unser Leben ist der Bogen, und wir sind der Stift, mit Tinte aus Vergissmeinnicht." Handfester dann der Beitrag über Sex, mit dem Hinweis an die Geschlechtskollegen, dass Vulva und Klitoris keine Pokémon-Arten seien. Kiermeiers Fazit aber betrifft beide Seiten: "Ich wünsche mir Männer, die fragen, und Frauen, die sagen." Zu guter Letzt erzählt er von den Traumata seiner Kindheit mit Mutter und fünf Schwestern, die das Männlichwerden durchaus erschwert hätten. "Ich bin ein Scherge des Matriarchats!", sagt er. Mag sein, aber dichten, das kann er.

Wer sich den Termin schon mal vormerken möchte: Der nächste Poetry Slam in der Grafinger Turmstube findet statt am 14. März um 20 Uhr.

© SZ vom 13.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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